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Historiker über Vertriebenen-Streit"Da kann ich als Pole nicht helfen"

Polen und Deutsche haben sich längst versöhnt, sagt der polnische Historiker Tomasz Szarota. Jetzt geht es um die Versöhnung der Deutschen mit sich selbst.

Erinnern an die Vertreibung der Deutschen: Erika Steinbach in der Ausstellung "Erzwungene Wege". Bild: reuters

taz: Herr Szarota, sind Sie sehr verbittert?

Tomasz Szarota: Verbittert? Nein, gar nicht. Wieso?

Sie wollten an einem Museumsprojekt in Berlin mitarbeiten, das sich - neben den Themen "Flucht, Vertreibung" - die "Versöhnung" zum Ziel gesetzt hat.

Tomasz Szarota

70, polnischer Historiker, spezialisiert auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs, die deutsche Okkupation Polens und den polnischen Widerstand. Sein Vater wurde von den deutschen Besatzungstruppen wenige Wochen vor der Geburt des Sohnes erschossen, seine Mutter war eine bekannte Germanistin. Seit 1962 arbeitet Szarota am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) in Warschau. Außerdem gehört er dem wissenschaftlichen Beirat für das in Danzig geplante Museum des Zweiten Weltkriegs an. Im Dezember 2009 zog er sich aus dem wissenschaftlichen Beraterkreis der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin zurück.

Szarota: Ja, ich wollte zeigen, dass wir Polen uns durchaus in das Schicksal derjenigen Deutschen hineinfühlen können, die 1945 ihre Heimat im Osten verloren haben. Die zu den letzten Opfern Hitlers gehörten und für den Krieg bezahlen mussten, den die Deutschen selbst begonnen hatten.

Warum haben Sie dann nun das Handtuch geworfen?

Ich habe nicht das Handtuch geworfen! Mir ist nur klar geworden, dass es bei dem Projekt gar nicht um die Versöhnung mit den Polen geht. Diese Phase haben wir ja auch längst hinter uns. Nein, es geht um die Versöhnung der Deutschen mit sich selbst. In Deutschland gibt es Menschen, die bis heute das Gefühl haben, als Flüchtlinge und Vertriebene in eine "kalte Heimat" gekommen zu sein. Sie fordern von der Mehrheitsgesellschaft Mitleid ein. Da kann ich als Pole nicht helfen. Das müssen die Deutschen schon unter sich ausmachen.

Aber Sie wurden doch als Pole eingeladen. Also geht es den Deutschen doch um die deutsch-polnisch Versöhnung?

Ich dachte das zunächst auch. Hans Ottomeyer, der Direktor des Deutschen Historischen Museums, dachte das sicher auch, als er mich im Juli 2009 bat, Mitglied des Wissenschaftlichen Beraterkreises zu werden. Schließlich wissen alle, dass ich mich mein ganzes Leben lang für die Versöhnung mit den Deutschen eingesetzt habe. So wie auch schon meine Mutter und meine Großmutter. Dabei war das nicht selbstverständlich. Die Deutschen erschossen gleich zu Kriegsbeginn meinen Vater, sodass ich ihn nie kennengelernt habe. Ich bin in den Ruinen von Warschau aufgewachsen. Schon als Kind wusste ich, dass die Deutschen fünf bis sechs Millionen polnische Staatsbürger ermordet hatten. Dennoch habe ich Deutsch gelernt, bin Spezialist für den Zweiten Weltkrieg und die deutsch-polnischen Beziehungen geworden.

Wann haben Sie bemerkt, dass es bei der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" gar nicht um die deutsch-polnische Versöhnung geht?

Auf der ersten Sitzung des Beirats. Bis auf die Publizistin Helga Hirsch kannte ich dort niemanden. Es war kein einziger Wissenschaftler da - weder von den jüngeren noch von den älteren -, mit dem ich bisher zusammengearbeitet hatte.

Das muss ja noch nichts heißen.

