Homo- und Transphobie in Deutschland: Bedingt solidaritätsbereit

Deutschland ist in Sachen „Phobien gegen Nicht-Heteronormative“ ein vergleichsweise stressarmes Land. Aber es bleibt noch viel zu tun.

Menschen mit Regenbogenfahne bei einer Demonstration.

Christopher Street Day in Berlin 2020 Foto: Müller-Stauffenberg/imago

Am 17. Mai ist, weltweit verabredet, aber nur in liberalen Ländern wie Deutschland beachtet, der so genannte „Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie“. Historisch informierte Menschen mögen glauben, dass dieser Gedenktag mit Sinn für deutsche Verhältnisse 1990 erfunden wurde. Der 17. 5. – das sind drei Ziffern, die den Paragraphen 175 meinen. Diese Sonderstrafbestimmung gegen Homosexuelle wurde 1871 eingeführt, um homosexuelle Männer zu verfolgen.

Aber so war es von der Internationalen Lesben-, Gay-, Bisexual, Trans and Intersex Association nicht gemeint. Der 17. Mai 1990 war der Tag, an dem die Weltgesundheitsorganisation beschloss, Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel für Krankheiten zu tilgen.

Seither gibt es diesen Gedenktag, ohne feiertäglichen Rang, das wurde gar nicht erst beansprucht. Dieses Datum dient den verschiedensten queeren Organisationen, Vereinen und Klubs, um auf die Wichtigkeit von queeren politischen Anliegen hinzuweisen, aktuell auf die Gefährdung queerer Projekte durch die Lockdowns seit Beginn der Coronakrise.

Aber: Ist das Wort „-phobie“ ernsthaft weiter geeignet, die eigene Position im gesellschaftlich-kulturellen Gefüge zu beschreiben? „Phobie“ bedeutet „krankhafte Furcht“. Sind hierzulande gegen Homosexuelle noch weithin solche Gefühle wirksam? Glauben Bisexuelle selbst, dass ihnen phobische Reaktionen entgegengebracht werden?

Queere Volxfeste

In puncto Transgender mag das „Phobische“ oft stimmen. Aber die meisten Nicht-LGBTI*-Menschen reagieren auf Männer und Frauen, die sich als nicht-‚normal‘ wie sie zu erkennen geben, doch meist mit anything goes. Und vor allem mit: So what?

Die eigentliche Saison der Queers beginnt im Juni, zur Erinnerung an die Aufstände von Schwulen, Dragqueens, Lesben, Transmenschen vieler Hautfarben im Juni 1969 in New York City. Dann gibt es Paraden, CSDs genannt – und wer bei einer solchen schon mal dabei war, erkennt leicht, dass das in der Tat queere Volxfeste sind.

Eine kulturelle Errungenschaft, inzwischen auch in deutschen Kleinstädten. Gut so! Man darf sich dann darauf besinnen, dass Deutschland in puncto „Phobien gegen Nichtheteronormative“ ein vergleichsweise stressarmes Land ist.

Zu wenig Empörungsresonanz

Aber: Viel zu vielen Schwulen, Lesben und Transmenschen werden im Job, in Vereinen und Institutionen Feindseligkeiten entgegengebracht. Die Antwort darauf ist – nicht schweigen, sondern Haltung zeigen. Zudem muss man sich klar machen, dass in unserer Nachbarschaft, in Polen und Russland, Belarus oder der Türkei, offen religiös-nationalistische Stimmungen gegen LGBTI*-Menschen ermöglicht und beflügelt werden.

In Deutschland ist zu registrieren: Als in Dresden ein schwules Paar von einem islamistischen Attentäter erst behelligt, dann einer von ihnen getötet wurde, gab es kaum Empörungsresonanz in den heterosexuellen Crowds. Das gibt zu denken. Auf zumal linke Heterosolidarität ist nur zu hoffen, wenn sie sich in Resolutionen erschöpfen kann.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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