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Hitze, Hochwasser und WaldbrändeMein Sommer der Unausweichlichkeit

Der sommerliche Eskapismus gelingt immer seltener. Wir sollten ohnehin gerade jetzt das Ausweichen vor Problemen verlernen, findet unsere Kolumnistin.

Der Sommer ist heute leider mehr Bedrohung als Belohnung Foto: Achim Duwentäster/imago

D ie Inseln werden kleiner. Das ist keine Nachricht über den steigenden Meeresspiegel – wobei, eigentlich ist es das auch. Obwohl hier meine Sommerinseln der Sorglosigkeit gemeint sind, mit denen ich aufwachsen durfte. Normalerweise verabschiedet man sich in Mitteleuropa eher Ende September vom Sommer. Da werden die Gliedmaßen schwerer und man sagt: „Ich will nicht, dass es schon wieder vorbei ist“, während man sich abends wieder einen Pulli überzieht. Aber dieses Jahr habe ich schon im Juli bei 33 Grad das Gefühl, mich vom Sommer verabschieden zu müssen. Nicht, weil morgen Herbst wird, sondern weil es nie mehr wird, wie es mal war.

Es war mal: Die Erlaubnis, die Welt durch den schmalen Spalt zusammengekniffener Lider zu sehen, oder durch den warmen Filter der Sonnenbrille. Das Überwassergeschrei vom Unterwasserrauschen übertönen zu lassen. Ausschließlich „leichte“ Bücher zu lesen, und bei der „Tagesschau“ wegzudösen. Meine Sommer waren mehr Belohnung als Bedrohung. Und das Beste am Sommer war die eingeschränkte Sicht.

Sommerlicher Eskapismus

Man darf betrauern, dass der sommerliche Eskapismus zwischen extremer Hitze, Hochwasser und Waldbränden seltener gelingt. Aber er ist auch ein Luxus, den ich nicht mehr verteidigen will. Deshalb muss man nicht gleich in pausenlose Klimapanik verfallen. Aber ich finde, dass wir dringend das Ausweichen verlernen müssen. Es hat uns kaum mehr gebracht als moralische Verwahrlosung und Self­love­-In­fluen­cer*in­nen, die uns einreden, selbst politische Untätigkeit sei irgendwie „valide“, solange wir genug Wasser aus ästhetischen Gefäßen trinken (#werbung).

Wir sind alle Ausweicher. Wir weichen der Frage aus, was wir tun können außer reden, Plastik vermeiden und weitermachen mit dem Projekt „ich will nicht reich sein, aber mir um Geld keine Sorgen machen müssen“. Wir fahren nach Irland oder Schweden, wenn Italien abbrennt und man nicht mehr aufs Mittelmeer gucken kann, ohne an Tausende Tote zu denken. Nichts gegen Urlaub in Skandinavien, aber man ist doch kein Mensch, um die Entsetzlichkeit dieser Dinge zu umgehen und einfach mit den Schultern zu zucken.

Ich bin spät dran mit meinem ersten Sommer der Unausweichlichkeit. Große Teile der Weltbevölkerung kennen längst eine lebensbedrohliche Realität, die für ihre größten Verursacher bloß die Dystopie der anderen war. In einer aktuellen Doku des ZDF-Formats „STRG_F“ sagt ein 18-jähriger Superreicher, dass ihm sein Komfort wichtiger sei als das Klima. „Ich lebe mein Leben, bin glücklich, und alles andere ist mir scheißegal.“ Unbedingt sollte man die zerstörerische Lebensweise dieser Parallelgesellschaft beschneiden. Aber das „Ich zuerst“-Verhalten lebt im Kapitalismus in allen Milieus, auch in meinem. Ich weiß schon, dass es nicht verschwindet, sobald wir die Sommerinseln gehen lassen. Aber Abschiede sind meistens ein Anfang.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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4 Kommentare

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  • Wieviele Aggregatzusände hat Eskapismus, als ein Versuch, die Sehnsucht nach Versöhnung mit sich selbst und der Welt im Jetzt auszufüllen? Eskapismus sagt ich, sagt wir. Ist die Ironie des Alltags, das Bierchen am Abend, das Bingen auf Disney+, das Konsumieren des Tiktok-Quatsches, das Genießen von Sportevents. Ganz allgemein das Genießen der Jetztzeit. Er ist das vorgaukeln einer Identität von dem gewollten mit dem realen.

    Aber die Nicht-Identität rettet uns auch vor dem Mythos. Ohne das Ausweichen vor der vermeintlichen Realität sind wir ihm schon längst verfallen, können die unwirkliche Wirklichkeit nicht mal Gefängnis nennen. Auf das Ausweichen verzichten hieße, auf das Leben zu verzichten, sich selbst, die eigene das Ich- und Realitätsprinzip torpedierende Mannigfaltigkeit abzutöten.

    Geht Ausweichen ohne Eskapismus? Es gilt, das Ausweichen zur Kunst zu machen.

  • Irgendwie klingt diese Beschreibung nach dem Abschied von Kindheit und Jugend.



    Jeder Mensch macht diesen Abschied irgendwann individuell durch.



    Wir leben aber in einer Zeit, in der die Menschheit als Ganzes diesen Abschied durchmachen sollte. Denn wir wissen alle, was mit Menschen geschieht, die sich diesem Abschied verweigern. Sie liegen irgendwann kaputt in der Gosse.

  • Ich hoffe, es gibt irgendwann einen Lin-Hierse-Sammelband.

    "Aber ich finde, dass wir dringend das Ausweichen verlernen müssen. Es hat uns kaum mehr gebracht als moralische Verwahrlosung und Self­love­-In­fluen­cer*in­nen, die uns einreden, selbst politische Untätigkeit sei irgendwie „valide“ solange wir genug Wasser aus ästhetischen Gefäßen trinken (#werbung)."

    Sätze, für die kaum jemand genug Mut und Sprachkompetenz hat. Beeindruckend.

  • Vielen Dank, Frau Hierse, für diese traurige, aber zutreffende Kolumne. Schon seit geraumer Weile beschäftigt mich die Frage, was Mensch sein eigentlich bedeutet. Solange Mensch hauptsächlich damit beschäftigt ist, den Planeten und das Leben darauf zu zerstören, andere Menschen und generell alle Lebewesen gnadenlos auszubeuten, nur auf sein eigenes Wohlbefinden zu achten, keinerlei Verantwortungsbewusstsein zu haben und ohne Sinn des Lebens zu agieren, kann ich mit Mensch und dem unsäglichen Anthropozentrismus nichts anfangen.

    Meine Sommerinseln der Sorglosigkeit sind am 26.4.1986 untergegangen und nie wieder aufgetaucht.