Historiker über die Märzrevolution: „Ich habe wie im Rausch geschrieben“

Rüdiger Hachtmanns neuestes Werk untersucht die Märzrevolution in Berlin. Darin geht er auch auf die Bedeutung von Frauen ein.

Ein weißes Schild mit der Aufschrift "Platz des 18. März" vor dem Brandenburger Tor in Berlin

Der „Platz des 18. März“ vor dem Brandenburger Tor erinnert an die Märzrevolution 1848 Foto: picture alliance / dpa | Robert Schlesinger

wochentaz: Herr Hachtmann, woher kommt Ihr großes Interesse an der Märzrevolution?

Rüdiger Hachtmann: Ende der 80er-Jahre habe ich angefangen, mich intensiver in die Geschehnisse von 1848 einzuarbeiten. Es hat Spaß gemacht, die Quellen zu durchdringen und damit die Geschichte ein Stück weit „nachzuerleben“. Wenn man sich die zahllosen Flugblätter, Plakate, Tagebücher und Briefe aus der Zeit der Revolutionsjahre anschaut, dann springt die Lebenslust und das neue, positive Selbstgefühl der Berliner ins Auge. 1848 war eine Hochzeit der Satire und der Karikaturen. Ich war so fasziniert, dass ich manchmal fast wie im Rausch geschrieben habe.

Jahrgang 1953, ist Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und außerplanmäßiger Professor an der TU Berlin.

Sie haben 1997 das Werk „Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution“ veröffentlicht. Worin unterscheidet sich das neue Buch?

Die tausend Seiten des ersten Buches können doch ziemlich abschrecken. Ich wollte daher ein überschaubares und zugleich spannendes Buch herausbringen, das auch von Schülern gelesen werden kann. Ich bin ausführlicher auf den Nachmärz und die politischen Prozesse eingegangen. Es gibt auch längere Passagen zu Aspekten, die kaum ins Blickfeld rücken, wenn man an 1848 denkt. Etwa die Rolle der protestantischen Geistlichkeit und die Bedeutung von Frauen während der Revolutionsmonate.

Den Frauen in der Revolution haben Sie ein ganzes Kapitel gewidmet. Welche Auswirkungen hatte die Märzrevolution auf die Frauenbewegung?

Die Revolution von 1848 war für Frauen in Berlin leider kein Jahr der Emanzipation. Frauen aus den Unterschichten wurden zwar nicht in ein geschlechtsspezifisches Korsett gepresst und einem bürgerlichen Familienmodell verpflichtet. Sie waren auch bei sogenannten Katzenmusiken beteiligt, bei denen sie mit Töpfen und anderen Haushaltsgegenständen Lärm erzeugten, um unbeliebten Personen aufzuspielen. Viel eingeengter war jedoch die Stellung der Frauen in den bürgerlichen Schichten. Für diese gab es kaum Raum zur politischen und sozialen Entfaltung. Nach meinem Eindruck verschlechterte sich die Stellung der Frauen in dieser Zeit sogar. Nicht zuletzt, weil die Verankerung geschlechtsspezifischer Normen auch in den unterbürgerlichen Schichten weiter voranging.

Wie konnten bürgerliche Frauen in der Märzrevolution dann überhaupt politisch aktiv werden?

Es waren vor allem vier Ebenen, auf denen bürgerlichen Frauen „erlaubt“ wurde, öffentlich aufzutreten: Erstens die Fürsorge für die Witwen und Waisen der Märzgefallenen, also eine Art nach außen gekehrte „öffentliche Mütterlichkeit“. Zweitens durften sie, als schweigsame Gäste auf den Parlamentstribünen, aber auch in den politischen Klubs sitzen und zuhören. Sie sollten allein durch ihre Anwesenheit den Streit der Männer dämpfen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Drittens waren Frauen quasi haushälterische Tätigkeiten erlaubt, die angeblich ihrem Geschlecht gemäß waren, etwa das Besticken von Fahnen der politischen Klubs oder der Bürgerwehreinheiten. Viertens wurden „Jungfrauen“, wie es damals hieß, als Dekor gern an die Spitze von Demonstrationen gestellt. Ein Frauenklub entstand in Berlin erst im Spätsommer. Ein zweiter nach der Spaltung des ersten im Frühherbst. Beide Frauenklubs beschränkten sich im Wesentlichen auf vermeintlich den Frauen reservierte politische Felder. Sie widmeten sich der Kindererziehung oder organisierten Spendensammlungen.

Sie sind Teil der „Aktion 18. März“. Damit setzen Sie sich dafür ein, den 18. März zum nationalen Gedenktag zu erklären.

Der 18. März ist ein demokratisches Fundamentalereignis der deutschen und auch der europäischen Geschichte, ein zentraler Grundstein der Demokratie. Berlin war neben Paris und Wien die dritte Revolutionsmetropole auf dem Kontinent. Der erstarkende Rechtspopulismus und die Etablierung autoritärer Regime in der EU sind Grund genug, dessen immer wieder zu gedenken. Am 18. März, das wird auf dem gleichnamigen Platz vor dem Brandenburger Tor ja angesprochen, wurde auch die Pariser Kommune ausgerufen, und zwar 23 Jahre später.

Dieser Versuch der Gründung eines basisdemokratischen Staates auf kommunaler Basis wurde von der französischen Gegenrevolution mit Unterstützung der preußischen Militärführung blutig niedergeworfen. Oberflächlich betrachtet war das ein französisches Ereignis. Tatsächlich fand die Pariser Kommune in der europäischen Öffentlichkeit einen großen und anhaltenden Widerhall, gerade auch in Berlin. Der 18. März macht die europäische Dimension der demokratischen Bewegungen sichtbar. Nicht nur 1848, sondern auch 1871.

Welche Stimmen gibt es gegen einen solchen Gedenktag?

Es wird gern eingewendet, dies sei eine Art preußische Nabelschau. Das Gegenteil ist der Fall. Die Märzrevolution verkörpert die Ablehnung alles dessen, was man mit borussischem Militarismus und preußischem Obrigkeitsstaat assoziiert, und den entschiedenen Widerstand dagegen. Ein Gedenktag, wie ihn die Aktion 18. März vorschlägt, wäre also dezidiert antiborrusisch.

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