Hilmar Zschach ist tot: Im Gerichtssaal zu Hause
Hilmar Zschach, langjähriger Gerichtsreporter des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg, ist tot.
Sein Gesicht kannten nur Wenige, seine Stimme schon. Es war seine Stimme, die jahrzehntelang transportierte, was in Hamburger Gerichtssälen passierte, und die Tragödien und Kuriositäten, die sich hinter Anklageschriften und Plädoyers versteckten, in Worte kleidete. Nun ist die Stimme verklungen: Hilmar Zschach, Gerichtsreporter des NDR, ist nach langer Krankheit kurz vor seinem 63. Geburtstag verstorben.
Zschach konnte Geschichten erzählen, auch über sein eigenes Leben. Etwa über seinen Einstieg bei der Hamburger taz: In den 80ern wollte der Jurist frei als Gerichtsreporter arbeiten. Noch bevor er in den Redaktionsräumen sein Anliegen vortragen konnte, sezierten mehrere taz-Redakteure seine Arbeitsproben ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. Am Ende unterschrieb er etwas und als er sich zu Hause durchlas, was er da unterzeichnet hatte, stellte er fest: Er hatte soeben ein Bewerbungsgespräch für eine Redakteursstelle absolviert und war eingestellt worden.
Zwar kündigte Zschach den Job nach sechs Wochen wegen „thematischer Unstimmigkeiten“ mit dem Redaktionsplenum, der taz aber blieb er noch jahrelang als freier Mitarbeiter verbunden.
Als der gebürtige Kieler später beim NDR anheuerte, durfte er sogar das obligatorische Sprechertraining schwänzen, in dem Aussprache und Betonung geschliffen werden. Seine knarzige Stimme und sein Sprechrhythmus seien so eigen, teilte man ihm mit, dass es keinen Sinn mache, ihm das Sprechen ganz neu beizubringen. So durfte Zschach seine individuelle Art des Vortrags behalten und zu seinem Markenzeichen machen.
30 Jahre war Zschach in Hamburgs Gerichtssälen zu Hause. Jeder neuen Reporter-Generation brachte er bei, sich gegenseitig zu unterstützen und auszutauschen, statt miteinander zu konkurrieren. So legte er den Grundstein für eine Kultur des kollegialen Miteinanders, die im journalistischen Gewerbe einmalig blieb.
Nun steht Zschach wohl vor seinem himmlischen Richter und sollte ihm jemand etwas zur Last legen, dürfte eines wohl klar sein: Freispruch, Euer Ehren! Schade, Hilmar, dass du uns darüber nicht mehr berichten wirst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf