Hochwasser am anderen Ende Deutschlands: Aufweichende Deiche

In Hamburg sitzt man gerade im Trockenen. Was aber, wenn der Bruder in Bayern neben der Donau wohnt? Ein Erlebnisbericht aus der Ferne.

Die über die Ufer getretene Donau im Sonnenuntergang

Bedrohlich schön: Der Donaudamm bei Straubing am 5. Juni Foto: Lisa Gilch

Es fängt an mit der interaktiven Hochwasserkarte der „Tagesschau“-App. Auf dem Handy ist diese Karte kaum zu bedienen, so zielgenau muss man mit den Wurstfingern die kleinen runden Punkte treffen. Orange Punkte bedeuten „mittleres Hochwasser“, rote Punkte bedeuten „großes Hochwasser“, lila Punkte „sehr großes Hochwasser“. Da, wo ich wohne, in Hamburg, ist kein Punkt. Da, wo mein Bruder wohnt, in Straubing, ist der Punkt orange. Es ist der 1. Juni. Straubing liegt in Niederbayern an der Donau zwischen Regensburg und Passau.

Wird schon gut gehen, denke ich. Andererseits: Die Donau fließt in einem Bogen um das Haus meines Bruders herum. Gefühlt liegt das Haus in einer Senke, weil die Donau zurückgehalten wird von einem Erdwall. Wenn das Wasser über den Wall treten würde, würde die Senke volllaufen wie eine Badewanne. Das Wasser käme von mehreren Seiten. Aber gut: „Mittleres Hochwasser“, easy. Ist nicht das erste Mal. Gab’s auch schon, als ich ein Kind war und in Regensburg wohnte.

Blöd nur, dass es im Wetterbericht heißt: Am Wochenende Dauerregen in Süddeutschland. Blöd auch, dass zur interaktiven Hochwasserkarte am laufenden Band Videos von Liveschalten aus dem Hochwassergebiet kommen. Und dass es mittlerweile einen Liveblog gibt, so wie für den Ukraine- und den Nahostkrieg.

Im Liveblog steht am 2. Juni: „Damm im Landkreis Pfaffenhofen gebrochen“, es geht dabei um den Fluss Paar, einem Nebenfluss der Donau. Nie gehört. Dann steht da: „Katastrophenfall in mittlerweile 12 Landkreisen.“ Katastrophenfall? Ich lese weiter. „Katastrophenfall“ bedeutet, dass irgendwelche Maßnahmen schneller ergriffen werden können. Eine bürokratische Kategorie quasi. Wie damals in der Pandemie die „gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“.

Sinnlose Sandsäcke

Als Straubing auch den Katastrophenfall ausruft, greife ich zum Telefon. „Und, seid ihr schon abgesoffen?“ – „Nein, nein“, sagt mein Bruder. „Alles in Ordnung. Der Scheitelpunkt kommt erst heute Nachmittag.“ – „Okay und hält der Deich?“ – „Der Deich? Du meinst den Damm. Nach dem großen Hochwasser im Jahr 2013 wollten sie den verstärken. Ich hoffe, sie haben es gemacht.“ Von Aufregung keine Spur.

Witzig, denke ich mir. In Hamburg heißt es „Deich“, in Straubing „Damm“. Ist offenbar so ein Ding wie mit den Brötchen, die im Süden Semmeln heißen.

„Und wenn die Donau da drüberschwappt?“ – „Du meinst, wenn der Damm bricht? Das wäre blöd. Das ist 2013 30 Kilometer entfernt in Deggendorf passiert. Aber bei uns noch nie.“

Drei Tage später, die Welle mit dem Scheitelpunkt müsste längst durch sein, nochmal ein Anruf in Straubing. Es ist der 5. Juni. „Hab ihr’s überstanden?“ „Na ja“, sagt mein Bruder, „der Damm hat gehalten, der Scheitelpunkt ist erreicht, aber das Wasser geht nicht zurück. Die Frage ist, ob der Damm dadurch auf die Dauer aufweicht.“

Und nun? „In der Stadt merkst du von dem Problem nichts. Alle klopfen sich auf die Schultern und sagen: ‚Hält schon. Hat ja 2013 auch gehalten.‘“ Und habt ihr Sandsäcke in Petto, falls der Damm bricht? „Nein, Sandsäcke würden nichts bringen. Die Feuerwehr macht eine Dammwache. Das ist alles.“ Und wenn es am Wochenende wieder regnet? „Schwer zu sagen. Aber bisher ist kein Regen angesagt.“

Es ist eine seltsam zwiespältige Bedrohung, die Bedrohung vom hinterm Damm. „Die Landschaft ist plötzlich ganz anders. Es sieht sehr schön aus, besonders abends. Man denkt: In Schönheit geht die Welt zugrunde.“

Noch ist nichts entschieden in Straubing. Stand Donnerstagnachmittag.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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