Homeofficepflicht endet am 1. Juli: Das Büro bleibt daheim
Das mobile Arbeiten wird sich auch nach der Pandemie weiter durchsetzen, sagen Wirtschaft und Gewerkschaften. Umso mehr fehlen rechtliche Vorgaben.
„Aus Unternehmensbefragungen wissen wir, dass mehr als 40 Prozent der Berliner Unternehmen das mobile Arbeiten fest in die Unternehmenskultur integrieren wollen“, sagt Vagt. Etwa die Hälfte ihrer wöchentlichen Arbeitszeit würden die Beschäftigten dabei aus dem Homeoffice erbringen.
Auch beim Pharmakonzern Bayer, mit rund 5.000 Beschäftigten am Standort in Berlin einer der größeren Arbeitgeber in der Stadt, heißt es auf taz-Anfrage: „Für die Zeit nach der Pandemie erwarten wir generell eine verstärkte Nutzung von mobilem Arbeiten, wobei viele Beschäftigte nach unserer Erwartung flexibel zwischen Büro und Homeoffice wechseln werden.“ Ausgehend von einer Mitarbeitendenbefragung im Herbst rechne man damit, dass die KollegInnen im Schnitt zwei bis drei Tage alternierend vor Ort und mobil arbeiten werden, „also eine Homeofficequote von 40 bis 60 Prozent“, sagt Konzernsprecher Markus Siebenmorgen.
Viele ArbeitnehmerInnen sehen das mobile Arbeiten als Chance – etwa, weil es Arbeitswege einspart und so auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert. Eine am Donnerstag veröffentlichte repräsentative bundesweite Umfrage ermittelte 65 Prozent Zustimmung der BürgerInnen zu einem fortgesetzten Anspruch auf Homeoffice.
Seit dem 1. Juli gilt die in der Coronanotbremse der Bundesregierung vereinbarte Homeofficepflicht nicht mehr. Arbeitgeber mussten ihren Mitarbeitenden bis dahin das Homeoffice anbieten, wenn es die Tätigkeit erlaubt. In Berlin schrieb die Infektionsschutzverordnung zudem vor, die Büros maximal 50 Prozent zu belegen.
Bis zum 10. September gilt die Corona-Arbeitsschutzverordnung. Präsenzbeschäftigte haben das Recht auf zwei Schnelltests pro Woche; die zeitgleiche Nutzung von Räumen soll auf ein Minimum reduziert werden. (akl)
Doch die Freiheit zu Hause hat auch potenzielle Schattenseiten, warnen insbesondere die Gewerkschaften. „Die Bedarfe sind ganz klar da und damit auch der Druck auf die Arbeitgeber, aber es fehlt an gesetzlichen Regelungen“, sagt Christian Hoßbach, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Berlin.
Besser nicht der Küchentisch
Ein zentraler Punkt: Beim mobilen Arbeiten findet, anders als bei der sogenannten Telearbeit von zu Hause aus, die Arbeitsstättenverordnung keine Anwendung. In der Verordnung ist geregelt, wie der Arbeitsplatz zu Hause – etwa in puncto Gesundheitsschutz – zu beschaffen sein hat: Da geht es um die Größe von Bildschirmen, um den richtigen Stuhl und einen Schreibtisch, der im besten Fall nicht der Küchentisch ist.
„Das mobile Arbeiten, das wir in der Pandemie allgemein als Homeoffice bezeichnet haben, kennt aber keinen Arbeitsplatz über den im regulären Büro hinaus“, sagt Hoßbach.
Die IHK argumentiert zwar naturgemäß aus der Sicht der Firmen, ist sich aber mit den Gewerkschaften einig: Beim Thema Gesundheitsschutz im Homeoffice gibt es noch Klärungsbedarf. Es sei „richtig“, sagt Geschäftsführer Vagt, „dass Aspekte, die in Zeiten von Infektionsrisiken und Kontaktbeschränkungen weniger eine Rolle gespielt haben, wieder in den Vordergrund rücken.“ Zum Beispiel, „ob das häusliche Umfeld sich überhaupt dauerhaft für räumlich und zeitlich flexibles Arbeiten von Zuhause eignet.“ Vagt fordert hier „mehr Unterstützung der Behörden bei der Erstellung von Arbeitsschutzkonzepten oder der Einstufung von Gefährdungslagen.“
Das Neuland, dass viele Unternehmen pandemiebedingt beschritten haben, ist arbeitsrechtlich gesehen also noch ein recht unbestellter Acker. Das mobile Arbeiten bringt im besten Fall mehr Freiheit für die Arbeitnehmenden, entlässt die Arbeitgeber aber auch ein Stück weit aus ihrer Verantwortung.
Tatsächlich gibt es in vielen Betrieben aber durchaus Vereinbarungen, die das mobile Arbeiten regeln: „Aktuell arbeiten die Betriebspartein daran, die bestehende Betriebsvereinbarung im Hinblick auf die ‚neue Normalität‘ nach der Coronapandemie anzupassen“, heißt es etwa bei Bayer. Konkreter will der Konzern nicht werden, denn: „Die Schlussfolgerungen daraus sind momentan Gegenstand von Gesprächen unter anderem mit den Arbeitnehmervertretern.“
Mit etwa 120.000 Beschäftigten auf Landes- und Bezirksebene ist die Verwaltung der größte Arbeitgeber Berlins. Dort ist die Finanzverwaltung übergeordnet für Personalangelegenheiten zuständig. „Die Senatsfinanzverwaltung kommuniziert regelmäßig landesweit rechtliche Rahmenbedingungen zu Präsenz und Homeoffice und spricht hierzu Umsetzungsempfehlungen aus – auch für die Bezirke“, heißt es dort. Allerdings habe man dabei „kein Weisungsrecht“. Das sei auch „sinnvoll“, weil „jede Dienstelle weiß selbst am besten, was sich umsetzen lässt“, so ein Sprecher.
Das heißt aber auch: Jeder Bezirk und jede Dienststelle macht eigene Vorgaben – was aus Arbeitnehmersicht zulasten der Transparenz geht.
Auch in der Verwaltung ist indes das Zeitalter des mobilen Arbeitens zumindest angebrochen: In der Finanzverwaltung seien inzwischen 90 Prozent der Mitarbeitenden „im Homeoffice arbeitsfähig“, sagt der Sprecher. In der gesamten Verwaltung liege der Anteil bei rund 66 Prozent. Im Januar seien zudem 5.000 weitere Laptops an die Bezirke ausgeliefert worden. „Gemeinsames Ziel“ sei es, „das mobile Arbeiten deutlich auszubauen – auch nach der Pandemie.“ In fünf Jahren schon will man in der Zukunft angekommen sein: Dann sollen alle festen Büroarbeitsplätze in der Verwaltung auch mobil funktionieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen