IG Metall: "Stalins" Erbfolge
Im November steht die Neuwahl der zwei Vorsitzenden an. Ein Vorgang, der gründlich vorbereitet sein will - deshalb werden in der Frankfurter Zentrale die Weichen bereits gestellt.
Die Entscheidung des Jahres steht nicht mal auf der Tagesordnung. "Gewerkschaftstag" heißt zwar ein Unterpunkt, den der Vorstand der IG Metall heute ab 14 Uhr behandeln wird. Aber da geht es, wie es in der Frankfurter Zentrale heißt, eher um "Entschließungsanträge" und die Organisation des Delegiertentreffens. Doch irgendwann wird der 1. Vorsitzende Jürgen Peters am Nachmittag das Wort ergreifen - und über die Zukunft seiner Gewerkschaft reden. Denn auf dem Gewerkschaftstag im November steht die Wahl des Vorstands auf dem Programm.
Peters, so die Erwartung, wird also erstmals darüber reden, ob er sich an eine Abmachung von vor vier Jahren hält, wonach er nach einer Amtsperiode zurücktreten soll, um seinem Stellvertreter Berthold Huber Platz zu machen. Er hat diese Abmachung - im Gegensatz zu Huber - nie bestätigt. Er hat sich bisher auch in Schweigen gehüllt, wie er die Erbfolge regeln will.
Die wichtigste Personalfrage, so versichern Insider, sei informell bereits geklärt. "Der Vorstand wird Huber nominieren, das ist unstrittig und wird auch niemand verhindern können", sagen viele. Der 57-jährige Schwabe hat seine Ambitionen auf das höchste Amt der IG Metall längst kundgetan. Doch wer wird sein Stellvertreter und damit erster Kandidat für die Nachfolge Hubers in einigen Jahren? Unterhalb der Chefebene ist ein Machtkampf entbrannt.
Die IG Metall hat als einzige Gewerkschaft in Deutschland zwei Vorsitzende. Seit 2003 ist Jürgen Peters Erster Vorsitzender und Berthold Huber Zweiter. Zusammen mit einem Hauptkassierer und vier weiteren Mitgliedern, die von den Delegierten des Gewerkschaftstages alle vier Jahre neu gewählt werden, bilden sie den geschäftsführenden Vorstand der Gewerkschaft. Hauptkassierer ist seit 1996 Bertin Eichler. Die weiteren geschäftsführenden Vorstandsmitglieder sind: Kirsten Rölke (seit 1999), Wolf Jürgen Röder (seit 1999), Wolfgang Rhode (seit 2000) und Regina Görner (seit 2005). Zum Vorstand gehören neben den geschäftsführenden noch 29 ehrenamtliche Mitglieder. TOK
Favorit ist eigentlich der nordrhein-westfälische Bezirksleiter Detlef Wetzel. Politisch eher moderat, pragmatisch in der Tarifpolitik - nicht umsonst der "Wunschkandidat" von Huber. Was wiederum dem linken Lager rund um Peters nicht gefällt. Aus diesem Lager hört man: "Es müssen beide Strömungen an der Gewerkschaftsspitze repräsentiert sein." Deshalb wird immer wieder der Name Hartmut Meine ins Spiel gebracht für den Stellvertreter-Posten. Meine ist Bezirksleiter in Niedersachsen, der Nachfolger und Freund von Jürgen Peters. Schon rechnen die Befürworter des Tandems Huber/Wetzel aus, wie die Mehrheitsverhältnisse im Vorstand sind - und erst recht auf dem Gewerkschaftstag im November in Leipzig. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern - das wäre schon die Mehrheit angesichts der Mitgliederstärke dieser Bezirke.
Zwei Kandidaten, keine Einigung auf der heutigen Vorstandssitzung, womöglich eine Kampfabstimmung: Prompt würde eintreten, wovor alle Angst haben. Und zwar in einer Zeit, in der die IG Metall wieder stark und mächtig ist und sich stolz größte Gewerkschaft Europas nennen darf. "Wenn wir jetzt eine Personaldebatte bekommen, dann stehen wir wieder vor der Kante - wie 2003", sagt ein Funktionär.
Das war wohl das desaströseste Jahr in der Geschichte der Gewerkschaft. 2003: Das war der verlorene Streik im Osten, als unter Federführung des damaligen 2. Vorsitzenden Peters die 35-Stunde-Woche durchgesetzt werden sollte - und gnadenlos scheiterte. 2003: Das war die anschließende Schlammschlacht, ein nie gekannter Machtkampf zwischen dem damaligen Chef Klaus Zwickel und eben Peters. Zwickel wollte schon damals Huber als Nachfolger, er wollte mit seinem Rücktritt auch Peters zum Rücktritt zwingen - um Huber den Weg zu ebnen. Doch Jürgen Peters wollte nicht weichen - und wurde, im Tandem mit Huber, 1. Vorsitzender. Und jetzt das gleiche Szenario noch einmal?
