Humoristin Stefanie Sargnagel über Tabus: „Gewisse Witze mache ich privat“
Die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel liest in Hamburg aus ihrem Debütroman „Dicht“. Ein Gespräch über Humor, Tabus und Mehrdeutigkeiten.
taz: Frau Sargnagel, in einem Artikel schrieben Sie mal über sich: „Schon als Vierjährige faszinierten mich Tabus und wie ein falsches Wort alles durcheinanderbringen konnte.“ Was reizt Sie heute an Tabus?
Stefanie Sargnagel: In Tabus steckt ganz viel Verdrängung. Es gibt ja viele verschiedene Arten von Tabus, jetzt gerade interessiert mich zum Beispiel das Erben. Ich finde, wir sollten insgesamt mehr über Geld sprechen. Über das Einkommen redet man in Österreich eigentlich nicht – das ist ein großes Tabu. Und in allen Dingen, die tabuisiert sind, steckt eben sehr viel humoristisches Potenzial.
Inwiefern?
Beim Humor geht es ja immer darum, Normvorstellungen durcheinanderzubringen. Deswegen gehören für mich Humor und Tabus auch stark zusammen. Alles was tabuisiert ist, macht neugierig – also gehört es bearbeitet.
Welche Tabus gehören denn „bearbeitet“?
Mich interessieren die Tabus am meisten, die eine Ungerechtigkeit aufrechterhalten. Tabus sind ja auch Ausdruck von Machtverhältnissen. Allerdings geht es mir nicht einfach nur um den Tabubruch. Denn: Die Sexualisierung von Kindern ist ja auch ein Tabu – und das darf gerne so bleiben.
Der Tabubruch ist also keinhumoristischer Selbstzweck für Sie. Inwieweit variiert denn, was überhaupt als Tabu wahrgenommen wird?
36, ist Wienerin, Humoristin, Cartoonistin, Autorin und Künstlerin. Ihr Debütroman „Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin“ ist 2020 im Rowohlt Verlag erschienen, 256 S., 12 Euro, E-Book 19,99 Euro.
Tabus sind sehr kontext-, kultur- und milieuabhängig. In linken Kreisen sind zum Beispiel Dinge tabuisiert, die es im Wirtshaus wahrscheinlich nicht sind, Stichwort political correctness.
Beschneidet political correctness denn die Humorfreiheit?
Ich sehe das nicht so schwarz-weiß, deswegen kann ich keine eindeutige Antwort auf diese Frage geben. Einerseits haben Leute Angst, dass ihre Machtposition infrage gestellt wird. Dass sie also auch endlich mal darüber nachdenken müssen, was sie so selbstverständlich daherreden. Andererseits muss man auch aufpassen, dass man nicht mit so einer bildungsbürgerlichen Spracherziehung daher kommt und die Leute das Gefühl haben, dass sie milieubedingt nicht mehr mitreden wollen – und können.
Erleben Sie das auch persönlich?
Ja, sogar ich, die als Linke in linken Kreisen unterwegs ist, kenne mich teilweise nicht mehr aus. Manchmal weiß ich auch nicht mehr, welcher Begriff wo noch okay ist.
Und was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Dass ich mehr darüber nachdenke, was ich wie sage. Manche Witze von früher würde ich heute so nicht mehr machen, auch, weil sich mein Kontext verändert hat. Früher habe ich Witze vor und über eine Szene gemacht, das waren meist Linke und Hipster, ein kleines Milieu eben. Da hatte ich eher das Bedürfnis, denen ein bisschen vor den Kopf zu stoßen, ich habe da gerne den Proll raushängen lassen. Heute hört mir aber eine größere Öffentlichkeit zu, das macht schon einen Unterschied.
Stefanie Sargnagel liest aus „Dicht“: Fr, 14.1., 20 Uhr, Kampagel, Jarrestraße 20, Hamburg
Das heißt?
Gewisse Witze mache ich tatsächlich nur noch im Privaten, weil ich finde, dass sie in einer breiten Öffentlichkeit nicht passen. Witze können eben auch schnell instrumentalisiert werden. Mit vertrauten Personen kann man viel inkorrektere Witze machen, weil sie das besser einordnen können. Dieses Vertrauensverhältnis ist dabei wichtig, denn Witze spielen ja sehr viel mit Mehrdeutigkeiten. In der Öffentlichkeit muss ich mich eben ein bisschen mehr zusammenreißen. Aber das ist der Preis, den ich für mehr Reichweite und Einfluss zahlen muss.
… der Preis, den Sie zahlen müssen oder möchten?
Natürlich möchte ich diesen Preis auch zahlen. Mir geht es schließlich nicht darum, dass ich Angst davor habe, angegriffen zu werden. Das passiert sowieso immer, weil politische Szenen ein Problem mit Mehrdeutigkeiten haben. Meine Witze werden dann oft mit so einer politikwissenschaftlichen Brille gelesen, die ausblendet, dass Humor eben mit der Doppeldeutigkeit spielt. Aber Missverständnisse gibt es eh immer.
Macht es denn einen Unterschied für Sie, wer Ihre Witze missversteht?
Absolut. Ich möchte nicht von den Leuten instrumentalisiert werden, die auch Spaß an Diskriminierung haben. Das ist mir wichtig. Aber manchmal wird auch vermeintliche Diskriminierung eines Witzes beklagt, bei dem ich erklären kann, dass er vielleicht einfach falsch gelesen wird. Bei diesen Klagen bin ich auch nicht grundsätzlich bereit, alles zu ändern, nur um ja nicht von irgendwem missverstanden zu werden. Dann könnte ich gleich mit dem Humor aufhören. Bis zur Kunstfeindlichkeit kann man es aus Rücksicht auch nicht treiben. Man muss mir schon logisch erklären können, warum etwas nicht geht, dann sehe ich das oft auch ein. Aber wenn man zu vorsichtig wird, dann macht man halt keine Kunst mehr, sondern Pädagogik.
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