Alleinerziehende und Weihnachten: Maria allein zu Haus
Für viele Alleinerziehende ist Weihnachten kein frohes Fest. Denn es macht Armut besonders spür- und sichtbar.
Vielleicht hätten die Heiligen Drei Könige das ja auch einfach lieber lassen sollen: Gold, Myrrhe und Weihrauch sollen sie dem Jesuskind in der Krippe geschenkt haben. Nun glauben viele Menschen ja überhaupt nicht an diese alte Geschichte von dem armen Kind im Stroh. Woran die allermeisten zu Weihnachten aber nach wie vor ganz fest glauben: ans Schenken. Also ans Kaufen. Wir glauben an die Carrera-Bahn, ans teure Badeöl und ans neue Besteckset und dass die Carrera-Bahn sagt: Kind, ich hab dich lieb, du bist mir den Dispo wert, in den ich diesen Monat schlittere.
Das muss man nicht unbedingt schlimm finden, denn es ist nun mal so, dass sich Wertschätzung schon auch gewissermaßen über ein Badeöl ausdrücken lässt – und sei es nur, weil wir losgerannt sind, um lieber mit einer Douglas-Geschenkverpackung als mit komplett leeren Händen dazustehen, weil der oder die andere uns eben einfach zu wichtig dafür ist.
Es ist aber auch so, dass an Weihnachten und in der Adventszeit besonders deutlich wird, wer hat und wer nicht – oder wer zumindest weniger hat. Dabei muss es gar nicht mal um die teure Carrera-Bahn oder den großen Lego-Karton gehen. Tatsächlich geht ja auch die Adventszeit schon ins Geld, besonders wenn man Kinder hat: die Kleinigkeit für den Kita-Adventskalender, der Pralinenkasten für die Erzieherin, noch irgendwas Kleines fürs Klassenwichteln.
Besonders wenig zu geben, jedenfalls in finanzieller Hinsicht, haben oft die Alleinerziehenden, von denen es in Berlin wiederum besonders viele gibt. Nirgendwo in Deutschland leben so viele Alleinerziehende mit nicht volljährigen Kindern wie hier: Bundesweit bestand 2017 jede fünfte Familie aus einem alleinerziehendem Elternteil mit einem oder mehreren Kindern.
Hauptstadt der Alleinerziehenden
In Berlin waren es laut Landesamt für Statistik im selben Jahr 28 Prozent, also mehr als jede vierte Familie. Von 360.000 Familien mit Kindern unter 18 Jahren waren damit 100.000 solche mit einem alleinerziehenden Elternteil. Ihr Anteil hat in den letzten Jahren zugenommen: 1997 lag die Quote in Berlin noch bei 25 Prozent.
Für sie ist Weihnachten, mit all den Kleinigkeiten und Wichteleien in der Adventszeit, besonders hart: Alleinerziehende Mütter und Väter sind besonders häufig von Armut bedroht. Das Pro-Kopf-Einkommen in Haushalten von Alleinerziehenden lag laut Statistischem Bundesamt 2016 mit 967 Euro bundesweit um knapp ein Fünftel niedriger als in Haushalten von zwei Erwachsenen mit Kindern. Viele Alleinerziehende können auch nicht auf Ersparnisse zurückgreifen, wissen die Statistiker: Knapp zwei Drittel der Alleinerziehenden haben nicht genug Geld, um unerwartete Ausgaben von 1.000 Euro zu bestreiten.
Die meisten Alleinerziehenden in Berlin sind dabei Frauen. In 87 Prozent der Fälle wohnten die Kinder laut Mikrozensus bei der Mutter, nur in 13 Prozent der Fälle beim Vater. Alleinerziehend und Frau sein heißt also leider oftmals: arm dran sein. Das ist eine Ungerechtigkeit, und dass man es sich zu Weihnachten auch mit wenig Geld natürlich sehr schön und gemütlich machen kann, macht es nicht besser.
452 Euro gibt die durchschnittliche BerlinerIn übrigens in diesem Jahr für Weihnachtsgeschenke aus. Das geht aus der „Weihnachtsumfrage 2018“ des ifes Instituts für Empirie und Statistik und der FOM Hochschule für Ökonomie und Management hervor, die dafür rund 2.000 Fragebögen ausgewertet haben. Verheiratete oder Verpartnerte mit Kindern investieren mit 530 Euro sogar noch mehr. Bei Singles mit Kindern im Haushalt dagegen liegt der Durchschnitt bei rund 490 Euro.
Fromme Wünsche
Was sagen uns all diese Zahlen? Vielleicht, dass es, gerade jetzt zu Weihnachten, Zeit ist für eine Kampagne: Mehr als 15.000 Menschen unterzeichneten Ende letzter Woche eine Petition gegen Kinderarmut und für eine bessere Unterstützung Alleinerziehender. Ein Netzwerk aus alleinerziehenden Müttern hat die Petition auf der Onlineplattform change.org initiiert.
Sie wünschen sich von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (beide SPD) unter anderem weniger Antragsbürokratie für Alleinerziehende, ein erhöhtes Kindergeld, das nicht länger auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet wird, und flexiblere Arbeitszeitmodelle.
Das sind nicht nur fromme Wünsche, sondern berechtigte Forderungen der Alleinerziehenden. Frohe Weihnachten!
Mehr zum Thema Alleinerziehende und Armut in der gedruckten taz.Berlin an diesem Wochenende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett