Hongkongs Massenproteste: Das Politdesaster der Carrie Lam
Die ungeliebte Regierungschefin hat die Massenproteste gegen das Auslieferungsgesetzt nicht entschärft. Stattdessen heizte sie sie nur weiter an.
Vor einer Woche meinte sie zunächst, eine Massendemonstration mit bis zu einer Million Menschen ignorieren und das umstrittene Gesetz, das die Auslieferung von Regierungsgegnern an Chinas Justiz ermöglichen könnte, noch bis zu diesem Donnerstag durch den Legistlativrat boxen zu können.
Doch dann kam es am letzten Mittwoch vor dem Parlamentsgebäude zur größten Polizeigewalt, die die Stadt seit Jahrzehnten gesehen hat. Zehntausende hatte erfolgreich die zweite Lesung des Gesetzes im Legislativrat blockiert, weil niemand in das Gebäude kam.
Lam erklärte zwei Tage später daraufhin das Gesetz für eingefroren, hielt aber explizit an dem Vorhaben fest. Für die Proteste machte sie nur Schwächen der Kommunikation verantwortlich. Grundsätzliche Kritik an dem Gesetz nahm sie weiter nicht ernst. Eine Entschuldigung für ihre als arrogant empfundene Art lehnte sie ebenso ab wie für die massive Polizeigewalt, die viele Hongkonger schockiert hatte.
Nach Lams Äußerungen kommen noch mehr Demonstranten
Statt, wie erhofft, den Demonstranten entgegen zu kommen, heizte Lam die Proteste nur weiter an. Am Sonntag gingen dann nach Veranstalterangaben knapp zwei Millionen der 7,5 Millionen Hongkonger gegen das Gesetz auf die Straße und forderten Lams Rücktritt. Die Polizei sprach wie üblich von viel weniger Protestierenden, aber auch deren Zahl von 338.000 gegen 245.000 Demonstranten vom Sonntag zuvor zeigt einen deutlichen Anstieg.
Während des stundenlangen Protestmarsches entschuldigte sich Lam dann doch noch und räumte „Defizite in der Regierungsarbeit“ ein. Aber das machte sie nur in einer schriftlichen Erklärung und wieder, ohne das von den Demonstranten geforderte endgültige Ende des Gesetzes zu verkünden, eine Untersuchung der Polizeigewalt anzukündigen oder den eigenen Rücktritt in Aussicht zu stellen.
Es war daher kein Wunder, dass die Organisatoren der Großdemonstration Lams halbherzige Entschuldigung unbeeindruckt ablehnten. In der Nacht zu Montag blockierten Demonstranten des rekordverdächtigen Marsches vom Vortag eine Straße vor dem Legislativrat. Am Montag einigten sie sich mit der Polizei, ihren Protest in einen Park zu verlegen.
Studentenfüher frei
Der 22-jährige Studentenführer Joshua Wong wurde Montagmorgen aus dem Gefängnis entlassen. Er war einer der Führer der Regenschirmbewegung 2014. Zunächst war er zu drei Monaten Haft verurteilt worden. Wegen seiner damaligen Minderjährigkeit wurde das Strafmaß aber auf zwei Monate reduziert. Jetzt wurde er wegen guter Führung schon nach einem Monat freigelassen. Er forderte sofort Lams Rücktritt. Sie sei „nicht mehr qualifiziert“.
Die Presseagentur AP zitierte am Montag den Politiker Lam Ching Choi aus Lams Kabinett mit den Worten, er rechne damit, dass sie sich in naher Zukunft erneut für das Gesetzesvorhaben entschuldigen werde. Viele hoffen, dass sie dann auch endlich zurücktritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu