Hockey-EM der Männer: Lahore links liegen lassen
Das Hockeynationalteam der Männer will unbedingt Europameister werden. So könnte es ein leidiges Olympia-Qualifikationsturnier umschiffen.
In seinem olivgrünen T-Shirt war André Henning gerade mal wieder pausenlos an der Seitenauslinie entlang getigert. Aber nun hielt er inne, presste die Lippen aufeinander und applaudierte. Es war der stille, genießerische Kommentar des Hockey-Bundestrainers zum dritten Viertel seiner Mannschaft gegen Frankreich: Ein kräftiger Zwischenspurt bescherte der DHB-Auswahl in diesem Teilabschnitt einen glatten 3:0-Erfolg – es war das entscheidende Puzzleteil beim letztlich sicheren 4:1 gegen das Team aus dem Nachbarland.
„Oh, wie ist das schön“, stimmte das Publikum im Mönchengladbacher Hockeypark eine Minute vor dem Abpfiff pflichtschuldig an. Und schön fanden es Hennings Weltmeister ihrerseits, mit dem frisch errungenen Gruppensieg vor Dauerrivale Niederlande im EM-Halbfinale Olympiasieger Belgien aus dem Weg gegangen zu sein.
Gegner auf dem Weg ins Endspiel sind am Freitag (21 Uhr) nun die Engländer. „Am Ende des Tages sind wir das bessere Team“, tönte Nationalspieler Timur Oruz von Rot-Weiss Köln vorab schon mal – und frohlockte: „Die Stimmung hier wird uns tragen.“
Der Sprung ins Finale ist das klare Ziel, denn nur der Europameister bekommt nach dem sonntäglichen Showdown auf dem blauen Mönchengladbacher Kunstrasen das olympische Direkt-Ticket für den kommenden Sommer ausgehändigt. Und keiner weiß besser als André Henning, wie gerne seine Spieler – gerade nach dem WM-Triumph vor sieben Monaten in Indien – für die Reise nach Paris den Umweg über ein Qualifikationsturnier vermeiden würden.
Mentaler Spagat
„Viele der beteiligten Jungs sind diesem Titel schon eine ganze Dekade hinterher gelaufen. Da ist dann einiges abgefallen, da war viel Erleichterung und auch Zufriedenheit mit dabei. Die dann nicht dazu geführt hat, dass am 2. Februar, also ein paar Tage nach dem WM-Finale, alle schon wieder durch den Wald gejoggt sind, um sich auf die EM vorzubereiten“, erzählt der Bundestrainer im Gespräch mit der taz und fügt hinzu: „Ich habe schon den Eindruck, dass es für einige auch schwierig war. Von daher kommt diese EM jetzt schon sehr, sehr früh.“
Immerhin: Beim mentalen Spagat, innerhalb von gut einem halben Jahr gleich zwei absolute sportliche Highlights absolvieren zu müssen, sei das aktuelle Heimspiel nahe der niederländischen Grenze „ein unglaublicher Vorteil“. Denn, so Henning: „Würde das Turnier irgendwo in Spanien stattfinden – und für uns ohne große öffentliche Beachtung – wäre das noch mal schwieriger.“
So aber stehen Deutschlands Hockey-Männer nun besonders im Fokus – ebenso wie ihre weiblichen Pendants. Deren jüngste WM-Ausgabe, bei der das Ensemble von Bundestrainer Valentin Altenburg nach dem enttäuschenden Viertelfinal-Aus bei den Tokio-Spielen mit Rang vier die Rückkehr in die Weltspitze schaffte, liegt bereits 13 Monate zurück.
Das Team braucht eine Sternstunde
Mit Motivationsproblemen wie ihre Weltmeister-Kollegen hatten die „Danas“ vor der Heim-EM also nicht zu kämpfen. Und mit drei klaren Siegen gegen Schottland (4:0), England (5:0) und Irland (5:0) segelten sie dann auch recht problemlos durch die Gruppenphase.
Im Halbfinale am Donnerstagabend gegen Belgien (Anpfiff um 20 Uhr) brauche sein Team jedoch „eine Sternstunde“, erwähnte Chefcoach Altenburg vorab mit viel Realitätssinn und kommentierte lässig: „Wenn wir uns jetzt noch nicht für Olympia qualifizieren, dann halt nächstes Jahr.“ Bei einem der Qualifikationsturniere, die Deutschlands Hockey-Männer so gerne umschiffen würden.
„Olympia ist das mit Abstand wichtigste Event im Hockey, daran hängt die komplette Förderung“, weiß Altenburgs Amtskollege Henning um die finanzielle Bedeutung des Fünf-Ringe-Spektakels für seine Sportart. Deshalb hat der 39-Jährige auch die Ausgaben im Blick, wenn er an die Qualifikationsturniere im Januar 2024 denkt. „Das direkte Ticket nach Paris würde den Winter tatsächlich ein bisschen entspannter machen. Und ich glaube, die Finanzverantwortlichen beim DHB würden sich auch freuen“, ahnt der Männer-Bundestrainer.
Sollte es für seine Mannschaft am Niederrhein nicht für den ersten EM-Titel seit 2013 reichen, ginge die Extra-Tour in fünf Monaten entweder nach Valencia oder nach Lahore, in die mit 11 Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt Pakistans. „Je nachdem wie die Weltrangliste im November steht, wird das verteilt. Wobei es im Moment wohl ein bisschen mehr Richtung Pakistan tendiert“, schwant André Henning, der sich nach den Erfahrungen seit dem WM-Sieg sicher ist: „Auch wenn der Abenteuerfaktor da natürlich riesig ist, ist das etwas, was die Jungs gerne vermeiden würden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“