Hommage der Berlinale an Helen Mirren: Ich seh' nicht mehr so gut aus

Sie spielt Frauen mit Ambivalenzen, ihr Alter ist ihr egal: Dafür wird Helen Mirren geliebt. Die Berlinale widmet der Schauspielerin ihre Hommage.

Schauspielerin Helen Mirren wischt sich als Queen eine Träne aus dem Augenwinkel.

Helen Mirren in und als „The Queen“ Foto: Concorde Filmverleih

Das Alter von Frauen direkt anzusprechen, gilt als heikel. Bestimmte Benimmregeln wollen eingehalten werden. Am unbedenklichsten scheint es, der Bemerkung voranzustellen, dass man einer Frau ihr Alter nicht ansieht. Doch im Fall von Helen Mirren hätte man damit glatt das Thema verfehlt. Das Alter spielt nämlich eine Schlüsselrolle in ihrer Schauspielerinnenkarriere.

Sie hat es nicht, wie etwa Jane Fonda, durch vorbildliche Lebensführung, strenge Fitnessprogramme und plastische Chirurgie einfach unsichtbar werden lassen. Im Gegenteil: Die heute 74-Jährige ist auf ihr „altersgerechtes Aussehen“ so stolz, dass sie vor fünf Jahren, als die Kosmetikmarke L'Oréal sie unter Vertrag nahm, darauf bestand, dass man ihre Bilder nicht retuschiert. Die Falten sollten sichtbar bleiben.

In einem Interview mit dem „Guardian“ damals führte sie aus, dass dahinter keine Eitelkeit, sondern eine gewisse Gleichgültigkeit dem eigenen Aussehen gegenüber steckte: „Ich sehe heute ganz bestimmt nicht besser aus als in jungen Jahren. Natürlich war ich damals schöner! Aber das Tolle am Älterwerden ist, dass man nichts mehr darauf gibt. Ich seh' nicht mehr so gut aus, aber es ist mir egal.“

Es kann ihr auch egal sein. Mirren war 61, als sie ihren ersten Oscar in Empfang nahm, und in nahezu allen ihrer preisgekrönten Rollen verkörperte sie Frauen, denen man ihr Alter ansieht. Bis heute ist die Darstellung von Elizabeth II. in Stephen Frears' „The Queen“ ihre Glanzrolle: Mirren brachte die sperrige Persönlichkeit der britischen Monarchin mit so präzisem Augenmaß auf die Leinwand, dass ihr sowohl Anhänger als auch Gegner der Royals zujubelten.

Schlagfertigkeit und Präsenz

Zweifellos versah sie ihre „Queen“ mit mehr Ausstrahlung und Bühnen-Qualitäten – im Sinne von Schlagfertigkeit und Präsenz –, als sie das reale Vorbild vermutlich besitzt. Sie machte ihren Job sogar so gut, dass etwas davon zurückstrahlte: Am unerschütterlichen Image der britischen Königin als einer alten, weisen Frau, die Macht hat, aber sich bestens zurückhalten kann, trägt Helen Mirren wohl eine Form von Mitschuld.

Selbstverständlich wird „The Queen“ im Rahmen der Hommage gezeigt, die ihr die Berlinale widmet, und zwar am 27. Februar im Berlinale Palast. Anschließend erhält sie den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk.

Zur „Dame Helen“ war Mirren übrigens schon 2003 geworden, mit Verweis auf ihre Verdienste im britischen Theater. Als Helen Lydia Mironov wurde sie 1945 in London geboren, als Nachfahrin russischen Exiladels; ihr Großvater diente als Diplomat in London, als ihm die russische Revolution die Rückkehr verleidete. Mirren hat eine klassische Schauspielausbildung genossen und ist zunächst als Bühnenschauspielerin groß geworden. Vor einem Publikum also, dem die äußerliche Attraktivität seiner Stars sehr viel weniger wichtig ist als deren Bühnenpräsenz und Wandlungsfähigkeit.

Zwar hat sich Mirren früh in ihrer Karriere auch in Film- und Fernsehrollen versucht, allerdings mit wechselhaftem Erfolg. Genau das aber erwies sich langfristig auch als Segen, verhinderte ihre Flexibilität schließlich eine Festlegung und Verengung auf ein bestimmtes Rollenbild. Zumal in Großbritannien Theater-, Fernseh- und Kinobranche ganz anders miteinander kooperieren, als es etwa in Hollywood der Fall ist.

In Vergessenheit geraten ist heute das Etikett „Sex Queen of Stratford“, das ihr der „Guardian“ in den 60er Jahren anhängte – und das, obwohl Mirren auch in ihren Filmrollen eine entschieden nonkonformistische Bereitschaft zur Freizügigkeit an den Tag legte. Beobachten kann man das in Filmen wie „Age of Consent“ (1969), „Caligula“ (1979) oder „Cal“, für den sie 1984 in Cannes den Schauspielpreis erhielt.

Als Mirren 2003 mit „Calendar Girls“ ein weiteres Mal in einer „Ausziehrolle“ zu sehen war, feierten das die Zeitungen schon mit feiner Ironie. Es hatte sich längst erwiesen, dass Mirrens Schauspielkarriere auf ein sehr viel solideres Fundament als den bloßen Sex baut.

Als Lieblingsbeschreibung ihrer selbst gibt Mirren denn auch an: „Being famous for being cool about not being gorgeous“. Denn zu ihrer Bereitschaft, viel nackte Haut zu zeigen, kam stets noch etwas anderes hinzu: Zum einen das Gefühl der Freiheit und der Selbstbestimmtheit. Und zum anderen Intelligenz. Zwar spielte sie gerne auch mal schlichte böse Mädchen, aber nie ein bloßes Pin-Up-Girl.

In Lindsay Andersons „O Lucky Man“ warnt man Malcolm McDowell vor ihr: „She's intelligent!“ Die gleichzeitig aufblitzende Schärfe ihres Verstandes ist es auch, die ihrer plakativ erotischen Aufmachung in Peter Greenaways „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ den eigentlichen Kick verleiht.

Ihre Frauen wollen nicht gefallen

Mit der Auszeichnung in Cannes 1984, Oscar-Nominierungen 1994 für „The Madness of King George“ und 2001 für „Gosford Park“ sowie zahlreichen Preisen für ihre Darstellung einer desillusionierten Polizistin in der TV-Krimiserie „Prime Suspect“, die in Großbritannien ungeheuer erfolgreich war, schien ihre Karriere eigentlich schon glanzvoll genug.

Dann aber kam die Saison 2006/2007. In Tom Hoopers Fernsehzweiteiler „Elizabeth I.“ und in Stephen Frears „The Queen“ spielte sie jeweils die Titelrollen – und wurde mit Preisen geradezu überhäuft. Bei den Golden Globes 2007 durfte sie zwei Mal zum Trophäenholen auf die Bühne – einmal für Elizabeth I. und das andere Mal für Elizabeth II. Aus einem Star wurde ein Superstar.

So unterschiedlich die Königinnen sind, in der Realität als auch in der Fiktion, gibt es doch in der Interpretation von Mirren eine gewisse Ähnlichkeit von Elizabeth I. und Elizabeth II. Sie spielt beide nicht als klassische weibliche Heroinnen, eben nicht als Diven der Macht, sondern als ausgeprägte Charakterköpfe. Als Frauen mit Ambivalenzen, die vor allem eines auszeichnet: Sie kämpfen nicht darum, geliebt zu werden, sie wollen nicht „gefallen“. Sie wissen, dass man sie um ihrer Macht willen liebt, was sie mit Resignation und ein klein wenig Verbitterung akzeptiert haben.

„Was die Menschen heutzutage wollen, sind Glamour und Tränen, den ganz großen Auftritt“, sagt Mirren als „Queen“ zu Michael Sheens Tony Blair in Stephen Frears' Film. Mirren selbst demonstriert als Schauspielerin das Gegenteil: das feine, zurückhaltende, nuancierte Porträt, das auf lange Sicht um so mehr bewegt.

Der Raum zur Entfaltung ist begrenzt

Auf das Alter angesprochen, meinte Mirren einmal, dass die schwierigste Periode die zwischen 44 und 58 sei, wenn man keine gut aussehende, reife Frau mehr sei und noch keine alte Schachtel. Danach aber werde alles gut. Man muss diesen Optimismus etwas in Zweifel ziehen: So glänzend die Arbeit ist, die Mirren in Filmen wie „Hitchcock“, „Trumbo“ oder dem Tolstoi-Biopic „Ein russischer Sommer“ leistet – die Rollen der klugen und trotzdem duldsamen, treu mit ihren Männern leidenden Ehefrauen erweisen sich doch ein ums andere Mal als streng begrenzt.

Der Ausbruch aus dem Gattinnen-Klischee führt charakteristischerweise direkt ins nächste Klischee: In Old-School-Actionfilmen wie „RED“ oder dem „Fast & Furious“-Franchise durfte Mirren in den vergangenen Jahren neben anderen „Alten“ wie Bruce Willis oder Vin Diesel mit schwerem Geschütz herumspielen und schnelle Autos steuern. Auch hier lässt ihr das Ensembleformat nur einen bestimmten Raum zur Entfaltung.

Da ist es gut, dass die europäische Geschichte so reich an Königinnen ist: Zuletzt durfte Mirren als russische Zarin in der Miniserie „Catherine the Great“ wieder ihr ganzes Spektrum ausspielen. Wie hieß es in der Werbung zu „RED“ so schön: „Für Erfahrung gibt es keinen Ersatz.“

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