Hohe Stickoxidwerte in NRW: Steine gegen den Ozonkiller
In Bottrop werden Pflastersteine gegen Stickoxide verlegt. Die Nebenwirkung: Nitrat, das vom Regen ins Grundwasser gespült wird. Was ist gefährlicher?
DORTMUND taz | In Nordrhein-Westfalen kämpft die Stadt Bottrop mit Pflastersteinen gegen hohe Schadstoffbelastung in der Lust. Als Industriestandort hat die Stadt Probleme mit hohen Feinstaub- und Stickstoffoxidwerten – zum Beispiel in der Peterstraße.
In der vierspurigen Hauptverkehrsader zirkuliert wernig Luft, umwelt- und gesundheitsschädliche Autoabgase sammeln sich. Bauarbeiter verlegen deshalb nun sogenannte Photoment-Steine - vorerst auf 750 Quadratmetern Fläche. Die Steine sollen die Stickoxide aus der Luft filtern.
Stickstoffoxid ist eine Sammelbezeichnung für Gasverbindungen aus Stickstoff und Sauerstoff. Diese verursachen sommerlichen Ozonsmog, greifen aber auch die schützende Ozonschicht an und heizen damit den Klimawandel an. Sie schädigen Pflanzen und sind insbesondere für Asthmatiker gefährlich, weil sie die Bronchien verengen können.
Grenzwerte locker gerissen
In der EU gilt bereits seit 2010 ein Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxide pro Kubikmeter Luft. Die deutschen Städte und Gemeinden bekamen eine Übergangsfrist bis 2015 - doch immer noch wird der Grenzwert in etlichen Regionen überschritten. Es drohen Fahrverbote und Busgelder.
Der graue Beton, der die Belastung in Bottrop nun senken soll, ist mit Titandioxid versetzt. Scheint Sonne darauf, bilden sich Sauerstoffradikale, mithilfe deren die schädlichen Stickoxide aus der Luft zu Nitrat oxidieren. Das Nitrat ist wasserlöslich und wird vom Regen weggespült. Das Titandioxid fungiert als Katalysator der Oxidation, die Reaktion nennt sich Photokatalyse.
An der Idee forschen bereits viele Zementhersteller, 2011 gründete sich der Fachverband für angewandte Photokatalyse. Unter den Mitgliedern sind Firmen wie BASF und Evonik Degussa. Baustoffe, die die Luft reinigen, machen sich gut im Unternehmensprofil.
Davon profitiert die Stadt Bottrop, sie zahlt nichts für die Steine. Sie kommen von einem Tochterunternehmen des Steinkohle-Energieversorgers steag. 3 bis 5 Euro kostet ein photokatalytisch aktiver Pflasterstein mehr als ein normaler.
Der Hersteller macht in Bottrop den Praxistest
Im Auftrag des Herstellers haben Wissenschaftler der TU Berlin 1.500 der Steine im Labor getestet. Ein Stein soll mehr als einen Kubikmeter Luft in der Stunde reinigen können. Das Projekt in Bottrop ist der erste große Praxistest.
Die Ökologin Monika Herrchen bestätigt die Wirkung des Photoments unter Laborbedingungen. Sie hat photokatalytische Steine für das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie getestet. Gefördert wurde das Projekt durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Ein Betonhersteller erstellte dafür Mustersteine mit unterschiedlichen Zementsorten und Titanoxid-Gehalt. In Straßenschluchten wies Herrchen an drei Messtagen Abbauraten von 20 bis 30 Prozent nach. „Die grundsätzliche Wirksamkeit der Pflastersteine wurde bewiesen“, sagt sie. Unter genügend Sonneneinstrahlung könnten die Steine die Stickstoffoxid-Konzentration in der Luft mindern – zumindest wenige Zentimeter über dem Pflaster. „Eine Aussage über das Ausmaß der Stickstoffoxid-Minderung in einer Höhe, die für Erwachsene relevant ist, kann nicht getroffen werden.“
Für eine messbare Wirksamkeit seien großflächige Anwendungen notwendig, sagt Herrchen. Also: Plätze, Wege, Parkplätze, aber auch senkrechte Flächen wie Fassaden oder Schallschutzwände. So kann die Titanoxid-Beschichtung auch Stickstoffoxide abbauen, die der Wind sonst wegtreibt.
Wenn auf großen Flächen Stickoxid gebunden wird, entsteht allerdings auch viel Nitrat. Zum Problem würde das, wenn es mit dem Regen ins Grundwasser sickerte, das ohnehin beispielsweise durch Dünger in der Landwirtschaft vielerorts durch das Salpetersalz belastet ist: Nitrat kann im menschlichen Körper in giftiges Nitrit umgewandelt werden, das laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung in hohen Konzentrationen etwa schädlich für Säuglinge sein kann. Zudem wird diskutiert, ob das Nitrit im Körper zu krebserregenden Verbindungen reagiert.
Johanna Appelhans, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Umweltbundesamt im Bereich Luftreinhaltung, sieht die Entwicklung luftreinigender Pflastersteine kritisch. „Es gibt noch keine langen Messreihen, die belegen, dass es eine wirksame Möglichkeit zur Stickstoffbekämpfung ist.“ Und es gebe kaum Messungen, wie viel Nitrat wirklich entsteht. „Das hängt von vielen Faktoren ab: Wie groß ist die beschichtete Fläche, wie hoch die Niederschlagsmenge und die Temperatur?“ Wenn sich bei langfristigen Messungen herausstelle, dass viel Nitrat in den Boden eingetragen werde, müsse man das stoppen, sagt Appelhans. „Aber im Moment gibt es viel zu wenige Daten.“
Eine weitere negative Folge könnte das „nanoskalische“ Titanoxid sein: Nanopartikel, die durch Regenauswaschung in den Boden und ins Grundwasser kommen könnten. „Dazu gibt es aber noch weniger Informationen als zum Nitrateintrag.“
Ob rund um die Bottroper Verkehrskreuzung die Luft umweltfreundlich gesäubert wird, soll eine Messstation testen. Im März soll es erste Ergebnisse geben.
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