Hilfe für Gehörlose in Sicht: Dem Hören auf der Spur
Eine Studie der Universität Göttingen klärt, wie der Körper aus Schallwellen Geräusche macht. Wenn das verstanden ist, kann es Gehörlosen helfen.
Ein Team an der Universität Göttingen hat durch wichtige Grundlagenforschung gezeigt, was genau im Innenohr passiert, damit wir Musik und Vogelgezwitscher genau so gut hören können wie heranrasende Autos. Ihre Erkenntnisse könnten in Zukunft Menschen helfen, die gar nicht oder nur sehr wenig hören. Gehörlosigkeit ist die häufigste Sinnbehinderung.
Generell funktionieren die Sinne alle ähnlich. „Jeder Sinnesvorgang braucht die Umwandelung eines physikalischen Stimulus in ein Nervensignal“, erklärt Tobias Moser. Er ist auditiver Neurologe, also Hörforscher, Professor in Göttingen und hat Lina María Jaime Tobón bei ihrer Doktorarbeit begleitet.
Beim Sehen wird Licht durch das Gehirn verarbeitet, beim Fühlen interpretiert unser Gehirn aus der Reizung der Zellen in unserer Haut, ob wir nun gerade gestreichelt oder gepiekt werden. Um hören zu können, muss der Körper wiederum Schallwellen verarbeiten.
Entscheidender Schritt unbekannt
Allgemein funktioniert Hören so: Geräusche sind Schallwellen. Diese Schallwellen treffen auf die Ohren, das Trommelfell wandelt sie in Schwingungen um und der mechanische Reiz wandert weiter ins Mittelohr, wo sich die kleinsten Knochen des Körpers befinden – Hammer, Amboss und Steigbügel. Sie geben den rhythmischen Druck dann weiter an die mit Flüssigkeit gefüllte Hörschnecke im Innenohr.
Hier wandelt sich der Schall in einen elektrischen Reiz. Was eben noch ein Geräusch war, zischt nun als winziger Stromschlag ins Gehirn und wird dort interpretiert. Eine Schallwelle wird also im Bruchteil einer Sekunde zu einem mechanischen Impuls, dann zu einem elektrischen und schließlich zu Sprache, Lärm, Musik.
Im Prinzip ist diese Grundvorstellung richtig, aber Details sind weiterhin unklar. Zum Beispiel ist noch wenig darüber bekannt, wie der mechanische Reiz im Innenohr zu einem elektrischen wird. Denn das Gehirn kann den Schall nur als Nervenreiz verarbeiten.
Genau an diesem Punkt setzt die aktuelle Untersuchung von Lina María Jaime Tobón und Tobias Moser von der Universität Göttingen an. „Das ist richtig schöne Grundlagenforschung“, sagt Tobias Moser dazu.
Um herauszufinden, was genau im Körper beim Hören passiert, haben die Forscher*innen die Innenohren von dafür getöteten Labormäusen untersucht. „Wir haben die Sinneszellen unter einem Mikroskop beobachtet“, erklärt Tobias Moser, „Man kann sie mit Fühlern ausstatten und den Synapsen bei der Arbeit zusehen, indem die Bewegung der biologischen Strömungen sichtbar wird.“
Damit wir Sinnesreize hören, müssen sie an die Schnittstellen zwischen verschiedenen Zellen weitergeleitet und dort übersetzt werden. In diesem Fall also zwischen den Sinneszellen und Nervenzellen.
Im Innenohr nehmen Haarsinneszellen die Schwingungen des Trommelfells auf. In den Haarzellen befindet sich Glutamat, das in kleinen Bläschen, sogenannten Vesikeln, zum Ende der Sinneszelle schießt. Das Glutamat, das Hören ermöglicht, ist der gleiche Stoff, der chinesischem Essen die perfekte Umami-Note verleiht.
Zwischen Sinnes- und Nervenzelle befindet sich die Synapse. Synapsen sind Schnittstellen zu Nervenzellen und verbinden auch in diesem Fall die Haarzellen mit Nervenzellen. Der eintreffende Schall drückt das eingeschlossene Glutamat gegen die Zellmembran. Dann öffnen sich Kalziumkanäle in der Membran der Sinneszelle.
Glutamat als Botenstoff
Kalziumkanal bedeutet, dass sie Kalziummoleküle durchlassen und nicht, dass sie aus Kalzium bestehen. Weil sich die Kanäle geöffnet haben, ergießt sich das Glutamat in den Spalt zwischen beiden Zellen. So entsteht ein elektrischer Impuls in der Nervenzelle.
„Das ist ein komplizierter biologischer Mechanismus“, sagt Moser dazu. Beim Hören passiert eine Art ultraschneller Staffellauf: Schall trifft auf das Trommelfell, trifft auf die Haarzellen, öffnet dort Tore zur Nervenzelle, durch die dann eingeschlossene Glutamat-Moleküle gereicht werden, die auf die Nervenzelle prallen, dort einen elektrischen Impuls auslösen und von Nervenzelle zu Nervenzelle wandern.
Zum Hören braucht es also ein Zusammenspiel aus Kalziumkanälen, Kalziumionen und eingeschlossenem Glutamat. Je lauter der Schall, desto mehr Tunnel öffnen sich. Aber Lina María Jaime Tobón und Tobias Moser haben gezeigt, dass ein einziger Kanal ausreicht, damit es ein Geräuschimpuls in die Nervenzellen schafft. Deshalb ist Hören der schnellste Sinn und der empfindlichste.
Die neue Studie der Universität Göttingen ist aber nicht nur wichtige Grundlagenforschung, sondern kann in Zukunft vielleicht auch Patient*innen helfen, die nicht gut hören. In der menschlichen DNA gibt es eine Gensequenz namens OTOF. Dieses Gen übersetzt der Körper in das Protein Otoferlin. Es sorgt dafür, dass Reize vom Innenohr an die Nerven weitergegeben werden können.
Damit betrifft es genau den Mechanismus, den die Studie untersucht hat. Wenn mehr über ihn bekannt ist, kann Gentherapie vielleicht in Zukunft dabei helfen, gehörlos geborene Kinder zu unterstützen.
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