Herthas Miniaufschwung: Drei Tore aus dem Nirgendwo

Glück oder Sieg: Völlig unerwartet gewinnt Hertha BSC gegen den amtierenden deutschen Meister VfB Stuttgart mit 3:1. Dabei spielte Hertha wie eine Amateurmannschaft.

Khedira (VFB Stuttgart) und Mineiro (Hertha BSC) hecheln nach dem Ball. Bild: AP

Ausgelassen und ausgiebig feierten die Hertha-Spieler mit ihren Fans den 3-1 Erfolg gegen den VfB Stuttgart. Und viele wirkten dabei so entrückt vor Glück, dass man glauben konnte, ein Amateurteam habe gerade gegen den amtierenden deutschen Profi-Meister gewonnen.

In der Tat wähnte man vor der Partie die Berliner meilenweit entfernt vom Stuttgarter Leistungsvermögen. "Damit hat doch keiner gerechnet", stellte Verteidiger Malik Fathi strahlend fest. Selten sind in der Bundesliga Erwartungen so systematisch gedämpft worden wie zuletzt bei Hertha. Seit Wochen weist Manager Dieter Hoeneß darauf hin, dass man aus seiner Sicht die ersten Spieltage außer Konkurrenz bestreitet, weil die fehlenden vier, fünf Profis erst Anfang September im Kader stehen werden. Und bereits vor einem Monat prophezeite der neue Trainer Lucien Favre, sein Team werde es schwer haben, in der ersten Liga überhaupt mitzuhalten. Die Mannschaft selbst demonstrierte dann bei ihren ersten beiden Saisonauftritten in Unterhaching und Frankfurt auch noch, mit welch großem Sachverstand ihr Coach ausgestattet ist.

Am Samstag sah zuerst alles danach aus, als ob die Berliner Fußballtristesse konsequent fortgesetzt würde. Völlig mutlos gab Hertha das Spiel schnell aus der Hand und zog sich an den eigenen Strafraum zurück. Das Mittelfeld überließ man den Stuttgartern. So konnte Roberto Hilbert in der 15. Minute nahezu ungestört das Spielfeld durchqueren bis er in Thomas Hitzlsperger einen gut positionierten Fernschützen fand, der aus 20 Metern zur 1-0 Führung traf. Hertha verhielt sich wie ein Sparringspartner, der sich in sein Schicksal fügte. Das Team konzentrierte sich fast ausschließlich darauf, das 2-0 zu verhindern. Stuttgarts Torwart Raphael Schäfer dürfte sich in der 42. Minute sehr gewundert haben, als er außerhalb des Strafraums in Ballbesitz war und die Berliner nur respektvoll darauf warteten, dass er den nächsten Angriff einleiten würde.

Erst eine falsche Entscheidung des Schiedsrichters Thorsten Kinhöfer brachte dieses eindimensionale Spiel ins Wanken. Er pfiff in der 50. Minute nach einer Schwalbe von Lucio Elfmeter für Hertha, den Sofian Chahed sicher verwandelte. Insofern war es vielleicht gar nicht so ein unbeabsichtiger Versprecher, wie Stuttgarts Trainer Veh glauben machen wollte, als er die Berliner zum Glück anstatt zum Sieg beglückwünschte. Veh ärgerte sich sehr über diese Schlüsselszene der Partie. Als Favre bei der Pressekonferenz mit gestrecktem Arm sehr eindrücklich nachahmte, wie Sofian Chahed sich in der Kabine bereit erklärte, als Elfmeterschütze anzutreten, fragte Veh listig nach: "Wann war das? In der Halbzeit? Habt ihr schon vorher gewusst, dass ihr einen Elfmeter bekommt?"

Der Strafstoß war die Zäsur im Spiel. In der Folgezeit büßten die Stuttgarter jegliche Souveränität ein. Bei den Berlinern hingegen klappte plötzlich fast alles. Es wurde schnell und präzise nach vorne gespielt. Fathi und Solomon Okoronkwo wendeten mit ihren Toren das Spiel.

Hertha scheint doch nicht so schlecht aufgestellt zu sein, wie viele angenommen haben. Aber eine wirkliche Standortbestimmung ist nach wie vor nicht möglich. Fathi sagt: "Wir sind im Nirgendwo. Einige sind neu hier, andere kommen noch." Hält Dieter Hoeneß Wort, dann wird in einem Monat die Startelf völlig anders aussehen. Vermutlich dürfte dann nur noch die Hälfte des Siegerteams vom Samstag auf dem Feld stehen. Hertha bleibt ein labile Angelegenheit, wie die Partie gegen Stuttgart gezeigt hat. Umso höher ist die Bedeutung der gewonnenen drei Punkte einzuschätzen. Das Vertrauen in das Projekt von Lucien Favre hat in Berlin noch keine breite Basis gefunden. Anstatt der erwarteten 55 000 kamen bei gutem Wetter nur 46 800 Zuschauer ins Olympiastadion. Erst als der Unparteiische auf Strafstoß entschied, war etwas von der eigentlich gewünschten Aufbruchsstimmung zu spüren.

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