Homosexualität in der Literatur: Antikes Schwulsein heute
Homo-Plots in griechischen Mythen sind ein kleiner Trend in der zeitgenössischen Literatur. Warum, und was genau wird dort verhandelt?
Warum überhaupt die alten Griechen? Muss man deren Lieder noch mal in die Mikrowelle stecken in der Gegenwart? Gibt es keine dringlicheren Geschichten? Und doch zieht selbst bei Ocean Vuong, 31, in dessen zweitem Gedicht des Bandes „Nachthimmel mit Austrittswunden“ (dt. 2020), der junge Telemachos seinen Vater, mutmaßlich Odysseus, aus dem Meer.
Ist ja nicht so, dass der in Vietnam geborene Vuong, der über Queerness, Migration, Rassismus, Klassismus in den USA der Jahrtausendwende schreibt, keine anderen Themen auf Lager hätte als den ollen Homer. Und doch greift Vuong an dieser Stelle auf antikes Personal zurück – auch um Männerbilder zu hinterfragen und wie sie durch Kriege sowie deren Narrative geformt wurden. Damit reflektiert Vuong dann auch übers Mann- und Schwulsein in der Gegenwart.
In deutscher Übersetzung sind in den letzten zwölf Monaten gleich drei prominentere Romane (wieder-)erschienen, die eine schwule Liebesgeschichte in einen altgriechischen Mythos hineinschreiben – oder immerhin den antiken latent schwulen Plot forcieren: Die Kanadierin Anne Carson, die zu Recht seit Jahren für den Nobelpreis gehandelt wird, erzählt in den beiden sehr assoziativ-lyrischen Versepen „Rot“ (dt. 2019) von einem roten Wesen namens Geryon.
Im Original-Mythos wird Geryon seiner schicken Rinderherde wegen vom Krieger Herkules ermordet; bei Anne Carson werden die beiden, scheinbar Soulmates, ein Liebespaar auf Zeit, das in der Gegenwart lebt oder eher einer magischeren Version davon. Unbedingt lesenswert!
Klytaimnestra und Elektra
Der irische Autor Colm Tóibín wiederum erzählt im „Haus der Namen“ (dt. 2020) die antike Orestie kapitelweise aus der Sicht von Frauen: Klytaimnestra und Elektra. Und er gönnt seinem jugendlichen Orestes auch eine bei den antiken Autoren nie erwähnte Liebschaft mit Leandros. Tóibin gibt ihr inmitten seines bluttriefenden Anti-Kriegs-Romans erstaunlich viel Raum. Die fragile Idylle kontrastiert hart mit den brutalen Rollen, die beide im Krieg da draußen zunächst ausfüllen, aber letztlich hinter sich lassen.
Die US-amerikanische Autorin Madeline Miller, Jahrgang 1978, musste in ihrem Debütroman „Das Lied des Achill“ eigentlich weniger tollkühn erfinden als Carson und Tóibín, denn die schwule Liebe von Achill und Patroklos wird in Homers „Ilias“ nahegelegt und bereits von antiken Autoren wie Platon und Aischylos als sicher gesetzt – auch wenn in Wolfgang Petersens „Troja“-Verfilmung (2004), die sich aus heutiger Sicht wie ein Prototyp von „Game of Thrones“ guckt, davon nichts zu sehen war, sondern, im Gegenteil, Brad Pitt als Achill direkt in der ersten Szene eine Frau im Bett hat und Patroklos bloß der Cousin ist. Wer’s glaubt!
Madeline Miller nun, die an der renommierten Brown University in Rhode Island Griechisch und Latein studiert hat, erzählt über Achill, aber gänzlich aus der Sicht von dessen Geliebten Patroklos. Das amerikanische Original war 2011 ein New-York-Times-Bestseller, erschien sogar rasch in deutscher Übersetzung bei Bloomsbury, allerdings ziemlich unter dem Radar. Nachdem Millers Klassiker-Modernisierung „Ich bin Circe“ 2019 auch hierzulande mehr Beachtung erfuhr und für ihre feministische Perspektive gelobt wurde, brachte der Eisele Verlag den Achill-Roman 2020 noch mal neu heraus.
Achill und Patroklos
Millers Strategie hat ihren Reiz, sie fängt viele Jahre vor dem Trojanischen Krieg an, als sich die jungen Prinzen Achill und Patroklos kennen und lieben lernen, wobei Miller die Anziehung auch recht körperlich beschreibt und dabei manchmal nur knapp am Softporno vorbeischrammt. Aber immerhin: Schwules Begehren kommt im „Troja“-Film und auch sonst in Hollywood-Bildern und in der Mainstream-Popkultur noch viel zu wenig vor.
Selbst im „Call Me By Your Name“-Film schwenkt die Kamera (anders als in der Buchvorlage) dezent Richtung Pfirsichgarten, wenn Elio und Oliver miteinander schlafen. Millers Achill begeistert sich fürs Musizieren auf der Lyra – und Patroklos für die Heilkunst. Und beide füreinander sowieso. Auch den weiblichen Figuren (besonders Achills Mutter Thetis) gibt Miller viel Kontur. Letztlich jedoch wird Achill bei Miller zwar keine Mordsmaschine, aber doch ein Krieger, wenn auch Patroklos an den alten Männerkitsch-Konventionen von Ehre und Heldenmut stark zweifelt und auf Achill friedfertig einzuwirken sucht.
Madeline Miller, „Das Lied des Achill“, aus dem Englischen übersetzt von Michael Windgassen, Eisele Verlag München, 2020, 14,99 Euro
Als Pazifist wird man mit dem pathetisch-heroisierenden Duktus, dem Miller dann stellenweise doch erliegt, nicht glücklich. Hier läuft Miller Gefahr, ihren schwulen Achill als extraharten Mackerkrieger zu inszenieren. Übrigens eine fragwürdige Mode und Methode, die Didier Eribon in den „Betrachtungen zur Schwulenfrage“ (dt. 2019) schon in graecophilen Homo-Literaturzirkeln des 19. Jahrhundert kritisch beobachtet, wenn griechischer Kriegergeist und dessen Homoerotik ins Feld geführt werden, um jeden Verdacht von „Effeminiertheit“ zu ersticken und das Schwulsein der Gegenwart so vermeintlich zu „nobilitieren“.
Man sollte Madeline Miller aber zugutehalten, dass ihr Roman Etikettenschwindel betreibt – und der facettenreiche Ich-Erzähler Patroklos die eigentlich spannendere Figur ist als der titelgebende Krieger.
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