Hilal Sezgin über Tierrechte: „Ich bin auch zu nichts nutze“
Die Publizistin Hilal Sezgin spricht auf der Hamburger Tagung "Animal Politics". Sie lebt in der Lüneburger Heide mit Schafen, die nichts anderes tun sollen, als zu existieren.
taz: Wie viele Staatsbürger leben auf Ihrem Hof, Frau Sezgin?
Hilal Sezgin: Da muss ich mich am geltenden Recht orientieren – und dann bin nur ich hier Staatsbürgerin.
Das kanadische Autorenpaar Kymlicka / Donaldson fordert Bürgerrechte für Tiere.
Dennoch ist es leider so, dass nach dem jetzigen Stand Tiere kaum Rechte haben. Auch wenn ich nicht das Gefühl habe, dass die Schafe auf meinem Hof mir gehören, vor dem Gesetz ist es so.
Wie einig ist sich die Tierrechts-Szene, die sich ab Mittwoch auf der Tagung „Animal Politics“ trifft, in ihren Forderungen?
Da bin ich gespannt. Das Konzept der Kanadier ist sehr weitgehend. Ich bin mir nicht bei allem sicher, ob ich da mitgehe. Aber man muss die Grenzen des allgemein Anerkannten immer wieder austesten. Wir kämpfen hier noch mit der Forderung nach Lebensrecht für die Tiere und da kommen Kymlicka und Donaldson mit der Staatsbürgerschaft. Am Dienstag besuchen sie meinen Hof, weil sie die Schafe kennen lernen wollen. Während ich das sage, sehe ich sie gerade: Die Herde ruht sich aus, das sieht unglaublich rührend aus.
Was rührt Sie da?
Schafe gehen richtige soziale Bindungen ein, die erwachsenen Töchter bleiben bei den Müttern und ich sehe, wie eine gerade den Kopf wiederkäuend auf den Rücken ihrer Mutter ablegt. Normalerweise reißen wir die Familien auseinander, aber wenn man sie lässt, dann gehen sie Bindungen ein und behalten sie bei.
43, ist Publizistin. Seit 2007 lebt sie mit Schafen und anderen Tieren auf einem Hof in der Lüneburger Heide. Ihr Buch, "Artgerecht ist nur die Freiheit", erschien 2014
In Brehms Tierleben kommen die Schafe nicht gut weg, sie gelten als stumpfe Herdenwesen und viel dümmer als die Ziegen.
Ich habe zwei Ziegen und ehrlich gesagt haben die nicht so einen tollen Charakter. Sie neigen dazu, sehr dominant zu sein, deshalb haben meine – das „meine“ nicht im Sinne von Besitz, sondern als Zugehörigkeit – Tennisbälle auf den Hörnern. Ich habe gelernt, die soziale Intelligenz von Schafen zu bewundern. Sie verstehen, wenn sie krank sind und ich sie behandle, dass ich da etwas für sie tue, obwohl es möglicherweise unangenehm ist.
Wie geht es Ihnen mit der Hackordnung der Hühner, Tiermüttern, die kranke Kinder verstoßen – all den Verhaltensweisen, die wir hinter uns lassen wollen?
Ich erwarte nicht, dass sich die Tiere so verhalten, wie es meiner menschlichen Moral vorschwebt. Der Deal ist: wir können als Erwachsene moralisch verantwortlich handeln. Kleine Kinder, Demente und Tiere können das nicht. Zugegeben: Ich habe ein Lamm aufgezogen, das die Mutter einfach hat stehen lassen. Und ich habe ein bisschen schlecht von der Mutter gedacht, obwohl ich wusste, dass das Quatsch ist.
In Ihrem Buch „Artgerecht ist nur die Freiheit“ schreiben Sie, dass man die Balance finden muss zwischen dem zu hohen und dem zu geringen Anspruch an unseren Umgang mit Tieren.
Man darf sich weder über- noch unterfordern. Ich glaube, wir neigen da zu beidem. Wenn wir theoretisch darüber nachdenken, würden wir am liebsten alles Leid von dieser Welt verbannen. Dann wird uns klar, wie viel es davon gibt, und vor Schreck – oder aus Faulheit – machen wir gar nichts. Es geht darum, eine gute Mitte zu finden. Wir müssen uns klar machen, dass wir immer Schaden anrichten werden, Ressourcen verbrauchen und selbst wenn ich Veganer bin, sind meine Medikamente an Tieren getestet. Trotzdem braucht es den Willen, über den jetzigen Zustand hinauszukommen.
Veganismus ist gerade sehr hip – glauben Sie, dass das mehr als ein Strohfeuer ist?
Ich glaube, dass das Unbehagen einer breiteren Bevölkerung mit der Massentierhaltung einen Punkt erreicht hat, an dem Leute nicht mehr vorbeischauen. Es gibt immer noch Sklaverei-ähnliche Zustände in einigen Ländern, aber man wird die Ansicht, dass man Menschen besitzen dürfe, nicht wieder aufwärmen können. Und ich hoffe, dass man den Trend zum Veganismus zu einer Debatte über Tierrechte erweitern kann.
Vom 12. bis 14. März findet die Tagung "Animal Politics" an der Hamburger Universität statt.
Ziel ist, das Verhältnis Mensch-Tier politisch und philosophisch neu zu fassen.
Es diskutieren unter anderem Bill Kymlicka und Sue Donaldson, Hilal Sezgin und Jan Philipp Reemtsma.
Logische Folge des Veganismus ist, dass einige der Nutztierarten vermutlich aussterben.
Das kann sein. Aber ehrlich: wäre es schlimm, wenn die 600 Millionen kaputt gezüchteten Hühner, die jährlich geschlachtet werden, aussterben? Jedes Tier hat individuell ein Lebensrecht, aber nicht jede Zuchtlinie muss weiterbestehen.
Wie ist die Akzeptanz vor Ort für Ihren Gnadenhof – nennen Sie ihn überhaupt so?
Eigentlich ist es so: Ich wohne hier und die Schafe wohnen hier, aber wenn ich das nicht Gnadenhof nenne, verstehen es die Leute nicht. Wenn sie mich fragen: „Was machst du mit den Tieren?“ und ich sage: „nichts“, ist das offenbar sehr schwer zu verstehen. Es gibt diese Idee, dass ein Tier zu etwas nutze sein muss. Dann sage ich oft: Ich bin auch zu nichts nutze. Ein Mensch hat unabhängig davon ein Lebensrecht – bei Tieren ist das auch so.
Sie schreiben von viel Sympathie für den Hof – gibt es auch Antipathien?
Ich erlebe tatsächlich viel Freundlichkeit. Wir hier im Dorf gehen sehr gut miteinander um, auch wenn wir Meinungsverschiedenheiten haben. Ein Bekannter von mir angelt manchmal um die Ecke. Zweimal habe ich Fische aus dem Netz befreit. Als ich zu Hause war, dachte ich: „Was, wenn er sauer wird?“ Dann ging ich mit Geld zu ihm, das er nicht annahm. Später habe ich gehört, dass er sagte: „Hilal und ich haben schon Meinungsunterschiede, aber ich mag sie.“
Haben Sie sich durch das nahe Leben mit Tieren verändert?
Ich habe Tiere immer gerne gehabt, was keine Voraussetzung für das Engagement ist, es gibt viele Tierrechtler und Veganer, die keine Tiere mögen. Aber ich habe hier gemerkt, wie stark mich unsere speziesistische, also anthropozentrische Gesellschaft, geformt hat. Sei es, dass ich grober mit den Tieren umgehe, als notwendig ist oder überrascht bin, wenn sie etwas können. Ein Schaf etwa, das Augenentzündung hatte, ist immer zu mir gelaufen, um sich die Salbe ins Auge schmieren zu lassen. Und ich war überrascht, dass es verstand, dass das gut für es war. So ging es mir auch bei den Legehennen.
Was war mit denen?
Offiziell glaube ich natürlich, dass Tiere individuell sind. Aber praktisch hatte ich alte Hennen aus einer Legefarm, die immer Plastiknester hatten und ich war sehr überrascht, als ich sah, wie unterschiedlich die Nester waren, die sie sich hier suchten und wie entschieden sie dabei waren. Und dann dachte ich: Warum bist du eigentlich überrascht?
Ich war überrascht, dass Sie sagen, viele Tierrechtler seien keine Tierfreunde.
Man kann Veganer sein, ohne Tiere zu kennen, so wie man für fairen Handel sein kann, ohne je in Afrika gewesen zu sein. Umgekehrt sehe ich Leute, die sentimental mit ihren Tieren umgehen und daraus überhaupt nichts folgern. Neulich traf ich beim Friseur eine Frau, die mit ihrem Hündchen in Babysprache redete und einen Fellkragen trug. Ich sagte: „Entschuldigung, das ist doch Marder- oder Waschbärfell“, woraufhin sie meinte: „Na und?“
Sind Sie radikaler geworden?
In meinen Ansichten: ja. Ich habe auch Dinge zu Ende gedacht: Vegetarier essen kein Fleisch, aber die Legehennen zu ihren Eiern werden getötet, ebenso die Milchkühe. Aber wir Veganer müssen darauf achten, nicht dogmatisch rüberzukommen. Es ist eine Herausforderung zu lernen, eine gewisse Freundlichkeit zu behalten und nicht bitter zu werden. Was nicht ganz leicht ist, denn es geht um den Tod von Millionen von Tieren.
Nebenbei brechen Sie in Mastställe ein.
Wir sind eingestiegen, um zu filmen. Das war aber nur einmal. Ich würde das psychisch nicht häufiger aushalten: Die Tiere fiepen zu hören, die Zettel an den Wänden zu sehen, wie viele schon gestorben sind, keines kann sich bewegen. Die meiste Zeit verbringe ich mit landwirtschaftlichen Zeitschriften. Da steht dasselbe drin, was die Tierschützer bein Einsteigen vorfinden. Etwa Statistiken, wie viele Hühner beim Einfangen vor dem Transport die Flügel gebrochen bekommen: 14 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour