Herr Hefele in Wimbledon: Alles genau wie 91
■ Der Fall Stich: Wer an Zeichen glaubt, muß langsam ins Grübeln kommen
Jeden Tag, wenn ich von der Subway in Southfield zu den Courts marschiere, vorbei an Dutzenden von T-Shirt- und Kappenständen, spricht es in mir: Du mußt jetzt schön langsam an Souvenirs denken.
Ja, so einer bin ich. Keine Veranstaltung, von der ich nicht mit einem Mitbringsel heimkehren würde. Das schmeiße ich dann in eine große Kiste und bilde mir ein, nach Jahren drin zu wühlen und mich mit Freunden bei einem guten Glas Wein usw. usf.... Wahrscheinlich geht es mir, wie allen anderen auch, nur darum, Beweise anzuhäufen, daß man wirklich da war.
Aus dieser Perspektive wäre das richtige Mitbringsel-T-Shirt das mit der Aufschrift: Been there. Done that.
Unverblümter und geradliniger kann die Aussage eigentlich nicht sein. Ich war da. Habe Wimbledonluft geatmet, mit meinen eigenen Augen geguckt, Pizza gegessen. Habe meinen Körper nachweisbar über die Anlage bewegt. Nachweisbar? Eben nicht. Keine Rede von Tennis, keine Rede von Wimbledon auf diesem T-Shirt. Als Beweishemd also absolut ungeeignet.
Ebenso ungeeignet wie das ansonsten ziemlich witzige „Evoman-Shirt“.
Es geht dabei um die Entwicklung des Australopithecus zum Homo tennisiensis. Kann man so sagen?
Oder einfacher: vom Zottelaff' zum Aufschlagas. Grafisch sehr schön aufgelöst, leider ebenfalls als Beweisstück ungeeignet. Ich werde mich wohl für den Klassiker entscheiden. Weiß mit Aufdruck. „Wimbledon 97“. Nicht originell, ich weiß, aber es erfüllt seinen Zweck.
Von der anderen Straßenseite sehen sie derweil neidisch zu mir herüber und beneiden mich, weil ich nicht Schlange stehen muß. Wie diese Menschen Schlange stehen können! Man kann nur verwundert den grauen Kopf schütteln. Hunderte – ach was! – Tausende von Metern vor der Cassa; manche sind schon Sonntag abend gekommen und haben die Nacht hier verbracht in Zelten, oder nur im Schutze einer Plastiktüte und einer Flasche Wein.
Wie muß man diesen Sport lieben, um a) so früh aufzustehen bzw. sich b) so lange die Beine in den Bauch zu stehen. Unter uns: Ich würd's nicht machen.
Aber: das ist eben Wimbledon. Michael Stich sieht das genauso. Auch wenn er jetzt wieder auf Nebenplätzen spielen muß und weniger Eintrittskarten für Freunde kriegt. „Bevorzugt werden nur die Gesetzten und der Champion.“ Der er ja schon mal war, im Jahre 91. Und wieder werden möchte. Heute spielt er im Achtelfinale. Nicht bloß so. Er sagt: „Ich bin ganz klar hergekommen, um zu gewinnen.“ Die Zeichen stehen nicht schlecht, die Zeichen häufen sich. Der Sieg gegen Courier. Der Sonntagspieltag, das Spielen auf Nebenplätzen... wie 91. Wer an so etwas glaubt, könnte ins Grübeln kommten. In Wimbledon glauben sicher viele an so etwas. An Tradition, an Zeichen. Das gehört dazu.
Monika Seles weiß es auch. Im Interview sagt sie, zwar in etwas anderem Zusammenhang, aber wörtlich: „Das ist eben Wimbledon.“ Früher war die Seles ein nerviges Plappermaul, jetzt ist sie nur noch ein Häufchen Elend. Wie sie redet... unter Aufbietung letzter Kräfte, scheint's. Daß sie gestern ausgeschieden ist, wird sie nicht hart treffen: Tennis, das sah man, ist für sie das Nebensächlichste auf der Welt. Ein armseliges Huhn, zum in den Arm nehmen und trösten. So armselig, daß man sich selbst und ihr fast die guten alten Plappermaul-Zeiten zurückwünschen möchte.
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