Der Gewerkschaftsexperte Josef Esser, Politikwissenschaftler an der Uni Frankfurt, sagt: "Das oberste Ziel seit dem verlorenen Oststreik und den Personalquerelen heißt: Die Organisation darf nicht auseinanderfliegen." Intern wird das sogar bestätigt. "Zweckgemeinschaft" nennen sie immer noch das Duo Peters/Huber. Auch nach vier Jahren gemeinsamer Arbeit. "Da arbeiten eben Profis zusammen", heißt es. Und zwar erfolgreich.
Es ist schon erstaunlich, was für einen Imagewandel die IG Metall erlebt hat. Esser: "Die IG Metall hat erfolgreich interne Konflikte unter den Teppich gekehrt und heute ein wesentlich besseres Image. Sie ist mobilisierungsfähig und steht beim Mitgliederschwund besser da als alle anderen Gewerkschaften." Zwar ist der Verlust an Mitgliedern noch enorm: So sank die Mitgliederzahl von 2.643.973 (Ende 2002) auf 2.332.720 (Ende 2006). Doch zuletzt verloren die Metaller nur noch gut 1 Prozent - und schafften in manchem Verwaltungsbezirk, vor allem in Nordrhein-Westfalen und Bayern, die Wende. Nur zum Vergleich: Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di verlor im gleichen Zeitraum fast 500.000 Mitglieder - und Ver.di befindet sich weiter im freien Fall.
Der Stopp des Mitgliederverlustes hat mit einer Wende in der Politik zu tun, die viele Beobachter dem Konto von Berthold Huber gutschreiben. 2004, Tarifrunde, die Arbeitgeber drängten auf die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche und mehr Flexibilität im Flächentarif. Heraus kam das so genannte "Pforzheimer Abkommen". Dieser Kompromiss erleichtert den Unternehmen seither Abweichungen vom Flächentarif - etwa die Senkung von Löhnen oder die Erhöhung der Arbeitszeit. Und zwar nicht nur bei schlechter Ertragslage oder im Sanierungsfall, sondern auch, um wichtige Investitionen zu tätigen oder Innovationen einzuführen. Die zweite Neuerung: Die Unternehmen verhandeln mit dem Betriebsrat und der Belegschaft direkt. Auch wenn die Dachgewerkschaft dann noch das letzte Wort bei diesen betrieblichen Abweichungen hat, war das für die Gewerkschaft die Abkehr von ihrem strengen Zentralismus. Und das war nicht unumstritten. IG-Metall-Chef Peters sprach damals, nach dem Abschluss, von der "Büchse der Pandora", die man geöffnet habe. Seine internen Gegner nennen ihn manchmal "Stalin".
"Pforzheim", von vielen Gewerkschaftern als Schmach empfunden, erweist sich heute als Glücksfall. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel mit Jobverlagerung droht, wirbt die Gewerkschaft neue Mitglieder an. Es folgten weitere Abschlüsse in Hubers Stammbezirk Baden-Württemberg und in Detlef Wetzels Bezirk Nordrhein-Westfalen, die den Betrieben mehr Spielraum einräumen, mehr Mitspracherecht, mehr Verhandlungsmacht, mehr Verantwortung. "Huber und Wetzel sind bereit, Macht und Verantwortung an die Betriebe abzugeben. Und das spüren die Arbeitnehmer", sagt Gewerkschaftsforscher Esser. Weil es sich für die Arbeitnehmer wieder lohne, Gewerkschaftsmitglied zu sein. Wetzel ging in Nordrhein-Westfalen sogar so weit, einen Bonus für Gewerkschaftsmitglieder auszuhandeln, wenn ein Betrieb von Tarifstandards abweicht. Der Favorit für den Posten des 2. Vorsitzenden hat seine Mitgliederverluste 2006 auf ein Minus von nur noch 0,7 Prozent gedrückt.
Dem Peters-Lager ist so viel Innovation nicht ganz geheuer. "Peters will im Vorstand noch einen Fuß in der Tür haben", mutmaßt ein Kenner angesichts des Schachzugs, den Peters-Getreuen Hartmut Meine gegen Detlef Wetzel ins Rennen zu schicken. Zudem soll auch der derzeitige Chefdenker und Leiter der Abteilung Gesellschaftspolitik, Hans-Jürgen Urban, ebenfalls ein Peters-Weggefährte, einen Posten im geschäftsführenden Vorstand bekommen. Manch Befürworter des Duos Huber/Wetzel mutmaßt, dass das Peters-Lager Meine nur ins Spiel brachte als Faustpfand, um wenigstens Urban platzieren können. Oder treibt Peters das Personalgeschachere so weit wie: 2003? Diesmal sind die Peters-Gegner sicher: "Dann bekäme Peters einen äußerst unrühmlichen Abgang."
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