Historienfilm über NS-Zeit in Österreich: Das Gewissen regt sich im Dorf

Das Biopic „Ein verborgenes Leben“ handelt von Franz Jägerstätter. Der österreichische Kriegsdienstverweigerer wurde von den Nazis ermordet.

Die Schauspieler Valerie Pachner und August Diehl liegen auf einer Wiese

Bedrohte Idylle: Franziska „Fani“ (Valerie Pachner) und Franz Jägerstätter (August Diehl) ​ Foto: Pandora

St. Radegund, Oberösterreich, Frühjahr 1939. Sorgfältig setzt das Bauernpaar Jägerstätter die Kartoffeln in die Erde. US-Regisseur Terrence Malick zeigt in seinem Film „Ein verborgenes Leben“ das Leben der Jägerstätters in den Monaten nach Kriegsbeginn und vor der Musterung des Mannes als Idylle mit bedrohlichen Untertönen. Während das Ehepaar mit den Kindern auf den Feldern tollt, wird das Wirtshaus zunehmend Bühne für politische Tiraden.

Ein Jahr später wird Franz Jägerstätter (August Diehl) zur Grundausbildung einberufen. Auch diese Zeit hat im Film noch etwas Spielerisches. Während die Männer über den Übungsplatz robben, halten die Frauen daheim die Landwirtschaft am Laufen. Ein erstes Mal sind Soldaten im Dorf zu sehen. Der Krieg erreicht die oberösterreichische Idylle.

Statt wie in früheren Filmen der wabernden Sinnsuche seiner Protagonist_innen zu folgen, konzentriert sich Terrence Malick in „Ein verborgenes Leben“ darauf, das Gewissen von Franz Jägerstätter auszuloten. Der Landwirt verweigert bei seiner Einberufung im Februar 1943 den Wehrdienst, im August desselben Jahres wird er hingerichtet. Malicks Film gliedert sich in zwei Teile von jeweils etwa anderthalb Stunden Laufzeit: der Weg zur Entscheidung und die Inhaftierung während des Prozesses.

Als während der Grundausbildung in Enns ein Film über den Krieg gegen Frankreich läuft, ist Jägerstätter der Einzige, der nicht klatscht. Nach der Grundausbildung gärt in ihm die Frage, wie er sich verhalten soll, wenn er einberufen wird.

„Ein verborgenes Leben“. Regie: Terrence Malick. Mit August Diehl, Valerie Pachner u. a. USA/Deutschland 2019, 174 Min.

Auf der Suche nach einer Entscheidung wendet er sich zunächst an den örtlichen Pfarrer, der sich trotz der Sympathien für Jägerstätter nicht festlegen möchte. Ein Besuch beim Bischof in Linz verläuft ernüchternd.

Spirituelle Einkehr Jägerstätters

Inmitten des Versagens der Institutionen trifft Jägerstätter seine Entscheidung. Das wichtigste Gespräch führt der Landwirt mit einem alten Kirchenmaler, dem er zur Hand geht. Während er die Wände der Dorfkirche bemalt, sinniert der alte Mann über seine Malereien. Sie ließen die Menschen träumen, dass sie Jesus nicht mit ermordet hätten, dass sie die Kraft zu einer Gewissensentscheidung hätten. Der Schmied des Dorfes erzählt Jägerstätter vom Morden in Deutschland, der Müller unterstützt ihn in seiner Entscheidung.

Malick zeigt eindrucksvoll die spirituelle Einkehr Jägerstätters, die in Verbindung mit einigen wenigen Gesprächen seinen Entschluss heranreifen lässt. In der Darstellung dieses Wegs stellt Malick seine gewohnten Stilmittel, etwa den Wechsel zwischen weitwinkligen Nahaufnahmen und Totalen, die nicht selten manieristisch wirken, ausgesprochen effektvoll in den Dienst der Erzählung. Der Effekt wäre größer, wenn die Filmmusik weniger aufdringlich wäre, aber auch sie kann der Stärke des ersten Teils keinen Abbruch tun.

Interessant ist ein Blick auf die dramaturgischen Freiheiten, die sich Malick im ersten Teil nimmt: Er verdichtet die wachsende Opposition gegen den Nationalsozialismus in der Zeit nach der Grundausbildung. Jägerstätters früherer innerer Widerstand bleibt unerwähnt. Er verlagert den Austausch im Vorfeld der Entscheidung komplett in die Männerwelt.

Die wichtige Rolle von Jägerstätters Frau Franziska für den Entschluss zeigt Malick nicht ansatzweise. Bei ihm besteht Franziskas Rolle darin, ihren Mann nicht an seiner Entscheidung zu hindern. Anders als bei Malick erklärt sich Jägerstätter in der Realität bereit, Sanitätsdienst zu leisten. Ein Angebot, das die NS-Militärjustiz nicht annahm.

Prozess wegen „Wehrkraftzersetzung“

Der zweite Teil zeigt Jägerstätter im Gefängnis in Berlin-Tegel während des Prozesses der NS-Militärjustiz wegen „Wehrkraftzersetzung“. Jägerstätter erträgt die Schikanen der Wächter stoisch, der Anwalt redet ihm gut zu. Schließlich steht er vor dem Militärgericht. Selbst die NS-Militärjustiz in Person des Vorsitzenden Richters Werner Lueben bemüht sich bei Malick um Jägerstätter. Wie der Historiker Norbert Haase aber gezeigt hat, fällte Lueben Hunderte Todesurteile und vertrat bei seiner Richtertätigkeit eine nationalsozialistische Rechtsauffassung.

„Ein verborgenes Leben“ ist vor allem im ersten Teil ein eindrucksvoller Film über eine konsequente Gewissensentscheidung, getroffen in der Isolation eines Dorfes. Wie beeindruckend diese Entscheidung war, lässt sich unschwer daran erkennen, dass noch 2007, als Jägerstätter seliggesprochen wurde, die Anfeindungen von rechts anhielten.

Leider schwächen Malicks dramaturgische Freiheiten die anfängliche Kraft. In einigen Szenen wirkt es, als habe Malick am Beispiel Jägerstätters auf Gewissensnöte der Gegenwart und die politische Situation in den USA anspielen wollen. Im Gespräch mit dem Kirchenmaler klingt etwa das Ignorieren unliebsamer Wahrheiten an, man denkt an die Debatte über Fake News. Dass Malicks Abwandlungen manchmal an Geschichtsrevisionismus grenzen, verträgt sich damit nicht. Von der Stärke von Axel Cortis Bearbeitung des Stoffs in dem Film „Der Fall Jägerstätter“ (1971) ist Malick weit entfernt.

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