Homophobie-Ausstellung: „Erpresst, ausgeraubt, verprügelt“
Lange nach der NS-Zeit war Homosexualität geächtet und verfolgt. Wie Polizei, Justiz und Bevölkerung im angeblich liberalen Hamburg gegen Schwule vorgingen.
taz: Herr Bollmann, angenommen die Hamburger Drag Queen Olivia Jones hätte vor 60 Jahren ihre Homosexualität offen ausgelebt. Wie wäre es ihr ergangen?
Ulf Bollmann: Die Öffentlichkeit hätte das nicht gern gesehen. Ein Auftreten auf der Straße wäre skandalös gewesen und hätte einen Polizeieinsatz nach sich gezogen. Ihre Stadtführungen hätte sie nicht machen können.
Die Nazis hatten Homosexuelle verfolgt und ermordet. Hat sich ihre Situation in der Nachkriegszeit gebessert, Herr Lorenz?
Gottfried Lorenz: Gewiss, schließlich gab es keine Konzentrationslager mehr. Es begann eine ordentliche Gerichtsbarkeit. Was sich allerdings nicht geändert hat, waren die gesetzlichen Grundlagen und deren soziale Folgen.
Inwiefern?
Lorenz: Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches existierte bis 1994. Er war nicht nur ein Relikt aus der NS-Zeit, sondern existierte seit Gründung des zweiten Deutschen Kaiserreichs. Danach mussten sexuelle Handlungen zwischen zwei Männern mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Schwule wurden aufgespürt und verurteilt.
Homophobie gab es also trotz des demokratischen Aufbruchs?
Lorenz: Durchaus. Und nicht nur in den rechten Parteien. Homophobie war in jeder Gesellschaftsschicht vertreten, selbst unter denen mit einer angeblich liberalen Haltung.
73, ehemaliger Lehrer, ist Verfasser mehrerer Bücher über Hamburgs schwule Geschichte
Was ist der konkrete Anlass für Ihre Ausstellung?
46, Archivar und Autor, war im Jahr 2006 Mitgründer der Initiative "Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer"
Lorenz: Der Hamburger Richter Matthias Lux hat uns darum gebeten. Eigentlich war das nicht unser ursprünglicher Plan. Doch waren wir nach zwei Büchern über das Hamburger Schwulenleben, vielen Stadtrundgängen und durch die Stolperstein-Initiative bekannt.
Worauf stützen sich Ihre Recherchen?
Bollmann: Vor allem aus Akten des Staatsarchives Hamburg. Viele Quellen waren auch Glücksfälle. Zum Beispiel hat uns eine Mitarbeiterin eines Bezirksamtes gesagt, sie habe noch eine Akte. Mit der konnten wir zum ersten Mal die genauen zeitlichen Abläufe belegen, wie Homosexuelle in öffentlichen Toiletten systematisch von der Polizei überwacht worden sind.
Hamburg lobt sich gerne als liberal. War es denn als Homosexueller leichter, in dieser Stadt zu leben?
Lorenz: Nein, die Hauptstadt der Schwulen nach dem Krieg war zunächst Frankfurt. Dort gab es 1950 eine schlimme Verfolgungswelle. Hamburg als größte westdeutsche Stadt hatte ebenfalls eine schwule Infrastruktur. Viele Menschen sagen, die Stadt sei damals liberal gewesen. Unsere Recherchen konnten das allerdings nicht bestätigen.
Was haben die ergeben?
Lorenz: Dass die Polizei von Anfang an darauf geeicht war, Schwule in Hamburg aufzuspüren. Fast jeder Verein, den sie gründen wollten, wurde verhindert.
Bollmann: Es gab Gangs, die Homosexuelle erpresst, ausgeraubt und verprügelt haben. Zum Beispiel die Dammtorbande: Sie haben Männern am Abend aufgelauert und so getan, als würden sie sexuellen Kontakt suchen. Reagierte jemand, wurde er verprügelt und zur Polizei geschleppt. „Das ist hier ein Schwein“, hieß es dann, „der wollte uns anmachen.“ Polizisten der Wache Feldbrunnenstraße fanden das gut und haben sich mehr solcher Anzeigen gewünscht.
Wie erklären Sie sich diese ausgeprägte Abneigung gegenüber Homosexuellen?
Lorenz: Es ist die Angst vor dem Fremden und die Erziehung in der Nazizeit. Zudem war Gewalt nach dem Krieg banal und man konnte davon profitieren, Schwule auszurauben. Die Polizei hat selbst oftmals vermerkt, dass Homosexuelle keine Anzeige erstatten. Die Zahl der angezeigten Erpressungen von damals ist sehr gering.
Warum?
Lorenz: Das ist die Angst. Ich habe das selbst erlebt. Während meines Studiums habe ich mich gegen eine Erpressung gewehrt, bin zur Polizei gegangen. Das waren bange Wochen. Ich wusste nicht, was geschehen würde. Gegen mich wurde plötzlich als Schwuler ermittelt, ich hätte vielleicht nicht weiter studieren dürfen. Meine Mutter hat dann von der Kripo erfahren, dass ich homosexuell bin.
Bollmann: Gerade die älteren Schwulen sind durch diese Erfahrungen traumatisiert. Es ist heute ungemein schwierig, Zeitzeugen zu finden. Wir können in der Ausstellung keine nach dem Paragraphen 175 verurteilten Männer zeigen. Nicht, dass es sie nicht gäbe – sie wollen mit diesen Erinnerungen nicht konfrontiert werden und bis heute nicht öffentlich darüber reden.
Was waren damals gängige Vorurteile und Feindbilder?
Bollmann: Dass sich der Homosexuelle an Jugendliche und Kinder ranmacht, um sie zu verführen. Daher war das Hauptargument, öffentliche Toiletten stärker zu kontrollieren, dass sie ja nahe an Spielplätzen liegen würden. Wir haben in Hamburg allerdings keinen einzigen in der Nähe gefunden.
Soll die Ausstellung Vorurteilen entgegenwirken?
Bollmann: Wir wollen Verständnis und Aufklärung stärken. Es schwirrt die Vorstellung in den Köpfen, Hamburg sei so liberal. Das entsprach aber oftmals nicht der Realität. Wir möchten, dass die Besucher über individuelle Schicksale nachdenken. Das eröffnet vielleicht einen Zugang zu diesem vermeintlich Fremden namens Homosexualität.
Lorenz: Zudem wollen wir zeigen, dass zwar eine Menge erreicht wurde, aber der Zustand nicht ungefährdet ist. Die Schwulengeschichte Hamburgs ist noch lange nicht aufgearbeitet.
Kann man in Hamburg heute unbesorgt homosexuell sein?
Lorenz: Bis heute sind Vorurteile gegen Schwule virulent – in allen Gesellschaftsschichten.
Hat sich etwas verbessert, seit 2006 das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft trat?
Lorenz: Rechtlich ja. Aber das ist so ähnlich wie mit der postulierten Gleichberechtigung im Grundgesetz: Das haben wir seit 1949, aber es gibt viele Gruppen, die immer noch benachteiligt werden.
Bollmann: Wir sind frohen Mutes, dass unsere Themen politisch und gesellschaftlich akzeptiert werden. Die Verfolgung von Schwulen, Lesben und Transvestiten nach 1945 sollte endlich als Unrecht anerkannt und in irgendeiner Weise entschädigt wird.
Ausstellung „Liberales Hamburg? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945“: bis 1. September, Hamburg, Ziviljustizgebäude
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren