Horrorfilm „Strange Darling“: Genuss an Gewalt
Chronologische Verdrehung und Zelluloid-Verehrung: Die Serienkiller-Story „Strange Darling“ orientiert sich an Tarantino und dem italienischen Giallo.
Zwei Schrifttafeln ganz zu Beginn. Die eine behauptet, in diesem Film werde eine wahre Serienkiller-Geschichte aus der jüngsten Vergangenheit erzählt. Das ist reine Erfindung. Die andere: Der ganze Film ist ausschließlich auf 35-mm-Zelluloid-Film gedreht.
Das ist die Wahrheit und es ist eine Wahrheit, die „Strange Darling“ in seinen Bildern wahrlich nicht zu verstecken versucht. Anfang und Ende sind schwarz-weiß, dazwischen aber darf man in saturierten Farbmeeren baden. Blonde Perücke, knallrotes Auto, Landschaften im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, die in Licht und Hitze vibrieren.
So sieht nicht die Wirklichkeit aus, nicht in unserer Vorstellung jedenfalls, sondern das Kino. Und so signalisiert der Film Bild für Bild: Es ist die Geschichte des Kinos, aus der er sich in seinen Bildern, aber auch in seinem Plot ohne Ende bedient.
Ein Kino der Gewalt, zu dem Blut als Farbe gehört; ein Kino des Exzesses, das sich in Richtung der sechziger und siebziger Jahre (in Interviews nennen die Macher Roman Polanskis „Repulsion“ oder Ken Russells „The Devils“), aber auch in Richtung italienischer Giallo, etwa Dario Argento, orientiert, und zwar so deutlich, dass das Bedienen aus diesem Repertoire immer schon mitinszeniert ist.
Kamera prominent geführt von Giovanni Ribisi
Die Kamera gibt sich nicht nur in ihrem üppigen Primärfarb-Konzept stylish, sie sucht auch eher die ungewöhnliche als die naheliegende Perspektive: Draufsicht, die die Figur in ihre Umgebung hinein abstrahiert; oder sie rast mit dem rasenden knallroten Auto knapp über den Asphalt. Ein langer Dialog im Dunkeln findet auf einem Motelparkplatz vor markanter Lichttafel statt.
Entwickelt hat das Konzept (gemeinsam mit Regisseur TJ Mollner) ein Mann, der hier erstmals in einem großen Film die Kamera führt: der Schauspieler Giovanni Ribisi, seit „Saving Private Ryan“ ein mittelgroßer Hollywoodstar. Nun das Debüt hinter der Kamera – im Film selbst hört man nur seine Stimme –, ein Seitenwechsel der außergewöhnlichen Art.
Der Plot, der in „Strange Darling“ abgespult wird, ist einerseits ganz generisch. Treffen sich ein Mann und eine Frau zu einem One-Night-Stand. Sie tragen gar nicht erst Eigennamen, sondern werden in der Erzählung „The Lady“ (Willa Fitzgerald) und „The Demon“ (Kyle Gallner) genannt. Beim erwähnten Dialog im Dunkeln im Auto, bevor es aufs Motelzimmer geht, sagt sie zu ihm: „Du machst einen freundlichen Eindruck, aber eine Frage muss ich dir stellen: Bist du ein Serienmörder? Schließlich weiß man ja nie.“
„Strange Darling“ (USA 2023, Regie: TJ Mollner). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.
Und nein, man weiß es nicht. Man erfährt die Wahrheit auch in diesem Film, der zur wilden Verfolgungsjagd wird, nur nach dem einen und anderen Twist. Nicht zuletzt, weil die ganze Erzählung chronologisch verdrillt und verdreht ist. In sechs Kapiteln erzählt, plus Epilog, nur dass die Kapitel nicht aufeinander folgen, die Geschichte springt in der Zeit vor und zurück. Sie hält auf diese Weise gezielt mit wichtigen Informationen hinter dem Berg, an der einen oder anderen Stelle ist die Überraschung dann groß.
Das alles – die chronologische Verdrehung, die Zelluloid-Verehrung, der Genuss der Gewalt, die kenntnisreiche Retro-Orientierung am Genre-Kino – erinnert natürlich vor allem an einen: Quentin Tarantino, dessen „Pulp Fiction“ gerade seinen 30. Geburtstag feiern durfte.
„Strange Darling“ zeigt: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Eine Form des Kinos, die nicht Realität will, sondern Kino. Unter den vielen Tarantino-Epigonen zählt Regisseur und Autor TJ Mollner (mit seinem Kameramann) sichtlich zu den begabten. Dieser Film ist kein reiner Abklatsch, sondern macht am Ende sein eigenes Ding.
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