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HipHop für KinderDie kleine Delle heißt Fontanelle

Eindrucksvolle Lektion in Sachen Pädagogik und Laserschwerter: „Deine Freunde“ spielen in der Berliner Columbiahalle vor Tausenden Kindern.

Bester Beruf der Welt: „Deine Freunde“ sind glücklich mit ihren jungen Fans Foto: Marco Sensche

Warum sich kaum jemand um zeitgemäße Musik für Kinder kümmert, ist und bleibt ein Rätsel. Rolf Zuckowski in allen Ehren, seine „Weihnachtsbäckerei“ hat beste Chancen, auch die nächste Jahrhundertgrenze zu überdauern. Dass Kinder aus dem Singekreis-Alter direkt in die Hölle gewissenloser Plastik-Teenie-Truppen getrieben werden, weil niemand sich zwischenzeitlich ihrer annimmt, ist ein Jammer.

Gut, dass wenigstens die Hamburger Deine Freunde mit toller Musik, glaubwürdigen Texten und Mut zur Ironie vor einiger Zeit in diese Lücke gestoßen sind. Zu technisch versiertem Rap, angesoultem Gesang und einem wilden Stilmischmasch aus HipHop, Dancefloor und Pop singen sie über große Themen: etwa die ewig gleichen Nervsprüche der Erwachsenen („Du bist aber groß geworden“) und die x-mal „nur noch fünf Minuten“, die man noch braucht, ehe man losgehen kann.

Die Konzerte der gerade beendeten „Keine Märchen“-Tour von Deine Freunde waren seit Wochen ausverkauft, Ticket-Gesuche auf Ebay blieben unerhört. Gute Nachricht: Im Herbst geht es wohl in die Verlängerung.

Die Glücklichen, die jetzt dabei sein konnten, zogen in Berlin am Samstagnachmittag los. Zu Tausenden strömten die Kids in die Columbiahalle, wo die Eltern schon auf Konzerte gingen, bevor sie Kinder bekamen. Ein seltsames Gefühl, zehn Jahre später an den Ort zurückzukommen, wo irgendwie alles begann. Jetzt also das erste Club-Konzert für den eigenen Nachwuchs. Mit Lightshow, Nebel, wechselnden Outfits und – ganz wichtig – echten (!) Laserschwertern. Ein echtes Rockkonzert eben.

Alle Kinder werden gewissenhaft beschriftet und in ein großes Gatter vor der Bühne geleitet, Erwachsene haben dort keinen Zutritt. Wie Hühner in Freilandhaltung, aber so ist für freie Sicht und Bewegungsraum gesorgt, während die Eltern sich am Rand wie Käfighühner quetschen. Dann geht es los: Jubeln, Springen, Tanzen und Mitsingen. Westernhagen erblasste vor Neid, hörte er, mit welcher Inbrunst hier ganze Strophen aus Tausenden Kehlchen mitgeschmettert werden, von den Songs des neuen Albums und erst recht bei den Hits wie „Deine Mudder“ und „Hausaufgaben“.

Traut ihnen mehr zu

Auch ein Quentchen Melancholie wird den Kleinen zugetraut, wenn über den unbeachtet am Weg liegenden Matsch gerappt wird, in dem man als Kleinkind lustvoll herumpatschte, aber für den selbst diese jungen Zuhörer inzwischen zu alt geworden sind – auch mit acht Jahren gibt es Abschiede. Eine lupenreine Ballade fügt der Popgeschichte das Genre des Fontanellen-Songs hinzu und schmachtet die „kleine Delle“ im Babykopf zum Zerfließen an. Denn eigentlich gibt es ja nur zwei wirklich wichtige Themen für große Musik: Liebe und Fontanelle.

Am Ende tauchen die drei Musiker von Deine Freunde ein in die Masse ihrer enthusiasmierten Fans, springen mit ihnen gemeinsam kleine Choreografien und geben den Eltern eine eindrucksvolle Lektion in Sachen Pädagogik: Sie bringen eine ganze Halle aufgedrehter Kinder dazu, schweigend auf dem Boden zu sitzen.

Wer je versucht hat, einen Kindergeburtstag mit acht aufgedrehten Winzlingen zu bändigen, erstarrt vor Ehrfurcht. Da glaubt man Deinen Freunden jedes Wort, wenn sie singen, dass sie den besten Beruf der Welt haben, weil dies ihre Fans sind – die noch „Fantasie, keinen Masterplan“ haben.

Ach, so könnte es ewig weitergehen, wenn da am Horizont nicht schon die böse Pubertät lauerte. Auch ihr wird tapfer ins Gesicht gerappt. Wenn es so weit ist, können Eltern endlich wieder auf ihre eigenen Konzerte gehen und depressive Songs über gescheiterte Beziehungen und gesellschaftliches Elend hören. Auch schön. Aber wenn diese sie allzu sehr runterziehen, werden sie innerlich „Fontanelle / kleine Delle“ anstimmen, und alles wird leichter und schöner sein.

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