Hubertus Heil über Hartz IV-Reform: "Das riecht nach Willkür"
Die Regierung müsse sich bei Bildungspaket, Mindestlohn und Regelsatz bewegen, sagt SPD-Vizefraktionschef Hubertus Heil. Sonst stimme seine Partei der Reform nicht zu.
taz: Herr Heil, die Hartz-IV-Reform ist im Bundesrat gescheitert, jetzt sucht der Vermittlungsausschuss nach einem Kompromiss. Unter welchen Umständen wird die SPD einer Neuregelung zustimmen?
Hubertus Heil: Drei Dinge müssen sich bewegen: Wir brauchen ein echtes Bildungspaket, etwa durch mehr Schulsozialarbeit, und die Sicherstellung eines warmen Mittagessens für alle Kinder von Geringverdienern. Zudem brauchen wir eine transparente Berechnung der Regelsätze und Fortschritte im Bereich der Mindestlöhne.
Sie fordern eine transparente Berechnung. Wo hat Schwarz-Gelb denn falsch gerechnet?
Es gibt erhebliche Zweifel, dass das, was Schwarz-Gelb vorgelegt hat, den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Es wurden etwa nur die unteren 15 Prozent der Einkommensbezieher als Bezugsgröße gewählt, bisher waren es die unteren 20 Prozent. Das riecht nach Willkür.
Mit der Mini-Erhöhung um 5 Euro sind Sie also nicht einverstanden?
Nein. Wir wollen das nachvollziehbar miteinander berechnen. Momentan fährt Frau von der Leyen die Strategie "Warme Worte, kalte Taten". Ich weiß nicht, ob ihre aktuellen Äußerungen die Verhandlungen wirklich nach vorn bringen.
Hubertus Heil, 38, ist Vize-Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und dort zuständig für die Themen Wirtschaft und Arbeit. Er ist seit 1998 im Bundestag und war von 2005 bis 2009 Generalsekretär der SPD.
Wie hoch müsste der Regelsatz sein?
Wir setzen zwar keine wilden Zahlen in die Welt, gehen aber davon aus, dass die Bezugsgröße, die gewählt wurde, nicht stimmt. Das muss man gemeinsam berechnen, dann kommt auch ein anderer Betrag heraus.
Das klingt nach viel Arbeit. Ist das denn im Januar noch zu schaffen?
Wir haben unsere Vorschläge vor Weihnachten vorgelegt, jetzt muss sich die andere Seite bewegen, und wir können zu einer schnellen Lösung kommen.
Reicht Ihnen ein Mindestlohn etwa bei der Zeitarbeit aus?
Um den Lohnabstand zu wahren, braucht es den gesetzlichen Mindestlohn. Dringend braucht die Zeit- und Leiharbeit, aber auch die Weiterbildungsbranche den Mindestlohn.
Steckt die SPD nicht in einem Dilemma, wenn sie eine Reform, die sie selbst erfunden hat, jetzt als unsozial geißelt und Korrekturen fordert?
Nein. Karlsruhe hat mit dem Urteil ja der Politik insgesamt ins Stammbuch geschrieben. Und man muss bedenken, dass damals alle beteiligt waren, CDU und FDP genauso wie wir und die Grünen. Deshalb muss man jetzt die Konsequenzen ziehen und darf nicht wieder sehenden Auges in eine verfassungswidrige Lösung laufen.
Glauben Sie, dass die Menschen Ihnen das abnehmen und die SPD als soziale Alternative sehen.
Ich bin der Überzeugung, dass die Leute wissen, dass das Thema soziale Gerechtigkeit bei der SPD besser aufgehoben ist als bei Schwarz-Gelb.
Haben Sie die Latte für Schwarz-Gelb nicht zu niedrig gehängt?
Nein, diese genannten Punkte sind erreichbar, wenn alle Seiten sich bewegen. Sie sind auch sinnvoll. Am Ende des Tages geht es darum, die Lebens- und Bildungschancen von Kindern und auch Erwachsenen zu verbessern.
Wie stehen die Chancen, dass man bei der nächsten Verhandlungsrunde Anfang Januar schnell zu einem Ergebnis kommt.
Das kommt darauf an, ob Schwarz-Gelb dazu bereit ist, auf diese Vorschläge einzugehen. Frau von der Leyen hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sie im Bundesrat Schiffbruch erlitten hat. Wir haben mit den Grünen klare Vorschläge gemacht. Jetzt müssen die anderen sagen, was geht, und nicht dauernd, was nicht geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid