Hilfe für Erdbebenopfer: „Wir wünschen uns mehr“

Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus sammelt Geldspenden für Erdbebenopfer. Der Vorsitzende Dervis Hizarci sagt, dass sei am Effektivsten.

Bittet um Spenden für die Erdbeben-Opfer: Dervis Hizarci, Vorsitzender der KIgA Foto: privat

taz: Herr Hizarci, als Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA e.V.) organisieren Sie Hilfe für die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien. Was fehlt am meisten?

Dervis Hizarci: Je nachdem wie zugänglich das Gebiet ist, sind die Herausforderungen sehr unterschiedlich. Es fehlt an medizinischem Material, an Blutkonserven und Krankentransporten. In den ersten Tagen haben auch Werkzeuge und schweres Gerät gefehlt, Maschinen wie Bulldozer oder Kräne. Und dann natürlich Dinge zum Warmhalten, wie Decken und Heizstrahler. Im Moment ist es dort kälter als in Berlin und hier ist es aktuell ja auch ziemlich kalt.

KIgA sammelt ausschließlich Geldspenden, was ist der Grund?

Das ist effektiver. Die Transporte mit Decken und Kleidung sind zwei Tage allein bis zur türkischen Grenze unterwegs. Nach einer unkalkulierbaren Wartezeit an der Grenze braucht man noch mindestens zwei Tage bis zum Krisengebiet im Osten der Türkei. Und dann gibt es im Krisengebiet weitere logistische Herausforderungen: Wer nimmt die Sachmittel an und verteilt sie?

geb. 1983, ist Sohn türkischer Einwanderer, die 1969 nach Berlin kamen. Von August 2019 bis August 2020 war er Beauftragter des Senats für Antidiskriminierung an Schulen. Er ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA).

Wer der KIgA für ihre Erdbebenhilfe Geld spenden möchte, hier gibt es Informationen: https://www.betterplace.org/de/projects/119338-erdbeben-nothilfe-jetzt-helfen-und-spenden.

Bitte spenden Sie mit dem Verwendungszweck „Erdbeben Nothilfe“ an: KIgA e.V., Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE32 1002 0500 0003 3293 00

An wen schickt KIgA die Geldspenden und was passiert damit?

Unsere Partner sind anerkannte Hilfsorganisationen wie Mavikalem und Hayata Destek oder Support live. Sie waren zum Teil bereits vor dem Erdbeben im Katastrophengebiet tätig. Sie haben vor Ort Strukturen.

Und wenn vor Ort alles zerstört ist, wo kauft man die benötigten Dinge ein?

Die Türkei war ja bis zum Erdbeben ein funktionierendes kapitalistisches Land. Und es sind natürlich nicht alle Einkaufszentren zerstört. Die Nähe ist aus logistischen Gründen wichtig. Ich halte das für effektiver als Altkleiderspenden, die zudem noch sortiert werden müssen. Es kommt vor, dass Leute ihren Kleiderschrank entrümpeln. Ich habe gehört, dass sogar hoch hackige Schuhe abgegeben worden sind. Das hilft niemandem in so einer Situation.

Es gibt deutliche Appelle, nur gut erhaltende nützliche Kleidungsstücke zu spenden. Andere Organisationen in Berlin sammeln durchaus weiter Sachmittel.

Ja, auch in der Schule meines Sohnes ist eine Sammelaktion organisiert worden. Ein guter Draht zum türkischen Konsulat kann den Transport erleichtern, aber den haben nicht alle. Die aktuelle Krise in der Türkei und auch in Syrien macht es besonders schwierig, Hilfe zu organisieren. Die einen spenden beim Moschee-Dachverband X, andere lieber der ethnischen Gruppe Y, andere wiederum bevorzugen eine regierungsnahe oder regierungskritische Organisation. Die Zerrissenheit und Zersplitterung der Communitys ist groß.

Auch wenn es um Spenden geht? Wie erklären Sie sich das?

Mangelndes Vertrauen und das Wissen um Korruption spielen sicher eine große Rolle. Aber wenn ich das sage, darf das auf keinen Fall so rüber kommen, dass man nichts mehr spenden soll. Die Erdbebenopfer brauchen dringend Hilfe! Sie dürfen nicht weiter Leidtragende sein von Regierungs- und Regimefehlern, von Korruption und Untreue. Da müssen wir einen Spagat in der Kommunikation hinbekommen.

Was genau macht KIgA?

Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus ist vor 20 Jahren entstanden als Reaktion auf den Al-Quaida-Anschlag auf die Synagoge in Istanbul. Wir haben uns damals solidarisch mit Jüdinnen und Juden in der Türkei erklärt. Wir machen seitdem in Berlin Workshops gegen Antisemitismus, Hass und Intoleranz und kooperieren auch immer wieder mit Organisationen in der Türkei. Mit Minderheitenorganisationen, die auch oppositionelle Positionen inne haben.

Wie groß ist die Spendenbereitschaft nach dem Erdbeben?

Wir von KIgA machen das in dieser Form das erste Mal. Innerhalb von zwei Tagen haben wir über Better Place 11.500 Euro gesammelt. Das ist nichts! Wir wünschen uns mehr. Mein Gefühl ist, Deutschland ist ein bisschen müde vom Helfen und Spenden seit der Geflüchteten-Krise 2015 und dem Ukraine-Krieg.

Enttäuscht Sie das?

Das macht mich eher traurig. Wir haben in Deutschland die größte Türkei stämmige Community außerhalb der Türkei. Wir leben hier seit über 60 Jahren, ich würde mir mehr direkte Unterstützung und auch symbolische, politische Gesten wünschen.

Sind Sie auch persönlich betroffen von dem Erdbeben?

Ja, wir haben dort drüben mehrere Todesfälle in der Familie zu beklagen. Aber bei aller Trauer und allem Schmerz geschehen auch sehr schöne Dinge. Griechenland war das erste Land, das Soforthilfe geschickt hat. Auch Armenien und Israel, die wie Griechenland aus türkischer Sicht „Feindesländer“ sind. Das sind sehr positive Zeichen. Meine Hoffnung ist, dass die türkische Regierung nun mit den verschwörerischen und destruktiven Botschaften in Richtung dieser Länder aufhört. Ich hatte Tränen in den Augen, als griechische Helfer Kinder aus dem Trümmern geholt haben. Griechische Helfer, die selber weinten und sich umarmten. In diese Richtung müssen wir unbedingt weitergehen.

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