Hertha BSC schlägt Hamburg: Lucien Favres Vier-Minuten-Terrine
Wie schon beim 1:0 gegen Hoffenheim gewinnt Hertha BSC auch beim 2:1 gegen den Hamburger SV in der zweiten Halbzeit. Die Berliner stehen damit auf Platz vier. Wo sie aber spielerisch stehen, das ist offen.
Hertha BSC - Hamburger SV 2:1 (0:1)
Hertha BSC: Drobny - Chahed, Friedrich, Simunic, Stein - Kacar (90.+2 Lustenberger), Dardai, Cicero - Raffael (46. Domowtschijski), Nicu - Voronin (90. Ebert)
Hamburger SV: Rost - Boateng (60. Pitroipa), Reinhardt, Mathijsen, Jansen (81. Aogo) - Demel, Alex Silva - Trochowski (75. Guerrero), Jarolim - Petric, Olic
Schiedsrichter: Kinhöfer (Herne) - Zuschauer: 48.285
Tore: 0:1 Petric (12.), 1:1 Cicero (46.), 2:1 Domowtschijski (49.)
Nach dem Spiel wurde allseits gerätselt, welcher Zutaten es bedurfte, um dem HSV eine solch unverdauliche Suppe einzubrocken. Lucien Favres Vier-Minuten-Terrine hatte großen Eindruck hinterlassen. Denn in dieser Zeitspanne verwandelte Hertha einen 0:1 Rückstand in einen 2:1-Erfolg.
Dabei hatte es zuvor so hoffnungslos ausgesehen, wie der Berliner Trainer freimütig bekannte. Er gestand sogar, den Pausenpfiff im Olympiastadion herbeigesehnt zu haben. "Ich war zufrieden, weil wir nur mit 0:1 zurücklagen."
Der Führungstreffer der Gäste illustrierte recht gut, wie ungleich Misslingen und Gelingen verteilt waren. Die Hertha-Defensive ließ in Person von Josip Simunic und Arne Friedrich dilettantisch eine Flanke passieren. HSV-Stürmer Mladen Petric beförderte das Leder auf die schwerst- und schönstmöglichste Art und Weise ins Tor - per Fallrückzieher. Von einem Heimsieg schienen die Herthaner meilenweit entfernt. Auf die Halbzeitstatistik verweisend sagte Favre: "Mit nur 35 Prozent gewonnenen Zweikämpfen kann man nicht gewinnen."
Doch dann kamen eben diese vier meisterlichen Minuten. Nur 34 Sekunden nach dem Anpfiff zur zweiten Halbzeit vollendete Cicero gleich den ersten Angriff mit einem Kopfballtor. "Das war ein schwerer Schlag für den HSV", erläuterte Berlins Trainer Lucien Favre. Und kurz darauf zog der nach der Pause erst eingewechselte Valeri Domovchiyski mit seinem Treffer den zuvor so selbstsicheren Gästen ganz den Boden unter den Füßen weg.
Der Hamburger SV, der eine Dreiviertelstunde lang Hertha dominiert, sich aber nur eine kärgliche 1:0 Führung erspielt hatte, lag unversehens mit 1:2 zurück. Trotz aller Bemühungen gelang es den Gästen nicht, wieder auf die Füße zu kommen. Und die Berliner widmeten sich der Ergebnissicherung.
Mit der kurzzeitigen Eruption seines Offensivspiels hat sich Hertha im oberen Tabellendrittel festgesetzt. Die Fakten sind unstrittig. Nur eines der letzten sieben Bundesligaspiele ging verloren, vier Heimsiege in Folge, und nach Hoffenheim vergangene Woche hat man nun mit dem HSV ein weiteres Topteam geschlagen und rangiert auf dem vierten Platz. Ist Hertha mittlerweile in den erlauchten Kreis der gehobenen Bundesligaklasse aufgestiegen?
Zur Halbzeitpause hätte man sich diese Frage wohl nur mit schwerwiegenden Wahrnehmungsstörungen des Betrachters erklären können. Nach dem Schlusspfiff wurde dagegen nach dem Erfolgsgeheimnis der Berliner geforscht. Es wurde tief in die Klischeekiste gegriffen, um sich den Umschwung nach der Pause zu erklären. Ganz klar, der Trainer musste sich in der Kabine seine Seele aus dem Leib gebrüllt haben, bis seine schlappe Elf wieder strammstand und die Partie gehorsamst umbog. Wie laut ist der Trainer in der Kabine geworden? Das war die Frage aller Fragen. Voronin sagte: "Der kann das gar nicht. Favre ist ein freundlicher und intelligenter Mann."
Die Inkonstanz der letzten Jahre gehört nach wie vor zum Spiel der Berliner. Im Unterschied zu früher gelingt es dem Team von Favre aber immer öfter, sich innerhalb eines Spiels zu fangen. Für Arne Friedrich ist das der Beleg eines "Reifeprozesses". Wenn alle nach Favres Plan laufen, dann gehört die Abwehr derzeit zu den Bollwerken im deutschen Fußball. Trotz der 1:4- und 1:5-Niederlagen gegen Bayern und Bremen stellt Hertha die viertbeste Abwehr der Liga. Und das Offensivspiel hat sich aus der Abhängigkeit von Marko Pantelic gelöst. Der Serbe saß verletzt auf der Tribüne, für Torgefahr war durch Andrey Voronin und Domovchiyski dennoch gesorgt.
Eine Spitzenmannschaft ist Hertha allerdings noch nicht. In den letzten Wochen wurde das Team vom Schicksal kaum vor härtere Proben stellt. Am Samstag hätte etwa der HSV durchaus in der Nachspielzeit den Ausgleich erzielen können. Jonathan Pitroipa traf aber nur die Latte. "Das Glück ist zuletzt auf unserer Seite gewesen", räumte Voronin ein. Und Favre machte darauf aufmerksam, wie eng es in der Liga zugeht.
Dass die abstiegsgefährdeten Gladbacher Bayern München einen Punkt abtrotzten, sei für ihn keine Überraschung. Die Liga hat wenig Höhen und Tiefen zu bieten. Sie gleicht in der Tat einer Scheibe. Lediglich Leverkusen und Hoffenheim ragen ein wenig empor. Und Hertha genießt derzeit die Aussicht von einem bröckeligen Maulwurfshügel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag