Hochsaison auf dem Sinai: „Deutsche lieben die Wüste“
Eigentlich wäre nun die Hochsaison für Wüstenwanderungen in Nordafrika, doch auf der Sinai-Halbinsel sind die Cafés und Hotels leer.
Wüste. 61.000 Quadratkilometer stilles Land. Hier, zwischen Ägypten, Jordanien, Israel und Saudi-Arabien brannte angeblich der Dornbusch und Moses empfing die zehn Gebote. Der Sinai ist eineinhalb Mal so groß wie die Schweiz, beherbergt aber gerade einmal 1,3 Millionen Menschen, etwa die Hälfte davon sind Beduinen. In der Mitte und im Norden des Sinai wird viel und seit dem Fall Gaddafis besonders viel geschmuggelt.
Gerade sind Jeeps aus Libyen der Renner und lassen die Augen männlicher Beduinen leuchten. Im Norden haben gewaltbereite islamistische Zellen an Einfluss gewonnen. Das ägyptische Militär ist seit diesem Sommer dort verstärkt präsent. Die politische Lage ist also vertrackt. Der Süden hingegen ist ein Touristenparadies.
Rotes Meer und Steinwüste, wimmelnde Unterwasserwelt und lebensfeindliche Weite grenzen unmittelbar aneinander. Das politische Gerangel scheint hier weit weg. Wir sind zu dritt: Sofian, Omar und ich. Sofian Sowarka ist unser Guide. Er kommt aus dem Norden und ist dort in einem kleinen Dorf unweit von al-Arisch in der Wüste aufgewachsen.
Seit sieben Jahren führt er Touristen durch den sandigen Part des Sinai, vor allem Deutsche. „Die lieben die Wüste“, sagt er vergnügt. Der 28-Jährige legt die Route fest, organisiert Transport und Proviant. Außerdem wird Sofian kochen und mir das Gefühl geben, dass es nichts Friedlicheres zu tun gibt auf der Welt, als durch die ausgetrocknete Wasserwelt zu wandern.
Omar führt das Kamel mit unserem Gepäck, er ist stumm und sehr freundlich, wir unterhalten uns mit den Händen. Der etwa 30-jährige Mann hat fünf Kinder, das kleinste ist fünf Monate alt. Morgen früh wird er von Suleiman, dem Jeepfahrer, abgelöst werden. Je nach Route legen wir die Tagesstrecken per Kamel oder Jeep zurück.
Tourismuswirtschaft: "Der Tourismus ist mit einem Bruttosozialproduktanteil von rund 12 Prozent am nationalen Arbeitsmarkt eine der Hauptsäulen der ägyptischen Wirtschaft", sagt der Chef der Tourismusabteilung des Ägyptischen Generalkonsulats, Mohammed Gamal. Damit ist er auch die zweitgrößte Devisenquelle des Landes.
Die Zahlen: Im Jahr 2010 besuchten 14,7 Millionen Touristen das Land am Nil. Nach Ausbruch der Revolution im Januar 2011 brach der Tourismus um rund ein Drittel ein. Es wurden nur noch 9,8 Millionen Gäste gezählt. Inzwischen sind die Veranstalter aber wieder optimistisch. 2012 ging der Trend deutlich nach oben und die Vorbuchungen für 2013, so geben Neckermann und TUI übereinstimmend an, sind gut. Vor allem der Pauschaltourismus rund ums Rote Meer dürfte schon bald wieder das Rekordniveau von 2010 erreicht haben. Nicht zuletzt, weil die Veranstalter ihre Preise enorm gesenkt haben. Die meisten Touristen kommen aus Russland, die Deutschen liegen inzwischen auf dem zweiten Platz.
Unsicherheit: Touristen meiden Kairo, aber auch die Nilkreuzfahrten nach Assuan und Luxor sowie den Sinai. Vor allem der Sinai, der vor allem auch von Individualreisenden lebt, hat zurzeit kaum ausländische Besucher. (ika)
Die Revolution, die im Januar 2011 begann, hat zum Einbruch des Tourismus geführt. Und während sich die Zentren für den Pauschaltourismus am Roten Meer rund um Hurghada in diesem Sommer wieder einigermaßen erholt haben, sind Kairo und der Sinai noch immer wie leer gefegt.
Touristen bleiben aus
Die Gründe dafür sind unterschiedlich: In Kairo demonstrieren Anhänger und Gegner des islamistischen Präsidenten Mursi auf dem zentral gelegenen Tahrirplatz und das schafft Unsicherheit. Im Sinai demonstriert niemand, aber es kommt vereinzelt zu Entführungen von Touristen.
Für Sofian wie für alle, die in der Branche arbeiten, ein Graus. Er findet die ägyptische Militärpräsenz daher grundsätzlich gut – aber: „Weil sie den Sinai nicht verstehen, sind sie nicht dort, wo wirklich was passiert.“
Kein Geld für Strom
Und so schalten die ersten Ladenbesitzer im friedlich verschlafenen Straßendorf Dahab am Palmenstrand die ersten Kühlschränke aus. Sie können die Stromrechnungen nicht mehr bezahlen. Die vielen Cafés und Pensionen sind leer. Warten auf bessere Zeiten ist angesagt. „Leute von außen begreifen nicht, was hier passiert, das ist nicht ihr Fehler, das ist einfach so.“ So erklärt sich Sofian die Angst der Touristen.
In Dahab, dem von israelischen Hippies in den 70er Jahren als Taucheridylle entdeckten Beduinendorf, finden immer noch viele junge Männer, dass Mubarak unbedingt auf dem Tahrirplatz gehängt gehört. Und sie hoffen, dass das Militär die Muslimbrüder in Schach hält.
„Touristen mögen keine Islamisten“, sagen sie. Dabei stehen die Beduinen im Süden zwischen den Fronten. Sie hatten in der Vergangenheit viele Probleme mit dem ägyptischen Militär, das sind nicht ihre Freunde. Die Islamisten aber genauso wenig.
Der Touristenschwund führt dazu, dass ich keine Mitstreiter für eine Wüstentour gewinnen kann. Normalerweise finden sich in Dahab kleine Gruppen zusammen, die gemeinsam für einige Tage die Wüste erkunden. Auch Sofian kriegt allmählich Geldprobleme. Was kommt? Keine Ahnung. „Das Leben ist hart“, erklärt er nüchtern.
Laufen, laufen und würdevoll entspannen
Der hellbeige Sand ist butterweich und die Canyons leuchten in Violett und tiefem Rostrot, in allen Farben, die es zwischen Rot und Beige gibt. Die Berge sind um die 2.000 Meter hoch. Wir schlängeln uns auf Meeresspiegelhöhe zwischen den Felsen hindurch. Das Wasser hat sich spektakuläre Wege durch den Sandstein gebahnt. Was soll ich da im einsamen Gestein? Ich, überzeugte Städterin, durchschnittlich sportlich? Antwort: Laufen, laufen, um anschließend im Freien zu schlafen.
Zum Beispiel nach dem über einem kleinen Holzfeuer zubereiteten Mittagessen. Pasta mit frischem Salat. Kurzerhand kippen meine beiden Begleiter aus dem Schneidersitz in die Horizontale, dabei haben sie gerade noch ambitioniert den interkulturellen Dialog gepflegt.
Aber jetzt ist Pause. Beduinen sind Meister in Sachen würdevoller Entspannung. Ich strecke mich ebenfalls auf meinem Flickenteppich aus. Zum Aufwachen, gibt es schwarzen Tee, in ihm schwimmen Salbeikrümel – „Beduinentee“, perfekt für den Magen, erklärt mir Sofian.
Kein Glamour: Nur karg und hell
In der Wüste verhält man sich funktional. Kein Glamour, kein Chichi, die Kargheit, das Monumentale der Berge, das weiße Licht, das alles wirft uns aufs Einfache zurück. Es fühlt sich richtig an, dass wir auf einer simplen Decke sitzen, mit zwei kleinen zerdellten Töpfen kochen.
Ein Freund von Sofian kommt vorbei, man hat in der Nähe Wasser entdeckt und Hamed versucht sich als Hobbyfarmer. Es wird geplaudert, es geht wie immer viel um Autos. Dann kriege ich den einzigen Schlafsack, und Sofian rollt sich zwei Meter neben mir in eine buntbedruckte Polyesterdecke ein
Wir stehen früh auf, eine Wasserflasche ist unsere Dusche. Suleiman holt uns mit dem Jeep ab. Er strahlt, er ist verliebt, er singt, in zwei Wochen wird der 21 Jahre alte Suleiman heiraten. Sobald wir irgendwo anhalten, ruft er seine Liebste an. Keiner der beiden Männer kann sich ein Leben ohne Handy oder Internet vorstellen. Natürlich sind sie auf Facebook.
Wo hast du deine Zukünftige kennengelernt, frage ich, mal wieder ein dickwandiges Teeglas in der Hand. „In der Schule“, antwortet Suleiman. Also, da hab ich sie gesehen.“
Gratwanderung zwischen Alt und Neu
„Wenn es um Frauen geht, gibt es bei uns viele rote Linien, da muss man aufpassen“, setzt Sofian nach. Beduininnen werden weitgehend aus der öffentlichen Sphäre herausgehalten. Sie heiraten mit etwa 19 Jahren, in der Regel treffen die Familien die letzte Entscheidung, vier Kinder sind Durchschnitt.
Sofian ist unverheiratet. Er liebt seine Freiheit. Sein Beruf erlaubt es ihm, zwischen zwei Welten zu leben, zwischen den Traditionen der Beduinen, von denen er immer mit Stolz erzählt, und der modernen Welt, die die Touristen mitbringen.
„Stell mir Fragen, dann fang ich an, nachzudenken.“ Dieser unaufgeregte Satz bringt seine Gratwanderung auf den Punkt. Er sagt ihn öfter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour