Hochschulreform: Müde Dialektik der Sprachlosigkeit
Die Schwarzmalereien der Bologna-Debatte ersticken jede zündende Idee von Uni. Nicht mal Jürgen Kaube und Detlef Müller-Böling haben eine.
![](https://taz.de/picture/328545/14/hoersaal_04.jpg)
Es ist ein Knister-Termin im Knaster-Land. Es ist ein Treffen, das Funken schlagen soll – heute Abend. Leuchtraketen mit Strahlkraft gebären, vielleicht einen tanzenden Stern. Die Studierenden stehen auf der Straße, an den Universitäten geht es drunter und drüber. Und viele fragen sich: Wie kann in einer vor Schwarzmalerei düster gewordenen Bildungsrepublik das Leuchtbild einer Neuen Universität aussehen?
Rhetorisches Scheinwerferlicht: Detlef Müller-Böling, da sitzt er, der ehemalige Chef des "Centrums für Hochschulentwicklung", jener Melange aus Bertelsmann-Stiftung und Hochschulrektorenkonferenz. Müller-Böling ist das Gesicht einer Uni von morgen und die Fratze der Uni von heute. Und auf diesem schnöden Ortstermin muss er sie verteidigen. Schumannstraße 8, Berlin-Mitte. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat eingeladen. Draußen ist es dunkel. Und heute geht es um die Zukunft der Universitäten.
Müller-Böling. Bildungsbewegte wissen, wofür dieser Name steht. Für das Centrum für Hochschulentwicklung, den mächtigsten Thinktank der deutschen Hochschullandschaft, finanziert vom Bertelsmann-Konzern, hofiert von allen, die an den Unis was zu sagen haben.
Müller-Böling, das ist der Vordenker jener auf dem Reißbrett neu entworfenen Hochschule, gegen die derzeit die protestierenden Studierenden auf die Straßen ziehen: von den einen verschrien als Apologet marktradikalen Bildungsumbaus, von den anderen gehuldigt als Ikone der innovativen Reformelite des Landes. Das ist der eine.
Und da sitzt der andere: Jürgen Kaube. Vorderster Widerstandskämpfer eines aus dem Tiefschlaf erwachten Bildungsbürgertums, das die Universität der eigenen Geistesgeschichte nahe am Abgrund wittert. Und der zuletzt oft in wundersamer Einfalt mit selbst anarchischsten Studierenden den Chor der Aufständigen sang. Jürgen Kaube, aufrechter FAZ-Feuilletonist und Herausgeber von "Die Illusion der Exzellenz" (Wagenbach 2009), schonungsloser Kritiker einer allzu bieg- und schmiegsamen Rhetorik der universitären Exzellenz: "Wir tun in Deutschland nichts anderes, als Elite zu simulieren", sagt er.
Kein Zweifel also: Hier sitzen zwei Könige ihrer Klassen, gewiefte Rhetoriker, zwei der besten Kenner der Hochschule von heute. Da muss es funken, das klingt nach Visionen.
Doch das Problem: Es knistert nicht mehr, wenn es um die Uni von morgen geht. Die Debatte um die Hochschule der Zukunft hat sich in ein strategisches Patt manövriert – auf der einen Seite sitzen die Kaubes, oft Humboldt-Fetischisten mit bildungsbürgerlicher Haltung.
Dort gegenüber die Müller-Bölings, die Macher der Desaster-Universität: ein Kollektiv organisierter Problemverschieber, in dem noch immer niemand Verständnis dafür aufbringen kann, dass die heutige Bologna-Misere auch strukturelle Gründe haben muss: "Wir können bei den neuen Bologna-Strukturen nicht von Restriktionen sprechen", sagen die Müller-Bölings allen Ernstes. "Wir nennen es Organisation."
Und auf der anderen Seite im Lehnstuhl: die intellektuelle Schönmeckerfraktion. "Heute machen Wissenschaftler Reformen, Reformfolgen und dann wieder Reformen – und sonst nichts weiter", sagen die Kaubes. "Wir haben ein Reform-Establishment aus Leuten, die sich berufsmäßig damit beschäftigen, einfach irgendetwas zu verändern." Es ist das Verantwortungspingpong einer erstarrten Debatte, die sich selbst zum Stillstand verdammt.
Was an diesem Abend konkret wird, gilt ansonsten im Allgemeinen: Denn so sieht sie aus, die müde Dialektik der Sprachlosigkeit, das irre Gegeneinander der Granden, die Visionslosigkeit als Programm. Die moderne Bildungsdebatte von heute, sie ist zum Ideologiekrampf erster Güte verkommen. Alle ziehen an einem Strang – in verschiedene Richtungen. Ein unfruchtbarer Machtkampf der Mächtigen. Kein Knistern mehr, nirgends.
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