Hype um Omega-3-Fettsäuren: Zu viel Fisch macht nicht gesünder
Über die positive Wirkung von Omega-3-Fett herrscht Uneinigkeit. Die Empfehlung, einmal pro Woche Fisch zu essen, lässt sich nicht wissenschaftlich untermauern.
Fast kein Designerlebensmittel, das Gesundheit verspricht, kommt heute mehr ohne das Plus an Omega-3-Fettsäuren aus - ob Margarine, Brot, Eier, Teigwaren oder Babynahrung. Zudem wird immer wieder beteuert, wie wichtig es ist, regelmäßig fetten Seefisch wie Lachs, Thunfisch, Sardine, Makrele oder Hering zu essen, um Herzinfarkt, Depressionen, Alzheimer oder Autoimmunerkrankungen vorzubeugen. Denn: Fischfett liefert viel Omega-3-Fettsäuren der Sorte EPA und DHA.
Omega-3-Fette dienen als Bausubstrat für Zellmembranen. Vor allem im Gehirn sorgen sie dafür, dass sich die Neuronen gut verschalten. Ebenso werden aus den langkettigen Fettsäuren im menschlichen Körper Gewebshormone gebildet, die das Immunsystem positiv beeinflussen und Entzündungen mildern. Und: Omega-3-Fette senken Blutfette. In den 1970er-Jahren entdeckten findige Forscher, dass Grönlands Inuits kaum an Herzkrankheiten litten, obwohl ihr Speiseplan beträchtliche Mengen an Fett - allerdings an Fischfett - lieferte.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) etwa empfiehlt einmal pro Woche eine Fischmahlzeit, das entspricht rund 250 Milligramm DHA und EPA pro Tag. Zudem sollte man pflanzliche Omega-3-Fette aus Raps-, Walnuss- oder Leinöl in der Küche verwenden, um insgesamt etwa 1 Gramm Omega-3-Fett täglich zu verzehren. Der Grund: Omega-3-Fettsäuren sind für den Körper essenziell, das heißt, er kann sie nicht selbst bilden.
Umstritten ist jedoch, welche Menge zur Krankheitsvorbeugung taugt, und ob man tatsächlich dafür weiter Raubbau an den Fischbeständen treiben muss. Beispielsweise wurde bei einem gesunden Menschen noch nie ein Mangel an DHA oder EPA diagnostiziert. Einige Fachgesellschaften empfehlen trotzdem bis zu 4 Gramm Omega-3-Fett etwa zur Senkung von Blutfetten.
Das Problem bei der Formulierung der Empfehlungen: Omega-3-Fett gibt es zuhauf in Kapselform oder als Zusatz in Lebensmitteln, und die Hersteller verdienen an diesen Produkten immens. So hat etwa die Firma Merck mit seinem Fischölprodukt Maxepa 2008 in Südamerika eine Umsatzsteigerung von 50 Prozent erzielt. Studien, die in Zweifel ziehen, dass hohe Dosen vonnöten sind, werden von den Interessenverbänden - in Deutschland ist das beispielsweise der Arbeitskreis Omega-3 - schnell als unwissenschaftlich abgetan. Fischöl gilt als wahres Wundermittel.
Nicht ganz berechtigt, findet David Jenkins, Wissenschaftler an der Universität in Toronto. Er hält die gängigen Empfehlungen angesichts leer gefischter Weltmeere für nicht ausreichend abgesichert. Es fehle an eindeutigen Beweisen, dass und wie viel Omega-3-Fett tatsächlich das Leben verlängere, etwa durch ein verringertes Krebs- oder Herzinfarktrisiko. Die Studien dazu lieferten widersprüchliche Ergebnisse. Zwar leben Fischesser länger, dies könnte aber auch daran liegen, dass diese Menschen mehr Sport treiben, weniger rauchen und sich insgesamt gesünder ernähren. Laut diversen Studien können auch Fischölkapseln nichts gegen Herzkrankheiten oder Krebs ausrichten, die Lebensdauer der Studienteilnehmer verlängerte sich nicht. Auch für Patienten mit überstandenem Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder Hypercholesterinämie ist kein Nutzen einer Fischölkapselkur belegt. "Nur für Herzrhythmusstörungen konnte eindeutig gezeigt werden, dass diese sich durch Fischöl verbesserten", sagt Jenkins. Derweil fänden sich derzeit noch viel zu wenige Studien, die beweisen würden, dass Omega-3-Fettsäuren gegen Demenz, Diabetes oder Rheuma wirken.
Andererseits werden auch negative Effekte diskutiert. LDL-Partikel im Blut könnten durch Omega-3-Fett sogar anfälliger für Oxidation sein. Damit könnten sie theoretisch die Entstehung von Arteriosklerose begünstigen. In einigen klinischen Studien traten während einer Fischölkur auch häufiger Komplikationen auf. So kam es beispielsweise bei Angina-Pectoris-Patienten zu Herzrhythmusstörungen. Vermutlich spielt eine Rolle, welche der beiden Fischfette in Tabletten stecken. "DHA wird bevorzugt in die Membranen von Herzmuskelzellen eingebaut, und das könnte die elektrochemischen Eigenschaften der Zellen verändern", so Hernando León, Mediziner an der Universität in Edmonton, Kanada. EPA und DHA beeinflussen den Herzrhythmus demnach unterschiedlich.
Trotzdem kennt man bislang nicht das ideale Mischungsverhältnis der beiden Fettsäuren. Zudem kann der Körper vermutlich aus Linolensäure geringe Mengen an DHA und EPA bilden. "Ob man damit aber die herzschützenden Mengen erreicht, ist fraglich", so Silke Restemeyer von der DGE. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie formuliert es derweil in seinen Leitlinien lieber vage: "Etwa 1 Gramm Omega-3-Fette pro Tag sind wünschenswert, um Herzinfarkt vorzubeugen". Und: "In der Sekundärprävention wird der Nutzen von 1 Gramm Omega-3-Fett pro Tag derzeit geprüft."
Für konkrete Empfehlungen ist es also zu früh. Das Omega-3-Ei, die Fischmahlzeiten oder ein entsprechendes Nahrungsergänzungsmittel sind demnach für Gesunde kein Muss. Wer trotz der Diskussion um leer gefischte Meere gerne Fisch isst, kann auf Arten zurückgreifen, die der WWF empfiehlt, etwa Makrelen.
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