Historiker über Demonstrationsverbote: „Sie muss die Gewalttäter rausholen“

Es gab einige Demonstrationsverbote. Doch die Polizei darf das Grundrecht auf Demonstration nicht beschränken, sagt Polizeihistoriker Harold Selowski.

„No Pegida“ diese Woche in Dresden. Schon früher gab es in Deutschland Demonstrationsverbote Bild: dpa

taz: Herr Selowski, der Polizeipräsident von Dresden hat für den 19. Januar sämtliche Demonstrationen in der Stadt verboten. Wann hat es das in der deutschen Geschichte schon gegeben?

Harold Selowski: Ad hoc fällt mir der sogenannte Blutmai ein: der 1. Mai 1929.

Was war da los?

Bereits im Dezember 1928 hatte der damalige Polizeipräsident Karl Zörgiebel nach gewalttätigen Demonstrationen – zwischen Nazis, deren SA-Schlägern sowie den Kommunisten und deren Rot-Front-Kämpferbund – ein generelles Demonstrationsverbot für Großberlin erlassen.

Anlässlich des 1. Mai forderten die Kommunisten eine Aufhebung des Verbots, aber Zörgiebel und der preußische Innenminister Albert Grzesinski hielten daran fest. Und dennoch gingen die Kommunisten in acht Aufzügen auf die Straße. Es kam zu viertägigen Straßenschlachten mit Schießereien. 32 Menschen kamen dabei ums Leben.

Eine amtliche Untersuchung fand damals allerdings nicht statt, kein Polizist wurde angeklagt.

Vieles spricht dafür, dass die Polizei hauptverantwortlich war. Kommunisten mit Schusswaffen waren nicht gesichtet worden. Nach internen Zählungen hatten die Polizisten insgesamt 11.000 Schuss Munition abgegeben.

Auch in der Bundesrepublik hat es Allgemeinverfügungen gegeben. Zum Beispiel hat ein niedersächsischer Landrat im Jahr 1981 über mehrere Tage sämtliche Demonstrationen rund um das Atomkraftwerk Brokdorf verboten.

65, war bei der Berliner Polizei für politische Bildung zuständig. Seit 2010 befindet sich der Erste Polizeihauptkommissar a. D. im Ruhestand. Der gebürtige Neuköllner war seit 1968 bei der Polizei. Einst wie jetzt betreut er im Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke die Polizeihistorische Sammlung.

Die Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht 1985 in seinem berühmten Brokdorf-Urteil revidiert. Das Urteil war wegweisend, was das Recht auf Demonstrationsfreiheit betrifft. Die Polizei darf Demonstrationen nicht einfach auflösen, wenn sich ein paar Gewalttäter im Zug befinden. Sie muss die Gewalttäter rausholen und den vielen anderen Friedlichen ihr Grundrecht auf Demonstration ermöglichen.

Was halten Sie von dem Demonstrationsverbot in Dresden?

Ich gehe davon aus, dass es ganz konkrete Hinweise auf eine Gefahr gegeben hat, sonst wäre es nicht in dieser Form erlassen worden.

Könnten nicht Angst und Hysterie der Grund sein?

Angst und Panik sind kein guter Ratgeber. Die Diskussion ist schon sehr emotionsbeladen. In Deutschland vielleicht noch mehr als in anderen Staaten. Wie heißt es doch so schön? Britische Offiziere machen eine steife Lippe, damit der Schnurrbart nicht zittert. German Angst, das ist ja schon fast ein internationaler Begriff.

Dazu kommt, dass wir eine sehr große Konkurrenz unter den Medien haben. Die Adrenalinausschüttung ist zurzeit kaum noch zu messen. Ich kann trotzdem verstehen, dass die sächsische Polizei auf Nummer sicher gegangen ist. Stellen Sie sich vor, es passiert was. Da macht man sich doch ewig Vorwürfe.

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