Hilferuf ukrainischer Archive: NS-Dokumente in Gefahr
Archive in der Ukraine bitten dringend um Unterstützung. Die historische Erinnerung des Landes wird von Russland derzeit im Krieg ausgelöscht.
Die Verantwortlichen einer der größten und bedeutendsten Sammlungen zur NS-Geschichte schlagen Alarm: Die Arolsen Archives sorgen sich um die Bestände ukrainischer Archive, darunter viele Dokumente zur Nazi-Besatzungszeit zwischen 1941 und 1944, heißt es in einer Erklärung vom Mittwoch, die zur Unterstützung der Institutionen aufruft.
Im März und April hatten Mitarbeiter der Arolsen Archives systematische Erkundigungen zur Lage der ukrainischen Archive eingezogen. Sie mussten feststellen, dass die Gebäude mehrerer Sammlungen infolge des Kriegs schwer beschädigt sind. In Cherson, das monatelang unter russischer Besatzung stand, wurde das Regionalarchiv geplündert. Es fehlten etwa 500.000 Dokumente, darunter auch solche zur NS-Besatzungszeit.
Archive in Tschernihiw, Mykolajiw, Welyka Oleksandriwka sind nach dem jetzt veröffentlichten Bericht beschädigt. Das Regionalarchiv in Wyssokopillja bei Cherson sei vermint und könne nicht betreten werden, heißt es. Das Regionalarchiv in Vysokopillya sei weitgehend zerstört. Andere Sammlungen mussten wegen ihre Nähe zur Frontlinie evakuiert werden.
Viele direkt nicht betroffene Sammlungen, so der Bericht, litten unter der unzureichenden finanziellen und personellen Ausstattung, da der Krieg dazu geführt habe, dass die Archive nicht an erster Stelle mit Geldern bedacht werden. In den meisten Institutionen würde nur noch die Hälfte des Personals arbeiten.
„Wir haben das Ausmaß der Zerstörungen und Plünderungen gesehen und verstanden, dass Russland die Auslöschung von historischen Erinnerungen als Waffe einsetzt. Vor diesem Hintergrund sehen wir es als unsere Verantwortung an, dazu beizutragen, die Bestände zu erhalten“, erklärte Arolsen-Direktorin Floriane Azoulay.
Personal und Ausrüstung fehlen
Wegen der desolaten Situation bitten die Arolsen Archives um internationale Hilfe für die bedrohten ukrainischen Sammlungen. Dabei geht es insbesondere um die Digitalisierung der archivierten Dokumente. Viele ukrainischen Archive haben damit bereits vor Kriegsbeginn begonnen. Doch jetzt stockt die Arbeit. Es fehlten Personal und technische Ausrüstung. Viele Computer seien gestohlen worden.
„Es fehlt an systematischen Plänen mit klaren Prioritäten und Erfolgsindikatoren. Das macht es den Verantwortlichen schwer, ihre Fortschritte zu bewerten“, so die Autorin des Arolsen-Berichts, Hanna Lehun.
Die Archive wünschen sich nach Angaben Lehuns vor allem Sachspenden, Software-Lizenzen, dauerhafte Nutzungsrechte und personelle Unterstützung. Finanzielle Hilfen halten die meisten für zu bürokratisch und langsam. „Wir versuchen, mit unseren Mitteln die Archive bei dieser gewaltigen Aufgabe zu unterstützen“, erklärt Floriane Azoulay. „Doch um das kulturelle Gedächtnis der Ukraine zu bewahren, braucht es mehr Partner und mehr finanzielle Mittel.“
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