Historiker über Dortmund – Schalke: „Es ist eine besondere Atmosphäre“
Ein „Hassduell“ ist das Derby erst seit den achtziger Jahren. Seit die Tickets über 100 Euro kosten, geht auch der Hass zurück, sagt Paul Nierhaus.
taz: Herr Nierhaus, am Samstag spielt Dortmund wieder gegen Schalke. „Hassduell“, „Medienhype“, was ist das Derby?
Paul Nierhaus: Ein Hassduell ist es nicht mehr. Das war es zeitweise, aber das ist vorbei. Medial werden diese Spiele natürlich aufgegriffen, wobei die mediale Behandlung immer auch etwas Folkloristisches hat.
Wann wurde es ein Hassduell?
Ab den achtziger Jahren wurde es emotionaler wahrgenommen als vorher. Das hängt mit den sozialen Veränderungen im Ruhrgebiet zusammen, dem Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie. Bis dahin haben viele Menschen hier ihr Selbstbewusstsein daraus gezogen, sich als Antrieb des Fortschritts zu verstehen: Mag sein, dass man seinen Fuß nicht in alle hiesigen Flüsse halten konnte, aber man wusste doch, dass man wichtig ist. Als das wegbrach, wurden der Fußball und seine Vereine noch bedeutender.
Repräsentieren Dortmund und Gelsenkirchen verschiedene Ergebnisse des Strukturwandels: Bei den einen hat ’s geklappt, bei den anderen nicht?
So weit würde ich nicht gehen. Der Fußball hat eine größere Bedeutung bekommen, und das sind ja die sportlich stärksten Klubs in der Region.
Oft sind es ja Konflikte zwischen Vereinen mit proletarischen und bürgerlichen Wurzeln: 1860 vs. Bayern, St. Pauli vs. HSV und so weiter. Findet sich hier eine Erklärung für die Rivalität von Schalke und Dortmund?
Nein, gar nicht. Beide waren Arbeitervereine, und das bietet ja eine mögliche Erklärung: dass es darum geht, wer der führende Arbeiterverein ist. Schalke 04 war in den dreißiger Jahren dominant und konnte zeigen, dass Arbeiter besser kickten als Bürger. In den fünfziger Jahren kam dann der BVB als Konkurrent hinzu.
Studie: A. Luh und P. Nierhaus: „Schalke 04 gegen Borussia Dortmund: 1947–2007. Mythos und/oder Wirklichkeit des Revierderbys“. Nierhaus ist Sport- und Geschichtslehrer.
Sie sagten, die Sache mit dem Hassduell sei aber jetzt vorbei.
Der Fußball hat sich ja in den vergangenen Jahren immer stärker professionell vermarktet, für das Revierderby merkt man das ab etwa 2000/2001. Das drückt sich in den steigenden Preisen aus.
Also sozialer Wandel?
Es gibt Fans in beiden Lagern, die nicht hassen, sondern die Spaß daran haben, dass es einen Gegenpol gibt, eine sportlich ähnlich starke Mannschaft, gegen die man regelmäßig spielt und manchmal gewinnt. Aber natürlich sind das eher Fans, die sich ein Ticket für 150 Euro leisten können und mit dem Mercedes zum Stadion fahren.
Wie weit geht die Konkurrenz zurück?
Bis in die fünfziger Jahre. Da wurde Schalke noch mal Deutscher Meister, Dortmund aber auch zweimal. Bis dahin waren Schalker Fans es gewohnt, die führende Kraft im westfälischen Fußball zu sein. Dann aber kam der BVB, es begann eine sportliche Konkurrenz auf sehr hohem Niveau.
In den fünfziger Jahren war aber auch Rot-Weiß Essen eine Macht im Revier. Warum hat sich die spezielle Konkurrenz von BVB und S04 entwickelt? Und nicht eine gegen RWE?
Im Ruhrgebiet selbst haben Spiele zwischen Revierteams – wenn sie in der gleichen Liga spielen oder im Pokal – immer eine gewisse Brisanz. Das gilt etwa für den VfL Bochum und den MSV Duisburg. Die Bedeutung von Rot-Weiß Essen nahm ab, bei Schalke und Dortmund aber bekam die Konkurrenz immer neues Futter.
Die Grünen standen einmal für Steuererhöhungen. Nun würden sie aber lieber gut bei der Bundestagswahl abschneiden – mit den Stimmen von Anwälten und Oberärzten. Wie sie still und leise ihren Kurs korrigieren, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. Oktober. Außerdem: Fußball gilt als Integrationsmotor? Ist er das wirklich? Und: Selbst wenn Donald Trump nicht gewählt wird – was wird aus dem Hass, den er gesät hat? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Es gibt immer wieder Spieler- und Traineräußerungen, wie wichtig das Derby sei. Ist das ernst gemeint?
Die Spieler kriegen das mit. Wenn bei Schalke etwa zu einem öffentlichen Training bis zu 5.000 Fans kommen, wird den Spielern schon vermittelt, welchen Gegner man unbedingt schlagen muss. Auch im Derby selbst, in Spielsituationen, da herrscht eine besondere Atmosphäre im Stadion, auf die die Spieler reagieren. Aber natürlich sind manche öffentliche Äußerungen auch einer professionellen Medienarbeit geschuldet.
Zu Ihnen persönlich: Sie haben lange zum Revierderby geforscht, sind Sie schwarz-gelb oder königsblau?
Weder noch. Ich unterstütze den MSV Duisburg, auch wenn es nicht immer leicht ist. Aber ich als Mensch aus dem Ruhrgebiet freue mich auch über Erfolge von Dortmund und von Schalke. Die repräsentieren ja beide die Region.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen