Hörbuch „Agentterrorist“: 14 Stunden Yücel
Die Geschichte seiner Haftzeit und zugleich der politischen Entwicklungen in der Türkei: Deniz Yücels „Agentterrorist“ lohnt auch als Hörbuch.
Bist du verrückt? Du kommst in ein Land, aus dem alle abhauen wollen?“ Diese Frage stellt eine Freundin Deniz Yücel, als sie hört, dass er als Welt-Korrespondent nach Istanbul wechselt. Er entgegnet: „Genau deshalb komme ich ja!“
Denn die Stadt am Bosporus ist nicht nur Sehnsuchtsort des als Kind türkischer Einwanderer im hessischen Flörsheim geborenen Yücel, auch die aktuellen politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei bereiten ihm Unwohlsein. Er will sie vor Ort beobachten, dokumentieren, kommentieren.
Bereits diese Antwort zeigt Yücels journalistisches Ethos: unkorrumpierbar, direkt, präzise, bissig, aber humorvoll. In seinen Artikeln ist er nie um eine Pointe verlegen, als taz-Redakteur ging er keiner Stänkerei aus dem Weg und zeigte Haltung.
So fragt er sich vor Antritt seiner neuen Stelle am 1. Mai 2015, wie er „mit einem traditionell eher konservativen Haus wie Springer zurechtkommen“ wird, und ob er den Korrespondentenjob überhaupt bewältigen könne, sei er doch bisher eher Kolumnist und Allrounder gewesen. Bekanntlich stellte sich dies als das geringere Problem heraus.
Ein Interview mit dem PKK-Anführer Cemil Bayik, die Berichterstattung über den Putschversuch gegen Erdoğan am 15. Juli 2016 und der schlichte Zugang zum Mailverteiler der Gruppe RedHack führen nach einem Intermezzo in der deutschen Botschaft in Istanbul am 14. Februar 2017 schließlich zu seiner Festnahme. Begründung: Mitgliedschaft in einer Terrororganisation (RedHack) und Datenmissbrauch.
Der Humor ist geblieben
Yücel beginnt „Agentterrorist“ – so hatte Erdoğan ihn bezeichnet – mit der Schilderung seiner Freilassung, bei der deutlich wird, dass auch ein Jahr Haft ihn nicht kleinkriegen konnte.
Aber ein neuer Ton ist hinzugekommen, die der Istanbuler Schauspieler und Übersetzer Racai Hallaç in seiner Lesung des Texts gut herausstreicht: Yücel klingt verletzlich, die Dankbarkeit gegenüber dem deutschen Staat für das Engagement, das zu seiner Freilassung geführt hat, lässt eine Milde hören, die vor seiner Haft undenkbar gewesen wäre.
Sein Humor aber bleibt: als er sich öfters Sätze wie „Bei uns in Deutschland ist das jetzt so“ sagen hört, findet er das „angesichts meines politischen Werdegangs gewöhnungsbedürftig“.
Yücel befasst sich nicht nur mit seiner eigenen Geschichte, er erzählt dazu Schicksale anderer inhaftierter Journalisten und Mithäftlinge, schildert die politischen Entwicklungen in der Türkei und schlägt immer wieder den Bogen zur türkischen Historie. Yücels Ton verstrahlt große Herzenswärme und Liebe (nicht nur zu seiner Frau Dilek), bleibt aber stets sachlich.
Kleiner Prinz im Wäschekorb
Und doch behält er die eigenen Befindlichkeiten im Blick: „Gefängnis ist für mich weniger ein Ort, aus dem ich nicht raus kann, wann ich will, als ein Ort, an dem die Macht zu mir rein kann, wann sie will. Aber müsste ich die Frage, wie ich die Zeit im Gefängnis verbracht habe, mit einem einzigen Wort beantworten, es würde ‚kämpfen‘ lauten.“
Deniz Yücel: „Agentterrorist. Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie“, gelesen von Recai Hallaç/ ungekürzte Lesung mit Deniz Yücel, MP3/CD, 14 Stunden, tacheles!/Roof Music, 20 Euro
Hallaç liest so, dass man fast vergisst, dass es nicht der Autor selbst ist, dem man zuhört, und beinah erschrickt, wenn Yücel selbst zu Wort kommt – als er fast trotzig den Text verliest, den er in einer Ausgabe des „Kleinen Prinzen“ im Wäschekorb aus der Haft schmuggelte. Ein Plus für alle des Türkischen nicht mächtigen Hörer*innen ist zweifelsohne, dass sie sich um die korrekte Aussprache der Namen keine Sorgen machen müssen.
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