Hysterie wegen invasiver Arten: Die asiatische Hornisse ist halb so wild
Auch in Norddeutschland breitet sich das Insekt aus, wie ein Meldeportal zeigt. Die Bekämpfungspflicht wird voraussichtlich 2025 aufgehoben.
D as Insekt, das sich mit letzter Kraft über den Asphalt in Tarmstedt bei Bremen schleppt, habe ich noch nie gesehen. Es ähnelt ganz entfernt einer Hornisse, ist aber etwas kleiner, und nicht braun-gelb, sondern schwarz, mit einem auffälligen orangenen Streifen am Hinterleib. „Vielleicht eine asiatische Hornisse“, sagt mein Begleiter, „eine invasive Art“.
Nie gehört, ich habe irgendwann zwischen Nilgans, Nutria und Tigermücke aufgehört, die vielen Artikel über invasive Arten zu lesen. Als invasiv werden Arten bezeichnet, die als schädlich für die Biodiversität, die menschliche Gesundheit oder die (Land-)Wirtschaft gelten. 88 Pflanzen- und Tierarten hat die Europäische Union so eingestuft, davon kommen mindestens 46 in Deutschland vor. Das sind 4,5 Prozent aller seit 1492 hierzulande neu eingewanderten Arten.
Die Berichterstattung hat häufig einen merkwürdigen Zungenschlag. Da bedroht „das Fremde“ „die Einheimischen“, und letztere sind natürlich die Guten, auch wenn sie vielleicht selbst nicht seit dem Urknall in einer Region leben und ihrerseits in anderen Teilen der Welt großen Schaden anrichten können. Mal abgesehen davon, dass der sich überall ausbreitende Mensch die größte Gefahr für die Biodiversität ist.
Invasive Arten würden „als Sündenbock benutzt, als Ablenkung von allem, was der Artenvielfalt wirklich schadet: Glyphosat und Flächenversiegelung, intensive Forst- und Landwirtschaft, Torfabbau“, schreibt die Journalistin Sigrid Tinz in ihrem Artenschutz-Blog auf Instagram. Zudem etabliere sich „rechte Wortwahl im Alltagssprachgebrauch: Ausmerzen, Ausrotten, Überfremdung, Verdrängung, fremde Arten, die unsere Heimat ‚überwuchern‘“.
Kein Nachweis für Schädlichkeit
Und dann sind die invasiven Arten nicht immer die alles vernichtenden Monster, als die sie oft von Journalist:innen oder Lobbygruppen wie Landwirt:innen und Jäger:innen beschrieben werden. Die aus Nordafrika stammende Nilgans zum Beispiel soll besonders aggressiv gegenüber anderen Wasservögeln sein, lässt sich aber in friedlicher Ko-Existenz mit Stockenten und Teichhühnern in Parkanlagen beobachten. „Neueste Studien sprechen eher dafür, dass sich Nilgänse ohne nachweisbare negative Effekte auf andere Arten in neuen Gebieten ansiedeln“, schreibt etwa der Naturschutzbund Deutschland auf seiner Homepage.
Auch bei der asiatischen Hornisse, die sich seit 2004 in Europa ausbreitet, fehle es an fundierten wissenschaftlichen Nachweisen für ihre Schädlichkeit, erklärt Kai Schütte von der Hamburger Umweltbehörde. So stünden Honigbienen zwar auf deren Speisezettel, aber nicht vorrangig, zudem könnten Imker:innen Schutzvorkehrungen ergreifen.
Kai Schütte arbeitet im Referat für Arten-, Biotopschutz und Eingriffsregelung als Experte für invasive Arten und bearbeitet dort unter anderem eingehende Meldungen aus Norddeutschland über Sichtungen der asiatischen Hornisse. Auf www.Ahlert-Nord.de können Bürger:innen Fotos einschicken, wenn sie ein oder mehrere Exemplare entdeckt haben. Es gebe sehr viele Falschmeldungen, sagt Kai Schütte.
Bei dem Tier aus Tarmstedt handele es sich tatsächlich um eine asiatische Hornisse, sehr wahrscheinlich ein Männchen, das erkenne er als langjähriger Insektenforscher an den Fühlern. Weil die Drohnen nicht zu den Nestern zurückfliegen, sei eine Suche nach einem Nest mit dieser einzelnen Sichtung nicht erfolgversprechend.
Das Hauptverbreitungsgebiet von Vespa velutina nigrithorax liegt derzeit in Südwestdeutschland entlang von Rhein, Mosel und Main.
In Niedersachsen sind laut Naturschutzbehörde in diesem Jahr 90 bestätigte Meldungen eingegangen, die meisten aus dem Süden und Westen.
Auch in Hamburg und Bremen wurde sie schon nachgewiesen.
Zudem würde eine Nestentfernung so spät im Jahr nichts bringen, schreibt die von ihm informierte zuständige Naturschutzbehörde in Niedersachsen, die neuen Königinnen seien längst ausgeflogen.
Ohnehin wird die Bekämpfungspflicht in Deutschland vermutlich zum 1. Januar 2025 aufgehoben. „Die asiatische Hornisse ist längst etabliert und wir können ihre Ausbreitung nur noch verlangsamen“, sagt Schütte. Es werde sich zeigen, welche Managementmaßnahmen sinnvoll sind. So könnten im Fall einer akuten Gefahr Nester entfernt werden, etwa wenn sich eins auf einem Schulhof befindet. Derzeit laufen in mehreren Bundesländern Verfahren, um die Öffentlichkeit an den Plänen zum Umgang mit der neuen Art zu beteiligen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“