Humanitäre Hilfsgelder in Syrien: Assad zwackt sich die Hälfte ab
Viele Menschen in Syrien brauchen humanitäre Hilfe. Aber nicht alles kommt da an, wo es soll. Millionenbeträge landen so bei sanktionierten Personen.
23 Prozent der Gelder, 68 Millionen US-Dollar, gingen an Personen, die von den USA, Großbritannien und der EU sanktioniert sind. Das zeigt ein neuer Bericht des in London ansässigen Syrian Legal Development Program (SLDP) und des Observatory of Political and Economic Networks (Open). Die Forscher*innen haben einhundert Vertragspartner*innen der UN untersucht, die beispielsweise Nahrungsmittel, Büroausstattung oder Elektronik lieferten.
Etwa 75 Millionen Dollar gingen in den zwei Jahren an Unternehmen, die aus „Datenschutz“- oder „Sicherheitsgründen“ nicht genannt wurden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), eine der involvierten UN-Organisationen, hat eine der höchsten Geheimhaltungsraten.
Doch Mitarbeiter*innen des syrischen WHO-Büros lieferten der Nachrichtenagentur AP im Oktober mehr als hundert vertrauliche Dokumente, die zeigen, dass die Syrien-Vertreterin der WHO, Akjemal Magtymova, Millionen Dollar falsch verwaltet und Regierungsbeamte mit Geschenken überhäuft hat – darunter Computer, Gold und Autos.
Assad setzt UN unter Druck
Für den syrischen Staat sind UN-Gelder ein beträchtliches Einkommen. 2020 zwackte das Regime von UN-Geldern, die über Syriens Zentralbank liefen, rund die Hälfte ab. Die Bank manipulierte den Umrechnungskurs bei der Auszahlung so, dass sie dabei 60 Millionen Dollar verdiente. Das fand die US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) vergangenes Jahr heraus. Die Zentralbank wird von Großbritannien, den USA und der EU sanktioniert.
Die UN arbeiteten mit dem Regime zusammen, da sie enorm unter Druck stünden, erklärte Natasha Hall vom CSIS bei einer Podiumsdiskussion anlässlich des neuen Berichts, veranstaltet von der US-Denkfabrik Middle East Institute (MEI). Entweder kooperierten sie mit Damaskus oder den UN-Mitarbeiter*innen würden Visa entzogen. In diesem Fall könnten gar keine Hilfen mehr fließen. Die UN sehen zudem Sanktionen einzelner Mitglieder nicht als ihre eigenen an.
Für Staaten wie Deutschland ergibt sich daraus ein Problem: Hilfsgelder, die über die UN verteilt werden, gehen zu Teilen an Personen und Organisationen, die die EU eigentlich sanktioniert. Die offizielle Linie der EU ist weiterhin, dass kein Geld in den Wiederaufbau oder die Normalisierung Assads gesteckt wird.
Gleichzeitig können Hilfsgelder über die UN recht einfach nach Syrien abfließen, denn die UN überweisen die Gelder von ihren Konten in New York oder Genf auf Konten, die sie in Syrien haben. Für andere Organisationen ist das schwer, denn jeglicher Bezug zu Syrien ist ein rotes Tuch für Banken und Finanzinstitutionen.
Prüfungen und Sicherheitsbedenken
Hilfsorganisationen aus dem Ausland, die Geld an die Zivilgesellschaft in Syrien überweisen wollen, haben es beispielsweise nicht so einfach: „Früher haben wir das über Privatpersonen gemacht, die als Treuhänder fungiert haben“, erzählt Svenja Borgschulte von der Nichtregierungsorganisation Adopt a Revolution in Berlin. „Aber dem wurde ein Riegel vorgeschoben. Ihre Konten wurden gesperrt, weil Gelder von NGOs nicht mehr über Privatpersonen transferiert werden dürfen.“
Eine Zeit lang habe die Organisation mit einem internationalen Geldtransferservice gearbeitet, doch darüber konnten nur 5.000 Euro überwiesen werden. „Irgendwann mussten wir alle Daten von unseren Projekten und Partner*innen offenlegen.“ Das Prüfverfahren soll davor schützen, dass das Geld nicht an sanktionierte Personen geht. Doch solche Prüfungen bringen Sicherheitsbedenken, schließlich dürfen die Daten der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen nicht an das Regime gelangen.
Für den Geldtransfer nutzt Adopt a Revolution nun Amanacard. Das ist ein Unternehmen, welches Hilfsgelder an Menschen ausgibt, die keine Bank in der Nähe haben. Die Daten von Hilfsempfänger*innen werden von Mitarbeitenden in Syrien erfasst und geprüft. Ihre Identität wird festgestellt, ohne dass Daten an das Regime oder unzuverlässige Dritte gelangen. Geberländer, Organisationen und Banken können so sicher sein, dass das Geld nicht an sanktionierte Personen gelangt.
Sie schicken das Geld über die Amanacard an ebenfalls geprüfte Vermittler wie Besitzer von Kiosken oder Geldwechsler*innen. Diese zahlen es den einzelnen Empfänger*innen aus und können das Geld an Mitarbeiter*innen von Krankenhäusern oder geflüchtete Familien geben, die wiederum den Empfang mit dem Handy bestätigen. Organisationen wie Adopt a Revolution zahlen dafür rund 7 Prozent Transfergebühren. Das Unternehmen hat eine frühere UN-Beraterin gegründet.
Lösungen
Natascha Hall sieht die Lösung in gemeinsamem Druck der Geberländer. Sie müssten bei den UN nachhaken, wohin die Gelder fließen, und darauf pochen, dass diese nicht an Unterstützer*innen des Regimes gehen.
„Wir arbeiten nicht gegen die UN, sondern mit ihnen“, erklärte Karam Shaar, Co-Autor der Studie, während der Podiumsdiskussion zu dem Bericht. „Wir versuchen, die Arbeit zu reformieren.“ Daher habe man die UN-Agenturen in die Studie einbezogen und mit ihnen über die Ergebnisse gesprochen.
Eine Empfehlung lautete, einen großen Auftrag in mehrere kleinere aufzuteilen und so kleinere und mittlere Unternehmen zu unterstützten. Die Zusammenarbeit mit den „großen Haien“ sollte vermieden werden. „Wenn Sie die syrische Geschäftsszene kennen, wissen Sie, dass man nicht so groß sein kann, ohne mit etwas Problematischem in Verbindung zu stehen“, so Shaar.
Außerdem betonte er, die UN sollten die Sanktionen Großbritanniens, der USA und der EU bei der Auftragsvergabe einbeziehen und ihre Prüfungsverfahren ernst nehmen.
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