In diesem Fall doch. Denn in diesem neunköpfigen Kreis sitzen lauter Deutsche, die auch dem Wissenschaftlichen Beirat des Zentrums gegen Vertreibungen angehören. Die also dem Bund der Vertriebenen (BdV) nahestehen. Sogar Hans Maier, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beraterkreises, ist offizieller Unterstützer des BdV-Zentrums. Ebenso Krisztián Ungváry oder Peter Becher. Da sitzt kein einziger Forscher, der sich kritisch mit dem verqueren Geschichtsbild, den überhöhten Opferzahlen oder der braunen Vergangenheit vieler BdV-Funktionäre beschäftigen würde. Es ist einfach so: Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ist ein Klon des Zentrums gegen Vertreibungen.

Und Sie wollten nicht das Feigenblatt sein?

Genau. Mit dem Versöhnungskonzept des BdV kann ich nichts anfangen.

Wie sieht das aus?

Es beruht auf der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950. Darin verzichten die Flüchtlinge auf "Rache und Vergeltung". So als hätten sie ein Recht auf Rache. Dabei haben die Deutschen den Krieg begonnen. 1945 mussten Deutsche und Polen ihre Heimat im Osten verlassen - als Folge des von den Deutschen angezettelten Krieges. Abgesehen von all den Verbrechen, die die Deutschen während des Krieges begangen haben, heißt es dann noch in der Charta: "Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden." Das ist einfach nur zynisch, wenn man bedenkt, was die Deutschen den Juden, Polen, Russen und vielen anderen Opfern angetan haben.

Schon der Publizist Ralph Giordano hat die Vertriebenen-Charta kritisiert.

Und hat den Unterstützerkreis des Vertriebenenzentrums verlassen, ebenso wie die Historiker Micha Brumlik vom Fritz Bauer Institut in Frankfurt und Mosche Zimmermann von der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Wussten Sie das nicht, als Sie Ihre Teilnahme am Wissenschaftlichen Beraterkreis zugesagt haben?

Ich hatte einen gewissen Verdacht, aber mir war nicht klar, dass sich die Bundesregierung das Geschichtsbild des BdV so sehr zu eigen gemacht hat, dass Personal und Konzept des Zentrums gegen Vertreibungen einfach übernommen werden. Manfred Kittel, der Direktor der Stiftung, hat dies vor kurzem im Spiegel-Interview ganz klar gesagt. Es geht um die Gestaltung der deutschen Erinnerungskultur. Er selbst hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Vertreibung der Vertriebenen?". Das sagt doch alles.

Was für eine Rolle spielte der offene Brief des CDU-Europaabgeordneten Daniel Caspary an Außenminister Guido Westerwelle?

Der Brief ist einer der Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten. Außer Caspary haben diesen widerlichen Brief 16 EU-Parlamentarier der CDU/CSU unterschrieben. Caspary fragt darin, ob der Bundesregierung "Erkenntnisse" vorliegen über "mögliche Taten, Aktivitäten oder Äußerungen" der künftigen polnischen Partner der Stiftung. Und ob diese Taten einer Zusammenarbeit mit den Deutschen entgegenstehen könnten. Das ist infam und antipolnisch.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Die Deutschen haben sich mit dieser Stiftung in eine Sackgasse manövriert. Ob mit Steinbach oder ohne - das künftige Museum wird Schaden in den deutsch-polnischen Beziehungen anrichten. Vor allem als staatliches Museum. In der heutigen Situation wäre es am besten, der Forderung von Steinbach nachzugeben und die Stiftung aus dem Verbund mit dem Deutschen Historischen Museum herauszunehmen. Soll doch der BdV sein eigenes kleines Museum in Berlin bauen!

Zurück an den Start? Das wäre doch die Rückkehr zum Zentrum gegen Vertreibungen?

