Hertha-BSC-Investor Lars Windhorst: Alte Dame will blühende Landschaft
Millionen-Segen oder Verzweiflungstat? Seit dem Einstieg von Investor Windhorst bei Hertha rätseln Fans, welche Folgen der Deal für den Verein hat.
Die aufgrund der 50+1-Regel einzuhaltende Mehrheit an Stimmanteilen gibt der Verein damit nicht auf. Hertha könnte mit seiner Rechtsform als Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) sogar noch mehr Anteile verkaufen, solange der Stammverein die Mehrheit an seiner hundertprozentigen Tochter Hertha BSC Verwaltung GmbH behält. Die 50+1-Regel soll verhindern, dass Investoren die Kontrolle über in Kapitalgesellschaften ausgegliederte Fußballvereine erkaufen können.
Der Megadeal rückt den 42-jährigen Windhorst wieder in ein öffentliches Licht, in das ihn Helmut Kohl erstmals geholt hatte. Als Bundeskanzler hatte dieser den Ostwestfalen, der bereits mit 16 eine Computerfirma gründete und Millionenumsätze machte, Mitte der Neunziger als Vorzeigeunternehmer präsentiert. Der war Windhorst freilich nur bis 2003, als seine Firma pleiteging, seine Konten gepfändet wurden und er alsbald auch noch vom Berliner Landgericht wegen Untreue verurteilt wurde. Immerhin ließ ihn das nicht verzweifeln. Stattdessen gestaltete er seine Resozialisierung als Investor mit neuen Finanzunternehmungen, von denen der jetzige Einzug bei der alten Tante Hertha mit einem großen Geldkoffer sicher die spektakulärste ist.
Helmut Kohls Meinung über diesen Coup wäre auch deshalb interessant, weil der Pfälzer selbst einmal ein Investment in den Hauptstadtfußball angeschoben hatte. Letztlich ging das total in die Hose, zum Glück nicht für die Hertha, die deshalb verschont blieb, weil sie zu der Zeit als zu unseriös galt. Stattdessen wurde Tennis Borussia mit etlichen Millionen in den Abgrund geführt. Seinen Anfang nahm das 1991, als Bundeskanzler Kohl dem erfolgreichen und CDU-nahen Berliner Schlagerproduzenten Jack White (Tony Marshall, David Hasselhoff, singende DFB-Auswahl) zuraunte, die Regierung könne nicht in die Hauptstadt ziehen, wenn es dort keinen Bundesligaklub gibt.
Jack White und TeBe
Einige Herren aus der Berliner Wirtschaft hätten gern die Hertha aufgepäppelt, berichtete Jack White vor Jahren der taz, aber ihm sei der Klub einfach zu skandalös gewesen. Deshalb habe er lieber den Traditionsverein TeBe gewählt, um ihn nach Vorbild von Bayern München aufzubauen. Promis wie Fritz Walter, Franz Beckenbauer und ZDF-Hitparade-Moderator Dieter-Thomas Heck konnten für den exklusiven Zirkel der TeBe-„Botschafter“ (und mindestens 20.000 D-Mark Jahresbeitrag) gewonnen werden.
Whites Engagement als Präsident und Hauptsponsor des Klubs endete 1997 nicht wie erhofft. Statt hoch in die Erste Bundesliga stieg der Klub ab in die Regionalliga. Sein verlustträchtiges Engagement bezeichnete Jack White als schlimmsten Fehler seines Lebens. Die Vereinsübernahme durch die windigen Finanzinvestoren von der „Göttinger Gruppe“ besiegelte trotz reingepumpter 70 Millionen Mark vollends den Absturz von TeBe.
So ein Szenario ist im aktuellen Fall von Hertha BSC ziemlich undenkbar, gleichwohl ist Vorsicht vor übertriebener Euphorie angeraten. Jedenfalls für die einschlägige Fachpresse. Laut Wirtschaftswoche dürfte der spektakuläre Einstieg des umstrittenen Investors den Hauptstadtclub „nicht annähernd in die erhofften Sphären von internationalen Clubs wie Real Madrid oder FC Bayern München katapultieren“.
Der Grund: Die Hertha BSC GmbH Co. KGaA, in die die Profiabteilung des Klubs ausgelagert ist und in die Windhorst mit seiner Investmentfirma Tennor Holding einstieg, weise in ihrer letzten Bilanz vor allem eines aus: „tiefe Löcher“ (die sich unter anderem aus Anleiheschulden über 40,4 Millionen und Bankkredite über 46,2 Millionen Euro ergäben). Der Deal mit Windhorst gleiche insofern mehr einer Verzweiflungstat als wahrer Liebe, resümierte die Wirtschaftswoche unromantisch.
Um Windhorsts romantische Träumereien vom „Big City Club“ und seinen Einstieg überhaupt zu ermöglichen, hatte Hertha zunächst einmal selbst Geld in die Hand nehmen müssen. Konkret 71,2 Millionen Euro, um die 36,3 Prozent Hertha-Anteile zurückzukaufen, die der amerikanische Finanzinvestors KKR 2014 erworben hatte: für 61,2 Millionen Euro. Damit war die „bahnbrechende Vereinbarung für die Zukunft“ (O-Ton Hertha) Bilanzgeschichte.
Umstrittene Bilanzen
Wie zukunftssicher der jetzige Partner Windhorst ist, ist in der Finanzwelt offenbar auch umstritten. Dass seine Firmenholding Tennor gar nicht so finanzstark sei, weil einige Anleihen praktisch illiquide seien, wie die Financial Times kürzlich schrieb, wies der Neu-Herthaner gegenüber dem Spiegel freilich zurück. Seiner Holding gehe es bei einem Wert über 3 Milliarden Euro so gut wie nie.
Die Bilanztransfers zu durchschauen wird den allermeisten Hertha-Fans in der Kurve nicht nur unmöglich sein. Sie dürfte auch mehr interessieren, wie sich der Millionensegen auf Spielertransfers auswirkt. Exzessive Shoppingtouren hat Manager Michael Preetz bereits ausgeschlossen. Die zusätzlichen Millionen sollen peu à peu über die nächsten vier, fünf Jahre ausgegeben werden, nicht jedoch für einen Supertransfer in der Kategorie XXL-Star. Vor allem wolle man mit dem frischen Geld Verbindlichkeiten decken und nicht in das geplante neue Fußballstadion investieren.
Bis zur Fertigstellung der Arena, für die noch gar kein Bauplatz existiert, soll Hertha nach den Vorstellungen von Lars Windhorst längst ein Gewinn(er)verein sein. Dafür möchte er sämtliche Einnahmequellen – Sponsoren, Merch-Verkauf, VIP-Vermarktung – stärker zum Sprudeln bringen.
Diesbezüglich setzt der Teilzeitberliner mit Wohnsitz London auch auf die wachsende Stadt und die Zugezogenen. Allerdings wäre er nicht der Erste, der sich da verkalkuliert. Der zugezogene Berliner Fußballfan ist oft fußballheimattreu, und wenn schon auf der Suche nach einem neuen Heimatklub, dann nicht unbedingt in Charlottenburg. Stadtsoziologe Andrej Holm erklärte das im 11Freunde-Interview mit Distinktionsgründen: „Auf einer WG-Party oder bei Leuten, die eher ins Theater gehen, kannst du Union besser vermitteln als regelmäßige Besuche im Olympiastadion.“ Andererseits, im Olympiastadion sind noch Plätze frei. Ob sich das dank Lars Windhorst langfristig ändert, wird man sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen