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Historiker im Visier der polnischen JustizStundenlanges Verhör

Die Erforschung des Antisemitismus in Polen wird dort nicht gern gesehen. Der Princeton-Professor Jan Thomazs Gross muss jetzt mit einer Anklage rechnen.

Muss mit einer Anklage wegen Beleidigung rechnen: Jan Tomasz Gross Foto: ap

Warschau ap | Der Historiker Jan Tomasz Gross ist nach kritischen Aussagen über die Mittäterschaft Polens am Holocaust im Visier der polnischen Justiz. Der an der Universität von Princeton in den USA tätige Professor sagte der Nachrichtenagentur AP am Mittwoch, er sei tags zuvor in Kattowitz fünf Stunden lang verhört worden. Ihm werde vorgeworfen, die polnische Nation öffentlich beleidigt zu haben.

Konkret hatte er im vergangenen September geschrieben, dass die Polen, die so stolz auf ihren Widerstand gegen die Nazis seien, im Zweiten Weltkrieg mehr Juden getötet hätten als Deutsche. Die Passage war Teil eines kritischen Artikels des polnisch-amerikanischen Wissenschaftlers über die gegenwärtige, restriktive Flüchtlingspolitik der osteuropäischen Staaten, den er für die NGO Project Syndicate verfasst hatte.

Gross sagte, er wisse nicht, ob tatsächlich Anklage gegen ihn erhoben werde. Bei einem Schuldspruch würden ihm in einem solchen Fall bis zu drei Jahre Haft drohen. Zusätzlich erwägt Präsident Andrzej Duda, ihm einen Verdienstorden abzuerkennen, den er 1996 erhalten hatte.

Kritiker sehen den Fall gegen Gross als weiteren Beweis dafür, wie die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit Bürgerfreiheiten beschneidet und demokratische Grundprinzipien missachtet.

Die Staatsanwaltschaft erklärte, sie könne keine Details des Verhörs öffentlich machen. Gross sagte aber, er sei aufgefordert worden, Beweise für seine historische Behauptung vorzulegen.

Der Historiker Jacek Leociak vom Polnischen Zentrum für Holocaust-Forschung sagte, es sei schwer zu sagen, wie viele Juden im Zweiten Weltkrieg tatsächlich von Polen getötet wurden. Die Zahl sei aber hoch und Gross könnte mit seiner Einschätzung, dass es mehr Juden waren als Deutsche, tatsächlich richtig liegen.

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13 Kommentare

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Natürlich gab es auch in Polen vor, während und nach dem 2. Weltkrieg Antismeitismus und die Mitschuld einer Minderheit von wenigen Individuen unter den Polen sind historische Tatsachen die niemand bestreitet. Das ist seit zwei Jahrzehnten Gegenstand der historische Forschung in Polen . und eine offene gesellschaftliche Debatte in der polnischen Gesellschaft. Wenn aber Herr Gross recht haben sollte, das Polen während der Besatzung wirklich so antisemitisch war und angeblich Mitschuld am Holocaust trüge wie erklären sich dann folgende, unwiderlegbare Fakten?

     

    1. Der polnische Untergrundstaat und sein bewaffeneter Arm Armia Krajowa unerhielten als einzige Widerstandsorganisation im deutsch-besetzten Europa eine eigene Organisation zur Rettung von Juden. Stichwörter: ZEGOTA, Irena Sendlerowa, Władysław Bartoszewski.

     

    2. Der polnische Widerstand setzte das Verraten und Ausliefern von Juden an die deutschen Besatzer unter Todesstrafe. Gerichtsverhandlungen und Vollstreckungen von sogenannten Szmalcowniki sind historisch belegt.

     

    3. Es gab keine polnische Kollaberation auf institutioneller Ebene: keine Kapitulation Polens, keine Marionetten Regierung von Hitlers Gnaden, keine polnische SS- oder Wehrmachtseinheiten. Kollaberation fand nur auf der Ebene des einzelner Individuen statt.

     

    4. Der Lagerwiderstand in Ausschwitz als auch in anderen Lagern wurde von Offizieren der des polnischen Widerstandes aufgebaut, getragen und geleitet. Stichwort: Witold Pilecki.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @4845 (Profil gelöscht):

      5. Der Geheimdienst des polnischen Widerstandes sammelte Beweise für den Massenmord an den Juden und die polnische Exilregierung informierte die Alliierten darüber. Die Berichte wurden von den Alliierten als Übertreibungen abgetan. Stichwort Jan Karski.

       

      6. Der bewaffnete Arm des polnischen Untergrundstaates, die Armija Krajowa, arbeitete auch mit jüdischen Kampfverbänden zusammen, darunter mit dem ZOB (Stichwort Marek Edelmann). Das auch während des Warschauer Gehttoaufstandes 1943 – bei dessen Beginn die jüdisch-polnischen Aufständischen neben ihrer blau-weißen Flagge auch die polnische Nationalflagge hissten. Später im Warschauer Aufstand 1944 gab es jüdische Einheiten in den Reihen der AK.

       

      7. In Yad Vashem wird die überwältigende Merhheit der als gerechten unter den Völkern geehrten von Polen gestellt. Das obwohl nur im besetzten Polen die Strafen für das Verstecken und Helfen von Juden ausdrücklich unter Todesstafe für den Helfer und dessen gesamte Familie stand.

       

      Angesichts dieser unwiderlegbaren Tatsachen ist der Vorwurf an einer kollektiven Mitschuld Polens sowie Herrn Gross Aussage nicht haltbar.

      • @4845 (Profil gelöscht):

        @ Deutsch-Pole: Vielen Dank für das sachliche "Geraderücken" der Dinge. Meiner Einschätzung nach, hat der überwiegende Teil der polnischen Bevölkerung im II. WK Juden entweder aktiv geholfen oder ihnen zumindest nicht geschadet. So in der Art steht es auch in den offiziellen Erklärungen der Armia Krajowa zum Umgang mit der jüdischen Bevölkerung in Polen. Schwarze Schafe gab es sicherlich auch, aber es waren aller Wahrscheinlichkeit nach sehr wenige. Ich habe manchmal das Gefühl, dass der Antisemitismus von Polen im II. WK in deutschen Debatten und Medien latent skandalisiert wird. Einige Kritiker dieser Darstellung sehen darin gleich den Versuch einer Relativierung deutscher Schuld. Ich persönlich denke, dass diese negativen Darstellungen der polnischen Bevölkerung in deutschen Medien und populären Publikationen eher aus der Unkenntnis der deutsch-polnischen Geschichte während des II. WKs resultieren. Herr Gross muss solche Aussagen nun natürlich auch belegen können. Die Reaktion der polnischen Justiz ist aus meiner Sicht aber trotzdem vollends überzogen und klar politisch motiviert.

  • Ich kann jedem sein Buch "Fear" empfehlen.

  • immer wieder vergessen, die Juden litten ihre grössste Vefolgung unter Chisten während sie im Islam relativ gut lebten, in Schhindles LISTE wurde die polnische Judenfeindlichkeit mehrfach erwähnt, da braucht es keine Beweise , man muss nur mit den Überlebenden reden!

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Georg Schmidt:

      Wenn Sie nur Hollywood-Schinken für Ihr Geschichtsbild heranziehen, dann ist es klar, dass Sie ein völlig verzerrtes Geschichtsbild haben. Kino- und Fernsehverfilmung geben weder ein korrektes Bild der Historie wieder, noch sind diese ein Beleg für irgendetwas. Die gesamteGeschichte der Juden in Polen ist ambivalent und positive und negative Aspekte stehen sich gegenüber. Die Fokussierung auf nur einen der beiden Aspekte – so wie Sie und Herr Gross es tun oder eben auf der anderen Seite die PiS-Partei – sind rein ideologisch begründet und schaffen ein völlig falsches, realitätsfremdes Geschichtsbild. Zur Korrektur ihres falschen Geschichtsbildes empfehle ich Ihnen den Besuch des jüdischen Museums in Warschau. Nehmen sie sich Zeit. 4-8 Stunden sollten Sie ein planen um ein korrektes und differenziertes Geschichtsbild über das Leben der jüdischen Polen in Polen zu erlernen!

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Nun, mal abgesehen von der Fragwürdigkeit der Rechtsstatlichkeit des Verfahrens: Als Wissenschaftler müsste Herr Gross wissen, dass aufgestellte Thesen auch mit Beweisen belegt werde müssen. Kann eine These nicht bewiesen werden bleibt es eine unbelegte Behauptung. Herr Gross geht im besagten Fall also absolut unwisschaftlich vor und das wird in Polen völlig zu Recht kritisiert.

    • @4845 (Profil gelöscht):

      Kritisieren ist legitim. Kriminalisieren auch?

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @Spitzbube:

        Wo habe ich die Kriminalisierung gerechtfertigt oder auch nur befürwortet? Ihre Vorwürfe stellen völlig haltlose Untestellugen dar!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Mein Opa hatte mir erzählt, dass irgendwann mal zwischen 1941-1944 der Priester der kleinen polnischen Ortschaft im Nordosten (Masuren) sagte, dass es die Juden die gerechte Strafe ereilt hätte, weil sie den Jesus umgebracht hätten. Solche Aussage verfehlt sicherlich ihre Wirkung nicht. Kann man sich auch bei dem Evangelisten "Matthäus" bedanken ("Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!"). Materieller Opportunismus übelster Sorte tat sein übriges.

    Andererseits sind die Polen am zahlreichsten unter den "Gerechten unter den Völkern" vertreten (6500+) und das Land (anders als z.B. Westeuropa im Mittelalter/Neuzeit oder Russland im 19. Jh) hatte weniger ausgeprägte Pogromgeschichte.

    Dennoch, es ist erschreckend wie 2000 Jahre der christlichen Kultur das jüdische Volk und seine Religion dämonisiert haben. Das späte 19. / frühe 20 Jh. haben es dann mit pseudowissenschafts-politischer Argumentation garniert und die stinkende Brühe des Antisemitismus ergoß sich über Europa. Niemals vergessen, immer die Wunde neu aufreißen.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      Die Geschichte der Juden in Polen ist beiweitem nicht so einseitig negativ wie Sie schreiben. Tatsächlich ist die polnisch-jüdische Geschichte ambivalent, fasettenreich und differenziert. Es gibt viele positive und auch negative Aspekte in der gemeinsamen Geschichte. Ich empfehle ihnen hierzu einen Besuch im jüdischen Museum in Warschau. Dies hat erst kürzlich einen Preis für seine herausragende Arbeit gewonnen.

    • 3G
      33324 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      Um der Verfolgung und Vernichtung eines guten Teils des europäischen Judentums zu gedenken, muss man nicht die Wunde immer neu aufreißen. Es reicht, wenn man stetig durch die Narbe ermahnt wird. Mit dem Aufreißen von Wunden entsteht immer wieder neuer Schmerz für Menschen, die weder direkte noch indirekte Schuld tragen.