Der Protest der Polen hat den Deutschen klargemacht, dass an dem Geschichtsbild des Vertriebenenbundes etwas nicht stimmen kann. Wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Nun müssen sich alle Deutschen fragen, wer eigentlich die "vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen" sind. Die Deutschen selbst? Oder doch die Juden? Die Polen, die Russen? Vielleicht wäre ein Museum in Berlin gar nicht schlecht, in dem die Deutschen mit sich selbst ins Reine kommen könnten. Die Ausstellung des Deutschen Historischen Museums "Flucht, Vertreibung, Integration" könnte als Vorbild dienen. Auch für den Namen des künftigen Museums übrigens. Das Wort "Versöhnung" sollte man streichen. Es ist missverständlich. "Integration" ist viel angemessener. Diejenigen Polen und Deutschen hingegen, die sich schon lange versöhnt haben, könnten das "Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität" aktivieren und gemeinsame Veranstaltungen planen. Auch das in Danzig geplante Museum des Zweiten Weltkriegs wäre ein idealer Ort für eine gute Zusammenarbeit.

Was aber, wenn die Deutschen dem Einfluss des BdV erliegen und tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass die Deutschen neben den Juden die eigentlichen Opfer des Zweiten Weltkriegs sind?

Niemand auf der ganzen Welt würde diese Sicht teilen. Aber schon jetzt weckt der deutsche Opferdiskurs die Erinnerung der Opfer im ehemals nazibesetzten Europa. Sie sehen, dass Berlin den Tätern und Opfern, die im BdV organisiert sind, Millionen an Steuergeldern zuschanzt. Da fragen sich die Griechen, die Italiener, die Polen natürlich: Und was ist mit uns? Irgendwann werden auch die Russen Forderungen stellen, die Ukrainer und alle anderen Opfer des Zweiten Weltkriegs. Das ist nur gerecht.

Was ist eigentlich das Hauptproblem in der deutsch-polnischen Erinnerungsdebatte?

Das Hauptproblem ist die richtige Gewichtung. Die Deutschen reden immer öfter von einem "Jahrhundert der Vertreibung". Sicher ist der Verlust der Heimat eine Tragödie. Aber es gibt etwas Schlimmeres. Das ist die Vertreibung aus dem Leben. Es ist ein Unterschied, ob die Deportationszüge im Vernichtungslager Auschwitz hielten oder im Grenzdurchgangslager Friedland. Die einen gingen in den Tod, die anderen in eine neue Heimat. Mein Vater wurde von den Deutschen erschossen, während Erika Steinbach mit ihrer ganzen Familie nach Hanau zurückkehrte. Sie kann mir nicht die Hand reichen und sagen: "Ich vergebe Ihnen, Herr Szarota."

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23 Kommentare

 / 
  • PD
    Polnischer Deutscher

    Die Zeit wird kommen, in der Polen und Deutsche sich der gemeinsamen Geschichte stellen können ohne Schuldzuweisungen, Vorwürfe und Hass. Wir sind längst auf dem besten Weg dahin.

    Dazu bedarf es noch Zeit und vorallem Wachsamkeit gegenüber Personen wie Steinbach und nationalistischen Revanchisten auf beiden Seiten. Denn deren Argumentationskette ist stets gleich: Die Schuld läge ausnahmslos auf der anderen Seite (bzw. deren vorherigen Handlungen) und menschliches Leid könne zahlenmäßig gegeneinander aufgerechnet werden.

     

    Unrecht soll und darf nicht mit vorherigem oder späteren Unrecht gerechtfertigt werden. Die Analyse und Aufarbeitung der Geschichte und die Abläufe von Ursache und Wirkungen sollen das Geschehene erklären, dürfen jedoch nicht zur Rechtfertigung von Unrecht und Gewalt dienen.

     

    Vergangenes Unrecht und Leid ist nicht die Schuld heutiger Generationen oder ganzer Völker. Wir haben jedoch die Verwantwortung uns gemeinsam dieser Ereignisse zu erinnern, als Mahnung für Gegenwart und Zukunft. Polen und Deutsche müssen lernen in einem respektvollen und toleranten Dialog das Leiden und das erfahrene Unrecht der jeweils anderen Seite anzuerkennen und gegenseitiges Verständnis für die eigenen Befindlichkeiten zu wecken. Es ist die Aufgabe der Nachkriegsgenerationen einen Umgang mit den dunklen Kapiteln unserer gemeinsamen Geschichte zu finden, der versöhnt und verbindet.

     

    Es lebe die deutsch-polnische Waffenbrüderschaft von 1848/49. Patrioten Europas vereinigt euch gegen Nationalismus und Faschismus! Für eure und unsere Freiheit! Za wasza i nasza wolnosc!

  • RS
    Renate S.

    In der Politik wird gelogen und geheuchelt!!

    Das ist besonders in Polen und Deutschland der Fall.

    Schade, denn die Menschen könnten glücklicher sein,

    wenn sie ehrlich wären.

  • GE
    Gunnar Eriksen

    @Peter Maas

     

    Bevor Sie mit oberlehrerhaftem Zerpflücken einer zwar sehr kurzen, aber dem Grunde nach korrekten Anmerkung mit nichtssagenden Allgemeinplätzen Ihre eigene Unkenntnis - und dies in doppelter Hinsicht: historisch und juristisch - zur Schau stellen, sollten Sie sich der Mühe unterziehen, sich mit den Fakten vertraut zu machen.

    Nur ein Beispiel:

    "... denn Stalin wollte seinen Beuteanteil aus dem Hitler-Stalin-Pakt nicht mehr rausrücken."

    Bevor Sie solchen Unsinn verbreiten, beschäftigen Sie sich mit dem Polnisch-Sowjetischen Krieg von 1920.

     

    Ihre Argumentationsakrobatik erinnert mich an das Lügenkonstrukt unseres Geschichtsunterrichts in der sogenannten DDR.

  • G
    Gerald

    "Die einen gingen in den Tod, die anderen in eine neue Heimat"

     

    Und so was schimpft sich Historiker!

    Hunderttausende Vertriebene sind keineswegs in ihre neue Heimat gegangen, sondern ermordet worden!

  • SA
    Schlesier aus Franken

    Angriff ist die beste Verteidigung. Bald hat es das offizielle Polen mit seinem Kampf gegen Frau Steinbach erreicht, dass das "Zentrum gegen Vertreibung, Vertreibung Versöhnung" gestorben ist. Das ist das eigentliche Ziel all dieser Eskapaden.

    Ein solches Zentrum müsste nämlich auch die Zeit zwischen 1918 und 1939 im deutsch-polnischen Verhältnis aufarbeiten. Hier liegt aber noch sehr Vieles im Dunkeln der polnischen Geschichte.

    Zur Versöhnung kann man nur über die Wahrheit kommen.

  • PM
    Peter Maas

    @Joachim Bovier:

     

    ZITAT: "Unrecht kann Unrecht nicht gegründen. Es entspricht den Tatsachen, dass der Polenfeldzug Hitlers und die anschließende Besetzung von Teilen Polens - die anderen hatten die Russen besetzt - durch die deutsche Wehrmacht rechtswirdirg war."

     

    Hallo? Es kann doch nicht angehen, diese furchtbaren Verbrechen mit dem schmallippigen Vokabular eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens abzuhandeln. Man kann darüber durchaus wissenschaftlich sprechen, aber man muss doch die Dimensionen und die abgrundtiefe Bösartigkeit dieser Taten im Blick behalten.

     

    ZITAT: "Es gehört jedoch zu den grundlegenden Konstanten einer juristischen Würdigung, dass diese Rechtswidrigkeit nicht geeignet ist, das Unrecht der Vertreibung der Deutschen aus Polen und den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die nie Teil Polens waren, zu rechtsfertigen imstande ist."

     

    Eine juristische "Würdigung" kann die Umstände und Handlungszwänge der damaligen Zeit gar nicht erfassen. Auch wenn ich das Leid der Vertriebenen anerkenne, kann ich die Handlungsweise der Polen absolut nachvollziehen:

    Erst wurde Polen von Deutschland überfallen, dann kam eine albtraumhafte Besatzungszeit mit rassistischen Greueltaten vom Anfang bis zum Ende, und schließlich mussten die Polen mit ihren eigenen Ostvertriebenen fertig werden, denn Stalin wollte seinen Beuteanteil aus dem Hitler-Stalin-Pakt nicht mehr rausrücken. In dieser Situation boten nun die Allierten die deutschen Ostgebiete als Kompensation an. Kann man ernsthaft erwarten, dass die Polen sich da hätten zieren sollen?

     

    ZITAT: "Das passt nicht ins ideologische Bild der TAZ, wäre aber eine juristisch saubere Analyse, [...]"

     

    Juristisch sauber. Dabei muss ich an Eichmann denken.

  • I
    Iwonne

    Vielen dan für das Interview. Obwohl ich CDU-Mitglied bin, habe ich zu dem Thema gleiche Meinung wie Herr Szarota.

  • DA
    Der andere Andre

    Auch wenn mir ihre Person zutiefst unsympathisch ist, so hat Erika Steinbach in einem Punkt doch Recht:

    Die Frage des Anspruchs auf enteigneten Landbesitz seitens der deutschen Vertriebenen bedarf einer Klärung. Das totschweigen dieses Themas seitens der deutschen Regierung führt auf beiden Seiten der Grenze zu Unsicherheit und Unbehagen. So trauen sich z.B. manche Polen nicht mehr, das Haus, in dem ihre Familie seit Jahrzehnten lebt, zu renovieren, da sie eine Rückgabe an die früheren deutschen Besitzer bzw. ihre Nachkommen fürchten. Dieses Problem bedarf einer raschen Klärung und ist Vorraussetzung dafür, dass man sich bei den deutsch-polnischen Beziehungen den Herausforderungen der Zukunft widmen kann.

    So möchte ich Herr Szarota in diesem Punkt doch wiedersprechen. Nicht alles ist zwischen Deutschen und Polen vergeben und vergessen.

    Allerdings ist die zur Schau gestellte Neutralität Steinbachs bei diesem Thema blanke Heuchelei. Natürlich setzt sich Steinbach als Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen für die Besitzansprüche eben dieser ein.

    Natürlich empören sich die Polen, das gerade Steinbach einen Posten im Stiftungsrat bekommen soll. Sie würden sich auch wundern, wenn bei einem Zivilprozess der Anwalt der Gegenpartei sich selbst als Experten in den Zeugenstand ruft.

    Überhaupt halte ich das Engagement des BdV in der Stiftung für höchst fragwürdig, handelt es sich hierbei ja eben nicht um kritische Geschichtsforscher, sondern um Vertreter in eigener Sache.

  • M
    Marco

    Ein sehr lesenswertes, entlarvendes und unter anderem auch Szarotas Argumentationen aufgreifendes Buch zum Thema:

    Bettina Mihr ,Wund-Male. Folgen der Unfähigkeit zu trauern und das Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen; erschienen 2007 im Psychosozial Verlag in Gießen!

  • M
    M.Eskandani

    Die Einschätzung hat meine Zustimmung: es ist an erster Stelle eine innerdeutsche Diskussion. Es ist richtig, dass sich Polen und andere da heraushalten sollten.

    Um Mitleid geht es den Vertriebenen allerdings keinesfalls, ich glaube, das würde sich jeder verbieten, wohl aber um eine lang überfällige Wahrnehmung und Anerkennung seitens der bundesdeutschen Gesellschaft.

  • HK
    Hans Kuminall

    Vielen Dank für dieses erfrischende Interview!

    Ich kann diese Debatte über das "Zentrum der Vertreibung", die der nach wie vor revanchistische BdV der Öffentlichkeit erfolgreich mit Unterstützung der CDU/CSU unter dem Vorzeichen der "Versöhnung" aufgezwungenen hat, schon lange nicht mehr ertragen. Solche informierten Einschätzungen abseits vom Poltern bei FDP-Dreikönigstreffen oder ähnlichen Veranstaltungen sind wirklich erleichternd.

  • K
    keetenheuve

    Es geht nicht um eine "Rückkehr nach Hanau", wie Szarota dieses Thema etwas verharmlosend darstellt, sondern um die Vertreibung und Flucht von Millionen Deutschen aus ihrer Heimat. Für sie war es keine "Rückkehr". Hier sollte Szarota etwas selbstkritisch die immer noch gültige polnische Sicht auf dieses Kapitel betrachten: Noch heute heißt sogar in den polnischen Schulbüchern, dass die Ostdeutschen "repatrieert" wurden. Wie kann man "repatrieert" werden, wenn man seine Heimat verlassen muß?

    In Breslau wird seit kurzem eine sehr interessante Ausstellung über die Stadtgeschichte gezeigt (1000 Jahre Breslau). Über die Breslauer, die fast komplett 1945 ihre Heimatstadt verlassen mußten, wird in der Ausstellung ein einziges Foto gezeigt, wie sie lachend (!) aus den Waggons winken. Dazu ein Satz, der dies als "Repatriierung" bezeichnet.

    Im Gegensatz zu Szarota gibt es aber in Polen viele junge Menschen, die an der Gechichte ihrer neuen Heimat im heutigen Westpolen interessiert sind und deshalb auch am Schicksal der deutschen Vertriebenen teilnehmen. Immer mehr Polen wollen z. B. wissen, wer vor ihnen bis 1945 in ihren Städten gelebt hat und wie es dort aussah. Aus diesem Grund ist gerade der deutsch-polnische Aspekt für das Zentrum gegen Vertreibungen wichtig, auch wenn Szarota dies eher in der Vergangenheitsperspektive sieht.

  • KZ
    Klaus Zander

    Ein Auszug aus einem Spiegelbericht von 2002 kennzeichnet die nicht registrierte Gegenseite. Wenn die Polen das Gegenteil von den Nazis sein wollten, warum dann so.?

     

    Erwartet man das die Betroffenen, soweit sie noch leben, dies vergessen, oder gegenrechnen gegen Naziunrecht mit dem sie nichts zu tun hatten ?

  • BL
    Bernd L. Nepomuck

    Wenn es heißt "die Deutschen" muß man sich darüber im klaren sein, daß viele Deutsche kein Verhältnis zum Thema Vertreibung haben. Die Generation der Vertriebenen stirbt aus und die Nachfolgegeneration und deren Kinder haben ihren Frieden mit Polen überwiegend gemacht. Abgesehen von den vielen Zuwanderern und deren Kinder und Kindeskinder, die in der Bundesrepublik seit dem zweiten Weltkrieg leben und die andere Probleme haben als die Aufarbeitung der Vertreibung und die Suche nach Wiedergutmachung, interessieren sich nur noch wenige Leute für das Thema. Der Bund der Vertriebenen könnte sehr schnell im gesellschaftlichen Abseits stehen, nicht erkennend das er von politischer Seite her instrumentalisiert wird um u.a. noch ausstehende Forderungen anderer unter der Nazidiktatur leidender Länder abzuschwächen oder zu blockieren.

    Was in jedem Falle wichtiger ist, ist das Verhältnis zu Polen, welches sich in den letzten Jahrzehnten, seit dem Fall des eisernen Vorhangs gewaltig gebessert hat. Viele ehemalige Vertriebenen haben ihre alte Heimat besucht und mit den dort Ansässigen nicht nur gesprochen sondern sich auch hilfreich engagiert. Sie und viele von der Vertreibung nicht betroffene Deutsche haben sich so mit ihren polnischen Nachbarn versöhnt. Der Eintritt Polens in die EU, der wirtschaftliche und gesellschaftliche aber auch zwischenstaatliche Austausch mit Deutschland haben die Verhältnisse zwischen den Menschen auf ein recht normales Niveau gehoben. Polen arbeiten und leben in Deutschland und viele Deutsche haben sich im Gegenzug wirtschaftlich aber auch persönlich in Polen engagiert. Es wird untereinander geheiratet und unser Kinder studieren in Polen und polnische in Deutschland. Die Fehler der Vergangenheit, die Kriegsschuld Deutschlands in Folge der Naziherrschaft und die nachfolgenden traurigen Ereignisse der Vertreibung mit all ihren Begleitumständen sollten gemeinsam von Deutschen und Polen wissenschaftlich aufgearbeitet und den Deutschen und Polen in Geschichtsbüchern und Museen präsentiert werden.

    Beide Länder haben eine große christliche Tradition in der die Vergebung der Schuld einer der zentralen Forderungen dieser Religion ist. Wir sollten uns daran halten.

    Europa wächst zusammen und die Menschen kommen sich näher. Ein Austausch wird stattfinden und am Ende werden wir uns alle als Europäer verstehen, auch weil die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte dies zwingend erfordern. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit aber wir haben auch eine große gemeinsame Zukunft.

  • A
    anke

    Wer erlöst Erika Steinbach? Freiwillige vor!

     

    Philosophisch und psychologisch ist das durchaus eine interessante Frage. Darf ein Täter-Kind von einem Opfer-Kind verlangen, dass es sich den Satz: "Ich vergebe Ihnen, dass Ihr Vater ein Opfer meines Vaters wurde" widerstandslos ins Gesicht sagen lässt?

     

    Tomasz Szarota hat recht: Moralisch ist er wohl tatsächlich nicht verpflichtet, den Deutschen bei der Versöhnung mit sich selbst zu helfen. Und juristisch schon gleich gar nicht. Wenn es also über seine Kräfte geht, Leuten wie Erika Steinbach die Hand zu reichen, hat er durchaus ein "gutes Recht" darauf, sich zurückzuziehen. (Schließlich: Keiner hätte was davon, würde der Mann z.B. seine geistige Gesundheit ruinieren.) Er hätte das Recht selbst dann, wenn es bedeuten würde, dass seinen Platz jemand anders einnimmt. Jemand, der weit weniger Skrupel hat, weil er persönlich sehr viel weniger involviert ist. Denn dass Frau Steinbach nun aufgeben wird, ist weiß Gott nicht zu erwarten. Unversöhnte sterben nicht. Sie spuken weiter. Bis zum jüngsten Tag. Das jedenfalls behauptet die Legende. Machen wir uns also auf etwas gefasst. Die Wiederkehr der ewig Gleichen ist keine Erfindung von Nitzsche. Jedenfalls keine völlig aus der Luft gegriffene.

  • PG
    Peter Gallup

    Vielen Dank für dieses Interview, Frau Lesser! Interessant, wie schnell die angeblich "unbekannten" Gründe für Szarotas Entscheidung erfahren kann, wenn man ihn einmal selber fragt. Zugleich widerlegt Szarota sich selbst: von allein scheinen die Deutschen es offenbar nicht hinzukriegen, das Vorhaben einer Vertreibungs-Stiftung einnal derart kritisch zu überprüfen.

  • MS
    M S

    Sehr erfreulich, wie Herr Szarota in diesem Interview die Dimensionen sowie Ursache und Wirkung zurecht rückt. Es ist allerdings peinlich, dass uns Deutsche das ein polnischer Historiker sagen muss. Ein erschreckendes Zeichen dafür, wie weit sich die Sehnsucht nach einem Schlussstrich beim Thema Zweiter Weltkrieg und Holocaust wieder ausbreitet.

  • M
    martin

    Herr Szarota hat recht insofern das die Deutschen erstmal mit sich selbst ins Reine kommen sollten, die Vertrieben sind Opfer keine Täter.... auch wenn das den Linken nicht ins Weltbild passt....

  • S
    Sandramo

    Niemand hat das Recht, Unrecht zu begehen. Auch polnische Leute nicht. Sie hatten also nicht das Recht, die Deutschen bei der Durchführung des Holocaust engagiert zu unterstützen. Sie hatten nicht das Recht, eigene Judenpogrome durchzuführen. Und sie hatten nicht das Recht, die deutsche Bevölkerung unter Androhung und Anwendung von Gewalt jeder Art zu entfernen. Trotzdem haben sie es getan. Und nun tobt die polnische Volksseele, weil das auch mal so vorgetragen und erinnert werden soll. Psychologisch verständlich, aber moralisch eben ganz unten.

  • JS
    Jan S.

    Frau Steinbach sollte sich endlich zurückhalten mit ihrer revanchistischen Position und aufhören mit ihrem Revisionismus die deutsche Kriegsschuld in der Geschichte sozusagen herumzudrehen.

  • J
    J.P.S.

    Herr Szarota,

    mein Respekt an Sie. Sie finden klare Worte, das tut gut!

    Mal sehen, wie ignorant Ihre erfolgreiche Teilnahme im wissenschaftlichen Beirat und Ihr klares Arbeitsergebnis, dessen Zeugnis Sie auch mit diesem Interview hier ablegen, von der deutschen Elite aufgenommen und umgesetzt wird?

    Vertritt die deutsche Elite denn tatsächlich den Querschnitt der deutschen Bevölkerung und vor allem dass, wonach sich viele sehnen?

    So weh es auch tut, wir sind in der Vergangenheit zu unseren eigenen Opfern geworden. Wir sollten lernen uns selbst zu verzeihen.

  • JB
    Joachim Bovier

    Unrecht kann Unrecht nicht gegründen. Es entspricht den Tatsachen, dass der Polenfeldzug Hitlers und die anschließende Besetzung von Teilen Polens - die anderen hatten die Russen besetzt - durch die deutsche Wehrmacht rechtswirdirg war. Es gehört jedoch zu den grundlegenden Konstanten einer juristischen Würdigung, dass diese Rechtswidrigkeit nicht geeignet ist, das Unrecht der Vertreibung der Deutschen aus Polen und den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die nie Teil Polens waren, zu rechtsfertigen imstande ist.

    Das passt nicht ins ideologische Bild der TAZ, wäre aber eine juristisch saubere Analyse, um die auch diese Zeitung bemüht sein sollte.

  • Z
    Zeitgeist

    Die Sichtweise von Polen, die den Krieg selbst erlebt haben, kommt bei dieser leidigen Debatte oft zu kurz.

     

    Guter Beitrag!!

     

    Der BdV wird sich nicht vom Verdacht befreien können, dass es seinen Mitgliedern in erster Linie um eine moralische Rechtfertigung geht, die in zweiter Linie auch das Recht auf materielle Entschädigung nach sich zieht.

     

    Dies sind reale Ängste in Polen, die Angst vor materiellen Ansprüchen der deutschen Vertriebenen. Warum, nebenbei bemerkt, sollte die deutschen Bundesregierung hier Verantwortung (und die Kosten bei eventuellen Schadenersatzforderungen) übernehmen? Hier sollte kein Geld mehr fließen, die Vertriebenen haben genug bekommen.

     

    Steinbach ist eine persona non grata, ein Blick auf ihre Biographie lässt erkennen, dass sie selbst eben keine Vertriebene ist, wohl aber mithilfe dieses "Etiketts" Karriere machen konnte. Dass sie gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze stimmte, zeigt wes Geistes Kind sie ist.

     

    Ich bin Deutscher und lebe seit 3 Jahren in Polen.

     

    Ich habe hier viele Leute kennengelernt, die recht gastfreundlich, offen und hilfsbereit sind. Ressentiments oder Anfeindungen wegen meiner Herkunft habe ich hingegen nie erlebt. Der Alltag im 21. Jahrhundert stellt uns vor andere Probleme und Herausforderungen, als ständig irgendwelche alten Rechnung wieder neu aufzumachen.

     

    Ich bin es leid, dass die deutsch-polnische Zusammenarbeit und wenn man so will - "Versöhnung" - durch derartige Debatten immer wieder massiv beschädigt wird. Viele Organsationen, Schulen usw. müssen sich beschämt fühlen.

     

    Frau Steinbach, ziehen Sie sich aufs Altenteil zurück, halten Sie Ihren Mund und lassen Sie uns alle in Ruhe.

     

    P.S.: In Zeiten der Sparzwänge bitte ich die verantwortlichen Politiker, auch ernsthaft über finanzielle Kürzungen beim Bund der Vertriebenen nachzudenken.

     

    Das Geld scheint dort nicht besonders gut angelegt.