Hilfe für Alleinerziehende: „Heraus aus der Isolation“
„Goldnetz“ bietet alleinerziehenden Frauen Coachings an, um sie in einen Job zu bringen. Der müsse zur Lebenssituation passen, sagt Projektmanagerin Uta Gärtner.
taz: Frau Gärtner, in was für einer Lage sind die Frauen, die zu Ihnen kommen?
Uta Gärtner: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben sehr junge Frauen, die noch keine Ausbildung abgeschlossen haben, und andere, die zwar hohe Qualifikationen vorweisen können, aber durch die Familienarbeit in ihren Beruf nicht mehr reinkommen.
Alle Teilnehmerinnen stehen sicherlich vor der Herausforderung, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.
Es gibt noch eine andere Gemeinsamkeit: Alle sind von Leistungen des Amts abhängig. Viele Frauen müssen Teilzeit arbeiten, wenn sie Kinder bekommen, es gibt eine regelrechte Minijob-Schwemme. Diese Frauen beziehen zusätzlich Leistungen beim Jobcenter, sie stocken also auf – und fragen sich schon, ob sich arbeiten dann überhaupt lohnt. Die Frauen, die zu uns kommen, wollen da raus. Sie wollen einen Job, von dem sie auch leben können. Dabei unterstützen wir sie.
Uta Gärtner, 56, ist Diplompädagogin und Projektmanagerin von „Alleinerziehend zum Erfolg“ beim gemeinnützigen Träger Goldnetz
Die Frauen kommen freiwillig?
Das ist das Besondere bei uns. Wir arbeiten mit den Jobcentern eng zusammen. In dieser Woche habe ich alleinerziehenden Frauen vom Jobcenter Mitte das Projekt vorgestellt. Ob sie mitmachen, ist ihre freie Entscheidung. Sanktionen gibt es nicht.
Wie helfen Sie den Teilnehmerinnen?
Wir schauen: Was wünscht sich die Frau, was ist ihr Potenzial? Manchmal passt der ursprüngliche Beruf nicht mehr zur Lebenssituation. Es kommen viele, die Einzelhandelskauffrau gelernt haben. Aber die Arbeitszeiten am Wochenende oder im Schichtdienst passen nicht mit der Kinderbetreuung zusammen. Manche fangen dann noch mal eine ganz neue Ausbildung an, das ist ein großer Schritt. Oder sie machen eine Umschulung. Das ist alles möglich.
Wie sieht das Coaching konkret aus?
Wir haben pro Durchlauf zwei Gruppen mit jeweils 16 Frauen, die werden von einer Kursleiterin oder einem Job-Coach betreut. Wir arbeiten mit externen Dozentinnen und Dozenten zusammen. Begleitend gibt es ein Einzelcoaching zur Bewältigung individueller Probleme, etwa wenn eine Frau Schulden hat oder ein Gerichtstermin ansteht. Das Projekt findet vormittags von 9 bis 13 Uhr statt.
Wo sind dann die Kinder?
In der Kita oder Schule, das ist für die Frauen gut zu managen. Sie knüpfen bei uns auch Freundschaften. Das ist ganz wichtig, damit sie herauskommen aus der Isolation. Viele ziehen sich zurück ohne Job, mit wenig Geld. Wenn wir nach drei Wochen die erste Frau erfolgreich vermitteln, kommt eine unglaubliche Bewegung in die Gruppe. Jeder Kurs läuft insgesamt zwölf Wochen, am Ende soll ein Job stehen, eine Aus- oder Weiterbildung.
Und klappt das?
Wir hatten seit 2014 insgesamt 950 Frauen bei uns und kommen auf eine Vermittlungsquote von 49 Prozent. Fast jede zweite Frau geht mit einem Erfolg hier raus, sei es mit einem Deutschkurs, einer Weiterbildung in der Buchhaltung, einem Teilzeit- oder Vollzeitjob. Wenn wir die Frauen erfolgreich vermittelt haben, bieten wir ein Einzelcoaching in der Probezeit. Das sind schwierige Monate für die Frauen, das Kind darf nicht krank werden, sie selbst müssen sich beweisen, viele straucheln da leicht. Wir bestärken sie, suchen nach Lösungen: Gibt es ein Netzwerk, wenn das Kind krank wird? So etwas sollte man schon vor Beginn des neuen Jobs überlegt haben.
Dürfen zu Ihnen auch alleinerziehende Väter kommen?
Wir haben nur Frauen bei uns. Bis vor ein paar Jahren konnten auch Männer kommen. Aber zum einen sind 90 Prozent der Alleinerziehenden weiblich. Zum anderen kommen in den Gruppen auch Themen vor, bei denen es gut ist, einen geschützten Rahmen zu haben.
Zum Beispiel?
Wenn es etwa um fehlende Unterhaltszahlungen geht, um Sorgerechtsstreitigkeiten oder um häusliche Gewalt. Unser Ansatz ist ganzheitlich, das fließt alles mit ein. Wir schauen immer, ob beim Berufseinstieg auch das Familiensystem mitspielt. Wenn es gesundheitliche oder familiäre Probleme gibt, muss man das erst einmal regeln, um dann später erfolgreich in einen Job zu kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen