piwik no script img

HörhilfeFast forward

■ Der freie Wille haut voll rein: Harry Rowohlt liest Kurt Vonneguts „Zeitbeben“ in eigener Übersetzung und singt auch bei Bedarf

Am 13. Februar 2001 ereignete sich ein Zeitbeben: Die Menschheit wurde ins Jahr 1991 zurückversetzt, und jeder mußte jetzt genau das noch einmal tun, was er bereits in den zehn Jahren davor gemacht hatte. „Man durfte sich nicht beklagen, nicht sagen, das Leben sei eine alte Kamelle, man durfte nicht fragen: Ja, spinn' ich denn?“ — Aus diesem Einfall hat der amerikanische Autor Kurt Vonnegut vor einigen Jahren einen Roman gemacht, der ihm dann aber nicht besonders gut gefiel. Also hat er selbst ein bißchen Zeitbeben gespielt, zurück auf Anfang gespult und den Roman noch einmal geschrieben: So entstand „Zeitbeben“, ein Erinnerungsbuch.

Aus der kleinen Geschichte von der Wiederholung der letzten zehn Jahre ist ein autobiographischer rewind der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden. Der inzwischen 78jährige Vonnegut hat sich zusammen mit seinem literarischen Alter ego, dem Science-fiction-Autor Kilgore Trout, ins Schriftsteller-Altersheim auf Rhode Island verfrachtet und hält von dort aus Rückschau. Er zitiert aus seinen eigenen Werken, er erzählt von seiner großen Familie und wundert sich über das fast forward der Zeiten. Und vor allem übt er noch einmal den Blick des bekennenden Pessimisten: „Im richtigen Leben wie auch beim zweiten Durchgang, der auf ein Zeitbeben folgt, ändern sich die Menschen nicht, lernen nichts aus ihren Fehlern und entschuldigen sich nicht.“

Vonnegut hatte vor dreißig Jahren in „Schlachthof 5“ über einen der größeren Fehler geschrieben, den die Menschheit sich bisher erlaubt hat: den Zweiten Weltkrieg. In „Zeitbeben“ widmet er sich nun (unter anderem) der Atombombe. Vonnegut macht aus der Nachkriegsgeschichte eine einzige Anekdote, in deren Mittelpunkt die Bombe steht. Ein bißchen erinnert das an Don DeLillo und seinen letzten Roman „Unterwelt“, doch Vonnegut ist frecher und gemeiner. „Nun stellen Sie sich dies vor: Ein Mann baut eine Wasserstoffbombe für eine paranoide Sowjetunion, stellt sicher, daß sie funktioniert, und bekommt dann einen Friedensnobelpreis! Diese Figur aus dem richtigen Leben... war der verstorbene Physiker Andrej Sacharow. Er wurde 1975 dafür nobilitiert, daß er einen Nuklearwaffenversuchsstopp forderte. Seine hatte er natürlich längst getestet.“

„Zeitbeben“ ist im letzten Jahr auf deutsch erschienen. Harry Rowohlt hat den Roman sehr schön übersetzt. Er weiß, wann er sich einen Anglizismus gönnen darf und wann er es besser sein läßt. Er versteht etwas von Satzmelodie und Klangfarbe. Und über die Formulierung, mit der das Ende des Zeitbebens festgestellt wird und die sich gebetsmühlenartig durch das Buch zieht, kann man sich gar nicht genug freuen: „Als der freie Wille wieder voll reinhaute...“ Rowohlt ist ein Übersetzer, der keine Angst vor einem eigenen Sound hat. Vielleicht ist er deshalb auch so ein guter Vorleser. Seine Übertragungen von Flann O'Brien und „Pu der Bär“ gibt es bereits als Hörbücher mit seiner Stimme, und jetzt liest Rowohlt auch Auszüge aus Vonneguts Roman. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. Er knarzt beim Sprechen ganz gehörig, wie ein echter Märchenonkel. Sein norddeutsches Verschludern der Aussprache paßt gut zum lakonischen Witz Vonneguts, und bei Bedarf legt Harry Rowohlt auch einen echt amerikanischen Akzent auf und singt sehr pathetisch „America The Beautiful“.

Nach einer Stunde haut der freie Wille wieder voll rein, und die Kassette ist zu Ende. Man kann sich dann mit einem kauzigen Vonnegut-Interview trösten, das auch zum Hörbuch dazugehört. Oder Zeitbeben spielen und die Kassette mit der Lesung einfach noch einmal anmachen. Kolja Mensing

Kurt Vonnegut: „Zeitbeben“. Gelesen und übersetzt von Harry Rowohlt. Hörverlag, München 1999, 2 MCs, 32 DM oder 2 CDs, 46 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen