Holstein Kiel gegen VfL Bochum: Packender Keller-Krimi
Aufsteiger Holstein Kiel kämpft in der Fußball-Bundesliga weiter um den Klassenerhalt. Gegen Tabellenschlusslicht VfL Bochum reicht es nur zum 2:2.
Ist Aufsteiger Holstein Kiel ungeachtet aller Qualitätsmängel eine Bereicherung für die Milliarden-Branche Bundesliga? Für alle Sozialromantiker auf jeden Fall. Dem Klub mit den geringsten Einnahmen aus dem Fernseh-Pool, einem Mini-Etat und dem untauglichsten Stadion in Liga eins drückt man getreu des David-gegen-Goliath-Prinzips die Daumen. Doch selbst für den neutralen Beobachter bieten die Dauer-Außenseiter Attraktivität. Mit 4,14 Toren pro Spiel mit Störche-Beteiligung sind die Kieler Spitzenreiter in Sachen Unterhaltungswert.
Der Teufel steckt im Zahlen-Detail: 54 Gegentreffer! Die fragile Deckung hindert die Kieler allerdings nicht, im Schneckenrennen um den Klassenerhalt kollektiven Widerstand gegen das vermeintlich programmierte Schicksal zu leisten. Zwar reichte es am Sonntag im packenden Keller-Krimi gegen das Schlusslicht VfL Bochum nur zu einem 2:2 (1:2). Doch selbst dieser eine Heimpunkt hält die Minimal-Chancen der Nordlichter zumindest auf Relegationsplatz 16 am Leben.
KSV-Cheftrainer Marcel Rapp darf weiter von einer der größten Sensationen in der Bundesliga-Historie träumen. Auch deshalb, weil ihm die Transferoffensive im Winter neue Möglichkeiten für die Defensive offeriert hat. Offiziell nicht bestätigte rund fünf Millionen Euro sollen die Kieler in Abwehr-Chef David Zec (NK Celje/Slowenien), Schienenflitzer John Tolkin (New York Red Bulls) und den Verteidiger Ivan Nekić (NK Varazdin/Kroatien) investiert haben.
Vier Millionen Transfer-Minus
Die Frage bleibt: Haben die Verantwortlichen bei Holstein nach dem Aufstieg mit ihrem Sparkurs das Risiko des direkten Wiederabstiegs billigend in Kauf genommen, zumindest aber die sportlichen Realitäten zu spät erkannt? Laut dem Fachblatt Kicker lag das Transfer-Minus im vergangenen Sommer immerhin bei 4,1 Millionen Euro. Während aber Hoffnungsträger wie Armin Gigović, Magnus Knudsen, Max Geschwill oder Dominik Javorček nur situativ ihre Bundesliga-Tauglichkeit unter Beweis stellten, reifte lediglich der vom Viertligisten FC Homburg zu den Störchen gewechselte Mittelstürmer Phil Harres (sieben Saisontreffer) als jüngstes Symbol für den „Kieler Weg“ zu einer Art Shooting-Star.
Den Kontrast dazu bot der linke Flügelverteidiger Tymoteusz Puchacz von Union Berlin. Der Pole konnte den Verlust von Tom Rothe, in Liga zwei wie der für eine Million Euro nach Gladbach gewechselte Ex-Kapitän Philipp Sander ein echter Unterschiedspieler, selten bis gar nicht kompensieren. Mittlerweile schnürt Puchacz auf Leihbasis in der zweiten Englischen Liga für Plymouth Argyle die Stiefel.
Rapps Sommer-Favorit auf der in seinem System so wichtigen Position war Derry Murkin. Doch Sportchef Carsten Wehlmann blies die Verhandlungen mit Murkin-Klub Schalke 04 wegen zu hoher Ablöseforderungen (kolportiert wurden 2,2 Millionen Euro) schlussendlich ab. Für Tolkin steht eine Ablöse in Höhe von drei Millionen Euro im Raum.
Heimspiele auf der Großbaustelle
Stimmen diese Summen, wäre dies ein kostspieliges Eingeständnis der Fehlplanung. Dass Rapp in den vergangenen Monaten öffentlich kaum Kritik übte, zeugt von ausgeprägter Loyalität und belegt zugleich eine der großen Stärken des Vereins: Bei der KSV Holstein herrscht nach außen hin Ruhe, auch in Krisenzeiten. Zumindest aber bleiben im Gegensatz zu anderen Konkurrenten etwaige Zwistigkeiten hinter verschlossenen Türen. Fast mantraartig beschwor Rapp stattdessen in der Vergangenheit den Zusammenhalt als größtes Faustpfand.
Ob der 45-jährige Spieler-Entwickler, der seit Oktober 2021 in Diensten der Störche steht, seinen bis 2026 datierten Vertrag erfüllt, ist keineswegs in Stein gemeißelt. Zwar hat Wehlmann seinem Chefcoach eine Jobgarantie auch für den Abstiegsfall ausgestellt. Der ehemalige Jugendtrainer der TSG Hoffenheim, den viele Experten als Glücksfall für die KSV beschreiben, weiß jedoch um die infrastrukturelle Zukunft seines Arbeitgebers. Unabhängig von der Spielklasse rücken im Herbst die Bagger an. Das derzeit nur per Sondergenehmigung nutzbare Holstein-Stadion soll in den kommenden vier Jahren für 75 Millionen Euro modernisiert, das Fassungsvermögen von 15.000 auf rund 24.000 Zuschauer erhöht werden. Eine aufgrund der Lizenzvorgaben der Deutschen Fußball Liga (DFL) unabdingbare Maßnahme.
Derart lange auf einer Großbaustelle seine Heimspiele mit einer Maximal-Auslastung von nur noch 10.000 Zuschauern austragen zu müssen, ist im Verbund mit den wirtschaftlich weiter kaum konkurrenzfähigen Möglichkeiten sicher kein X-Faktor. Nicht für den in Pforzheim geborenen Fußballlehrer, der sich nach eigenen Worten mit seiner Familie im Norden wohlfühlt. Und schon gar nicht in Sachen Vermarktung des Hochglanz-Produktes Fußball-Bundesliga. Die im Umbau befindliche Spielstätte des Zweitligisten SV Elversberg lässt grüßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!