Hühnerküken-Schredder-Urteil: Tierschutz? Später!
Freude bei der Geflügelwirtschaft, Enttäuschung bei den Grünen: Das BVG-Urteil erlaubt das Töten männlicher Küken erstmal weiterhin.
Berlin taz | Es ist ein Urteil, wie es sich die Geflügelwirtschaft gewünscht hatte. „Eine kluge Entscheidung, die der Realität gerecht wird“, sei der Spruch des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts vom Donnerstag, sagte der Präsident des Zentralverbands der deutschen Geflügelwirtschaft, Friedrich-Otto Ripke.
Danach ist das von den Brütereien in Deutschland praktizierte millionenfache Töten von gerade geschlüpften männlichen Küken zwar nicht mit dem Tierschutzrecht vereinbar. Allerdings muss sich die derzeitige Praxis erst ändern, wenn neue technische Verfahren marktreif sind.
Die Wirtschaft wolle „lieber heute als morgen aus dem Kükentöten aussteigen, ohne praxistaugliche Alternativen geht das aber nicht“, sagte Ripke. Nach Ansicht der Hühnerbarone müssen die Kosten für ethisch annehmbare Verfahren bei der Legehennenzucht so gering wie möglich bleiben. Sonst drohe den etwa 10 bis 15 Brütereien in Deutschland das Aus.
Das Urteil aus Leipzig gebe der Wissenschaft die Zeit, „die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei erfolgreich zum Abschluss zu bringen“, sagte Ripke.
Geschlechterbestimmung auf dem Weg
Ähnlich sah das Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU): Auch sie betonte, das Massentöten männlicher Küken müsse „so schnell wie möglich“ beendet werden. Das Verfahren zur Geschlechtsbestimmung sei auf dem Weg zur Serienreife und werde Brütereien bald flächendeckend zur Verfügung stehen. Die Verbraucher sollten Eier kaufen, die ohne Kükentöten erzeugt werden.
Von „positiven Implikationen für den Tierschutz“, sprach auch der Anwalt der Tierrechtsorganisation Peta, Christian Arleth. Er kritisierte aber, dass das Gericht den Ball an die Politik zurückspiele und sich darauf verlasse, dass verbindliche Maßstäbe gesetzt würden.
Auch der Deutsche Tierschutzbund beklagte, dass das Gericht keine Frist festgelegt habe: „Wir hätten uns ein sofortiges Verbot gewünscht.“ Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, mahnte in der Rheinischen Post, „für Verlässlichkeit und Planungssicherheit würde ein Ausstiegsdatum sorgen“.
Politische Enttäuschung
Das Urteil sei eine „tierschutzpolitische Enttäuschung“, sagte Grünen-Chef Robert Habeck. Kükenschreddern müsse umgehend verboten werden. Er forderte eine Grundsatzdebatte über die Bedingungen der Tierhaltung in Deutschland.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärte, es sei künftig nicht mehr mit dem Tierschutzgesetz vereinbar, „dem Leben eines männlichen Kükens jeden Eigenwert abzusprechen“. Das müsse die Rechtsprechung berücksichtigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!