Hotelzimmer für Obdachlose gefordert: Ungewöhnliche Allianz
In Hamburg wollen Linke und CDU eine Einzelunterbringung für Obdachlose. Das Winternotprogramm müsse ausgeweitet werden.
„Wie jedes Jahr aufs Neue fordern wir zuerst: Das Winternotprogramm muss auch tagsüber und für alle da sein“, sagt Stephanie Rose, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Dass die Stadt erstmals einen Tagesaufenthalt in der Markthalle eingerichtet hat, hält Rose zwar für gut.
Ausreichend sei das allerdings nicht. „Die Menschen müssen sich ausruhen und zur Ruhe kommen können. Das geht nicht, wenn sie morgens die Unterkunft verlassen müssen“, sagt Rose. Wer krank sei, müsse auch tagsüber im Bett liegen bleiben müssen.
Zudem verschärfe die Coronapandemie die Lage. Die CDU fordert aus Infektionsschutzgründen die Einzelunterbringung von Obdachlosen. Dasselbe will auch die Linke. Schließlich würden Obdachlose zur Hochrisikogruppe gehören. „Wir müssen jetzt dringend Alte und Kranke schützen, so wie im Frühjahr“, sagt Andreas Grutzeck, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion. Das sei aber in den gegenwärtigen Unterbringungen nicht möglich, weil es nicht genügend Einzelzimmer gibt.
„Kein Obdachloser kerngesund“
Auch Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Straßenprojekt Hinz & Kunzt, hält die Einzelunterbringung für zwingend erforderlich. Und diese müsste für alle Obdachlosen gelten: „Allein schon durch die Obdachlosigkeit an sich gehören Wohnungslose zur Risikogruppe“, sagt Karrenbauer.
Schließlich befördere das Leben auf der Platte gesundheitliche Beeinträchtigungen. Zudem hätten viele Obdachlose ohnehin Vorerkrankungen. „Ich kenne keinen einzigen Obdachlosen, der kerngesund ist“, sagt Karrenbauer.
Die CDU schließt sich deshalb der Forderung von Hinz & Kunzt an, wie eine Einzelunterbringung in den kommenden Wintermonaten konkret umgesetzt werden könnte: Hotels sollen angemietet werden. Diese stünden schließlich in weiten Teilen wegen der Coronapandemie leer. Mit dem seit Montag geltenden touristischen Beherbergungsverbot hat sich die Leere noch einmal verstärkt.
Erfahrung damit gibt es schon, seit im Frühsommer ein Hotel mit 250 Betten für Obdachlose angemietet worden war. Sozialarbeiter*innen hatten von guten Erfahrungen der Bewohner*innen berichtet.
Auch gut für Hotelwirtschaft
Finanziert war die vierwöchige Unterbringung durch Belegschaft und Geschäftsführung der Reemtsma Cigarettenfabriken. „Entweder die Sozialbehörde findet einen Sponsor oder sie muss es diesmal selbst zahlen“, sagt Grutzek.
650 Übernachtungsplätze an zwei Standorten stellt die Stadt zur Verfügung. Durch weitere Plätze bei privaten Trägern und Notunterkünften sowie durch Reserven sind es insgesamt etwas mehr als 1.000 Betten.
Offiziell knapp 2.000 Obdachlose gibt es aber in der Stadt. Tatsächlich dürfte die Zahl viel höher liegen. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß allerdings niemand.
Karrenbauer sieht darin auch noch einen zweiten Vorteil: „Das wäre für die Hotelwirtschaft auch noch die beste Wirtschaftsförderung, die man sich vorstellen kann“, sagt Karrenbauer.
Die Linke fordert außerdem, dass ein Runder Tisch eingerichtet werden soll. Anlass ist der Tod eines Obdachlosen im August, bei dem der Rettungsdienst und die Polizei zuvor möglicherweise einen medizinischen Notfall verkannt hatten. „Wir sollten gemeinsam herausfinden, wie verhindert wird, dass so viele Menschen sterben“, sagt Rose. Ideen gebe es genug.
Die Sozialbehörde äußerte sich zunächst nicht zu den Vorschlägen. In der Vergangenheit hatte die Behörde die Forderung nach einer Anmietung von Hotels aber mehrfach abgewiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren