Horrorfilm „It Comes at Night“: Hinter der Tür rumort es
Der Schrecken lauert innen. Und je mehr sich die Haus-Bewohner abschirmen, umso bedrohlicher werden auch die Miteingeschlossenen.
Selten nur sieht man die Außenseite, die Fassade des Hauses, in dem die Familie wohnt, die im Zentrum von „It Comes at Night“ steht. Aber wenn doch, dann wirkt sie wie ein Fremdkörper in ihrer Umgebung und auch im Film: Ein großzügiges, aufwändig verarbeitetes, fast schon ornamental überbordendes Anwesen ist das, das da mitten im Nirgendwo steht, allseitig umgeben von einem endlosen Wald, und außerdem von einer feindseligen Welt, in der man niemandem trauen kann.
Es gibt ein Missverhältnis zwischen der gepflegten, auf Wohlstand und Komfort verweisenden Außenwirkung dieses Hauses und seinen düsteren Innenräumen, in denen der Film zu weiten Teilen spielt: Die Familie, bestehend aus Vater Paul (Joel Edgerton), Mutter Sarah (Carmen Ejogo) und dem Teenager-Sohn Travis (Kelvin Harrison Jr.), lebt in einem schummrigen Halbdunkel vor sich hin, alle Fenster sind vernagelt, die Decken sind niedrig. Die Zimmer karg eingerichtet, es dominiert ein nüchterner Esstisch, an dem die Familienmitglieder sich gegenübersitzen, wortkarg und deprimiert, zumeist.
Wir hier drinnen gegen all das andere da draußen: Das ist eine – politisch fast immer, und dieser Tage wieder ganz besonders, anschlussfähige – Ausgangssituation, die das Horrorkino schon häufig aufgegriffen hat, zuletzt etwa in „10 Cloverfield Lane“. Auch in „It Comes at Night“ wütet draußen vor der Tür ein lebensvernichtendes, nicht näher spezifiziertes Grauen, es scheint eine Art Seuche umzugehen, die Leute Blut spucken lässt, und die, wie der Titel sagt, nur nachts zuschlägt.
Ein ahistorischer Fastnaturzustand
Hintergründe, Erwartungshorizonte, Erinnerungen an bessere Zeiten: All das sucht man vergebens in „It Comes at Night“. Die Seuche scheint die Welt in einen ahistorischen Fastnaturzustand zurückversetzt zu haben. (Paul war einmal, so viel erfahren wir immerhin, Geschichtslehrer; das taugt in der Gegenwart freilich nur noch zu einem schlechten Scherz.) Die einzige Überlebensmöglichkeit besteht darin, sich abzukapseln, so hermetisch wie möglich, sich zur kleinfamiliären Schicksalsgemeinschaft zu verschweißen, sich tagsüber höchstens für die Essensbeschaffung nach draußen zu wagen und nachts alle Türen zu verrammeln.
Wer nur ein paar dieser Filme dieser Art gesehen hat, ahnt schnell, dass die Situation sich eigentlich genau umgekehrt darstellt: Das wahre Grauen lauert nicht außen, sondern innen, je mehr man sich vor Eindringlingen abschirmt, desto weniger traut man den Miteingeschlossenen, und irgendwann bedarf es nur noch eines winzigen Anlasses, um das fragile Miteinander der Schicksalsgemeinschaft aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Der einzige Weg ins Freie führt einen langen, engen Gang entlang und dann auf eine rot angestrichene Tür zu, die, das wird Paul nicht müde zu betonen, unbedingt geschlossen bleiben muss, vor allem nachts. Eine rote Tür, die nicht geöffnet werden darf, die aber natürlich auf alle Beteiligten eine magnetische Anziehungskraft ausübt: Das ist eines von vielen klassischen Horrorfilmmotiven, die Trey Edward Shults in seinen Film einbaut.
Hinter der Tür rumort es
Und tatsächlich rumort es eines nachts hinter der Tür. Weil Paul, seinem struppigen Bart zum Trotz, nun mal kein Unmensch, sondern ein ehemaliger Geschichtslehrer ist, bringt er es nicht übers Herz, den um Hilfe bittenden Will (Christopher Abbott) zu verstoßen. Stattdessen lässt er ihn bei sich und den seinen einziehen, gemeinsam mit Frau Kim (Riley Keough) und Kind.
Dass sich die Anordnung damit grundsätzlich ändert, wird spätestens klar, wenn Travis und Kim sich das erste Mal allein am Tisch gegenübersitzen und der Jugendliche realisiert, dass jetzt plötzlich eine weitere Frau im Haus lebt, und zwar eine, die nur ein paar Jahre älter ist als er selbst. Aber vielleicht gehören die verschämten Blicke, die der schüchterne, zurückgezogen in seinen eigenen (Traum-)Welten lebende Junge Kim zuwirft, auch nur zu den vielen falschen Fährten, die Shults auslegt im Lauf des Films.
Shults hat in seinem Spielfilmdebüt sichtlich Freude daran, mit den Konventionen des Gruselkinos zu spielen, Zuschauererwartungen mal souverän zu bedienen, mal gezielt zu unterlaufen. „It Comes at Night“ ist damit Teil einer neuen Welle im US-amerikanischen Horrorkino, das noch bis vor wenigen Jahren von einer ganz anderen Gangart dominiert wurde: Genrevertreter wie „Hostel“ oder „Martyrs“ brachten dem Feuilleton den Begriff „Torture Porn“ bei, und insbesondere die in den Nullerjahren immens erfolgreichen „Saw“- und „Final Destination“-Filmserien können kaum anders denn als gut geölte Menschenvernichtungsmaschinen beschrieben werden.
Stimmung statt Splatter
Seit ein paar Jahren entstehen allerdings wieder vermehrt Filme – zumeist eher im Independentsektor verortet, aber durchaus in Sichtweite der Studios –, die nicht auf Splatterorgien setzen, sondern auf sorgfältige Stimmungsmodulation. Der Schrecken wird weniger direkt ins Bild gesetzt, im Sinne einer klaffenden Wunde, die Haut und Leinwand gleichermaßen versehrt, sondern er wird mit filmischen Mitteln evoziert, durch Andeutungen, Auslassungen, auch durch eine fein gearbeitete Tonspur, wenn etwa in „It Comes at Night“ Spannung durch im Vorübergehen aufgeschnappte Gesprächsfetzen oder durch ein unheimliches Rumoren im Nachbarzimmer erzeugt wird.
Filme wie „It Follows“ (2015), „Green Room“ (2016), „Bone Tomahawk“ (2016) oder eben „It Comes at Night“ bringen zweifellos dringend notwendigen frischen Wind in das Genre. Gleichzeitig jedoch zelebrieren sie eine Retroästhetik, die manchmal ein wenig irritiert. Der handwerklichen Sorgfalt in der filmischen Gestaltung entspricht eine Liebe zum Handgemachten, die digitale Gegenwart bleibt sogar in Filmen, die im Hier und Jetzt spielen, ausgespart. Selbst Handys sucht man zumeist vergeblich.
Die Liebe zum Handgemachten, zur Retroästhetik irritiert in den neuen Horrorfilmen
Auch urbane Schauplätze tauchen kaum auf. „It Follows“ spielt in einer märchenhaft verwunschenen Kleinstadtwelt, „Bone Tomahawk“ in einer kargen Wüstenlandschaft, und am allerliebsten zieht sich das neue Horrorkino in die Wälder zurück – nicht nur in „It Comes at Night“, sondern auch in „Green Room“, in der filmtechnisch beeindruckenden Stilübung „The Witch“ (2016) oder dem wunderbar verschrobenen „The Alchemist Cookbook“ (2016). Das hat ebenfalls Tradition im Genre: Die Backwood-Klassiker der 1970er Jahre im Gefolge von „The Texas Chainsaw Massacre“ verorteten den Schrecken ebenfalls fernab der Großstädte, in den abgehängten, teils noch fast vormodern anmutenden Weiten des amerikanischen Südens zum Beispiel.
Bei den aktuellen Produktionen hat man allerdings oft den Eindruck, dass es weniger um eine Furcht vor, als um eine Sehnsucht nach den Wäldern geht. Das muss nicht gleich auf einen neuen Primitivismus hinauslaufen, aber die Filme scheinen sich doch einig zu sein in ihrer Skepsis gegenüber der zunehmend virtualisierten modernen Lebenswelt.
So finster die Geschichten auch sind, die das neue Horrorkino erzählen – im Kern geht es vielleicht eher um eine tröstliche Rückversicherung: Wenigstens im Kino kann man noch authentische ästhetische oder auch körperliche Erfahrungen machen, kann sich gemeinsam mit den Filmen ins Gebüsch schlagen, wo das Laub im Wind raschelt, die Füße im Matsch stecken bleiben und das Blut verkrustet.