Hungerstreik vor israelischer Botschaft: Nahostkonflikt in Grunewald
Firas Maraghy ist seit zwei Wochen im Hunterstreik. Der Palästinenser will Aufenthaltspapiere für sich und seine Tochter in Jerusalem. Doch die israelische Botschaft in Berlin-Grundewald fühlt sich nicht zuständig.
Auf einem Camping-Klappstuhl unter einer Buche hat sich Firas Maraghy niedergelassen. Sein dunkler Bart wird langsam struppig, der Ehering hängt locker am Finger. Es ist Tag 15 von Maraghys Hungerstreik. Er döst.
Die Auguste-Viktoria-Straße im Grunewald, an deren Ende der Palästinenser sitzt, döst auch. Vor den weißen oder efeuumrankten Villen ist wenig los. Ein paar Kinder giggeln rechts neben Maraghy auf dem Sandspielplatz, an der Ecke spielen alte Herren Tennis. Und schräg gegenüber erhebt sich die israelische Botschaft: Deswegen ist Maraghy hier, Tag und Nacht, deswegen ernährt er sich seit dem 26. Juli nur noch mit Wasser.
Hinter Maraghys Hungerstreik steckt ein Stück des großen Nahostkonfliktes, das in den behüteten Grunewald bricht. Der 38-Jährige wurde in Silwan, einem Stadtteil im Osten Jerusalems, geboren. Es sind hauptsächlich Palästinenser, die dort wohnen. Doch Maraghy und seine Nachbarn sind seit der israelischen Besetzung Ostjerusalems 1967 nur noch Geduldete, Staatenlose. Sie bekommen keine Pässe, nur eine Aufenthaltskarte und eine blaue Reiseerlaubnis, beides ausgestellt von den israelischen Behörden.
Im September 2007 nimmt Maraghy sein Reisedokument und zieht nach Berlin mit seiner deutschen Frau, die er in Jerusalem kennengelernt hat. Maraghy will in Berlin Deutsch lernen, seine Frau ihren Magisterabschluss in Islamwissenschaften und Politik machen. Als Maraghy im Mai 2009 nach Jerusalem zurückfährt, um seine Papiere zu verlängern und seine Ehe eintragen zu lassen, wird ihm dies verweigert, erzählt der hagere Mann. Weil er ja nun im Ausland lebe. Sein Reisedokument hingegen wird erneuert, bis Mai 2011. Danach müsse er für anderthalb Jahre nach Jerusalem zurückkehren, um seine Aufenthaltsrechte nicht zu verlieren, habe die Frau hinterm Schalter mitgeteilt. "Sie hoffte wohl, dass ich nicht mehr zurückkomme", so Maraghy.
Doch Maraghy will zurück. Mit seiner Frau. Und mit Zaynab, seiner inzwischen acht Monate alten Tochter. Doch die israelische Botschaft in Berlin verweigert auch der Tochter die Papiere. Als israelische Einwohnerin könne sie nur persönlich beim Innenministerium in Jerusalem registriert werden, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber der taz. Zudem könne das Kind doch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Maraghy schüttelt den Kopf. Mit einem deutschen Pass könne seiner Tochter jederzeit die Einreise nach Israel verweigert werden. "Aber warum soll sie nicht das Recht haben, in Jerusalem zu leben?"
Maraghy schreibt weiter Briefe an die israelische Botschaft in der Auguste-Viktoria-Straße, auch an Bundestagsabgeordnete und Angela Merkel. Nur die Papiere erhält er nicht. Dann zieht er vor die Botschaft mit einer faltigen braunen Pappe, worauf er den Artikel 13 der Menschenrechtserklärung geschrieben hat: "Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren."
Wasserflaschen liegen neben Maraghys Stuhl und eine rote Isomatte. Wenn es regnet, kann Maraghy in einem Auto übernachten, das Freunde für ihn abgestellt haben. Anwohner kommen mit ihren Hunden vorbei, wünschen dem Palästinenser einen "Guten Tag". Maraghy winkt freundlich zurück. "Meine Nachbarn", sagt er. Auch die Polizisten vor der Botschaft werfen ein Auge auf ihn - falls er umkippt.
Es gehe ihm okay, sagt Maraghy. Ein Arzt schaue alle paar Tage vorbei. Zu Beginn seines Hungerstreiks lud ihn der israelische Konsular für eine halbe Stunde in die Botschaft zu Keksen und Kaffee. Er könne doch nach Jerusalem fliegen und dort die Papiere für seine Tochter beantragen, betonte der Konsular nochmals. Maraghy verneinte. Die Anträge in Jerusalem würden sich ewig hinziehen. Er ging zurück zu seinem Campingstuhl. Kekse und Kaffee ließ er unangetastet.
Es geht Maraghy um mehr als seine Papiere. Sein Protest stehe für all die tausende Palästinenser in Jerusalem, die alltäglich von den israelischen Behörden diskriminiert würden. Für alles brauche man Papiere, Anträge würden willkürlich genehmigt oder abgelehnt. Die Israelis wollten die Palästinenser nach und nach aus Jerusalem hinausschikanieren, erregt er sich. "Eine ethnische Säuberung ohne Waffen."
Maraghy hat eine deutsche Frau, er könnte deutscher Staatsbürger werden. Aber er will nicht. Seit Jahrzehnten lebe seine Familie in Jerusalem, erzählt er. Die Stadt sei seine Heimat. Und das bleibe sie auch.
Inzwischen ist Maraghy nicht mehr allein. Die Palästinensische Gemeinde Deutschland unterstützt ihn und die Initiative "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost". Es gibt zwei Internetpetitionen und eine Facebook-Gruppe mit über 100 Mitgliedern. Freunde und Unterstützer besuchen Maraghy vor der Botschaft, bringen Sonnenblumen mit. Auch seine Frau Wiebke und die kleine Zaynab kommen jeden Tag. Sie mache sich Sorgen um seine Gesundheit, sagt Wiebke Maraghy. In der Sache aber unterstütze sie ihren Mann. "Und wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht er das auch durch." Nur die Öffentlichkeit bekommt von dem Hungerstreiker im Grunewald wenig mit. Aber er will weiter hungern, bis er seine Papiere hat. Und das Recht, mit seiner Familie uneingeschränkt in Jerusalem leben zu dürfen.
Es ist nicht sein erster Hungerstreik. Während der ersten Intifada Ende der 80er Jahre wurde Maraghy als Jugendlicher inhaftiert. Er hatte sich an Demonstrationen gegen Israel beteiligt. Fünf Jahre saß er ein. Im Gefängnis trat er mit hunderten anderen Palästinensern in den Hungerstreik. 15 Tage lang. Diesmal werden es mehr sein.
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