Hostelbetreiber unter Verdacht: Aus der Notlage Geld machen
Landeskriminalamt ermittelt: Aus der Wohnungsnot von Geflüchteten und Obdachlosen wird durch Abrechnungsbetrug Profit geschlagen.
Das Berliner Landeskriminalamt ermittelt im großen Umfang gegen Hostelbetreiber, die bei der Abrechnung der Unterbringung wohnungsloser und geflüchteter Personen betrügen. Polizeisprecher Winfried Wenzel spricht gegenüber der taz von 130 Ermittlungsverfahren aus den vergangenen drei Jahren, die bereits an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden, sowie 200 weiteren, die die Polizei noch bearbeitet. Wegen der großen Zahl der Delikte hat das Landeskriminalamt eigens eine Arbeitsgruppe „Quartier“ gegründet.
Der Betrug läuft nach Polizeiangaben wie folgt ab: Die obdachlosen Menschen werden in einer normalen Wohnung untergebracht. Abgerechnet wird beim Sozialamt allerdings eine Unterbringung im Hostel. Dafür bekommt der Vermieter dann Tagessätze pro Person von 20 bis 25 Euro vom Sozialamt erstattet statt der normalen Wohnungsmiete.
Für eine vierköpfige Familie kann man auf diese Weise bei einem Tagessatz von 20 Euro insgesamt 2.400 Euro Miete pro Monat einstreichen – deutlich mehr also als die Mietkosten. Das wäre nur dann legal, wenn man tatsächlich ein Gewerbe als Hostelbetreiber angemeldet hat und eine Zweckentfremdungsgenehmigung für das Hostel vorliegt. Oft sei das Polizeiangaben zufolge aber nicht der Fall.
Es gibt weitere Betrugsmaschen: Etwa, dass eine Unterbringung noch abgerechnet wird, wenn die Menschen längst ausgezogen sind. Oder aber geflüchtete und obdachlose Menschen erhalten Mietverträge für eine normale Wohnung oder ein WG-Zimmer mit einem Mietpreis in Höhe von etwa 450 Euro, werden aber tatsächlich in Mehrbettzimmern mit bis zu sechs Personen pro Zimmer untergebracht.
Abhängigkeitsverhältnisse
Über letzteren Fall berichtet der Syrer M. A. der taz: „Als meine Familie im Familiennachzug zu mir nach Deutschland kommen durfte, musste ich aus dem Flüchtlingsheim ausziehen. Ein Wachmann aus dem Heim brachte uns bei einem Freund unter. Wir hatten ein Zimmer zu viert und teilten Toilette und Küche mit unbekannten Männern in zwei Nebenzimmern. Abgerechnet wurde aber die Dreizimmerwohnung.“ Den Schummel hat er einige Zeit mitgemacht, weil seine Familie andernfalls in eine Obdachlosenpension mit weit schlimmeren Wohnbedingungen eingewiesen worden wäre.
Polizeisprecher Winfried Wenzel spricht davon, dass so ein Betrug auch zu Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Wohnungsgebern und Geflüchteten führen könne, was sich schon daraus ergäbe, dass solche Mietverträge oft nur befristet seien und die Mieter wegen der Wohnungsnot kaum eine Alternative hätten. Es käme zudem vor, „dass die Geflüchteten einen Minijob, z. B. als Reinigungskraft, Hausmeister oder Portier innehaben“.
Die Strafanzeigen werden bei diesen Ermittlungsverfahren in der Regel durch die betrogenen Behörden bei der Polizei gestellt. Das sind Jobcenter, Sozialämter und das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten.
Für diese Ämter ist die Recherche schwierig. Denn die Kosten werden nicht beim Sozialamt des Bezirks abgerechnet, in dem die Pension liegt, sondern bei dem, das sich aus dem Geburtsmonat des Obdachlosen oder Flüchtling ergibt. So können durch Pensionen in Neukölln beispielsweise Rechnungen an alle zwölf Berliner Sozialämter und Jobcenter ausgestellt werden.
„Heimbegeher“ eingestellt
Sozialämter haben darum sogenannte Heimbegeher eingestellt, denen bei Kontrollen vor Ort die gesamte Belegungsliste ausgehändigt werden muss und die auch beim Einwohneramt recherchieren, erläutert Lichtenbergs Sozialstadträtin Birgit Monteiro (SPD) der taz.
Die Heimbegeher kontrollieren eine Unterkunft, wenn sie beispielsweise neu ist, wenn die Post vom Amt nicht zugestellt werden konnte oder wenn Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung auffallen. „Sollte sich der Verdacht erhärten“, so Monteiro weiter, werden die anderen Berliner Bezirke informiert, um einen Belegungsstopp zu erwirken und die bisherigen Bewohner zu verlegen. Außerdem werde die Polizei eingeschaltet.
Der Sozialdemokratin zufolge kann die Betrugsmasche aber in Berlin funktionieren, solange es Wohnungsnot gibt. „Die Berliner Sozialämter sind auf alle Angebote zur Unterbringung angewiesen – die Vermeidung von Obdachlosigkeit hat höchste Priorität. Der Personenkreis der Wohnungslosen hat sich ständig vergrößert. Heute benötigen alleinstehende Männer/Frauen, Familien, psychisch und physisch beeinträchtigte Personen und Personen mit Haustieren bedarfsgerechte Unterbringung.“ Für keine dieser Gruppen gäbe es aber genügend Wohnheimplätze in Berlin. Sozialämter seien darum auf ihnen unbekannte Angebote angewiesen. „Diese werden aber natürlich zeitnah geprüft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei