"Herdprämie" ist Unwort des Jahres: Auf ein Wort!
Der von Kritikern des Betreuungsgeldes verwendete Begriff "Herdprämie" ist zum Unwort des Jahres gewählt worden - eine Entscheidung, die eine Gefahr birgt.
FRANKFURT taz Sie empfindet sich als Kämpferin gegen sprachliche Missgriffe. Als Hüterin einer Sprache, die frei von Diffamierungen ist. Die Gesellschaft für deutsche Sprache positionierte sich jetzt auf ihre Weise in der familienpolitischen Debatte: Sie kürte den Begriff "Herdprämie" zum "Unwort des Jahres 2007". Eine problematische Wahl.
Das Unwort des Jahres wird jährlich von einer Jury aus Sprachwissenschaftlern bestimmt. Als "Unworte" definiert die Jury dabei Wörter, "die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen". Dazu gehörten in den vergangenen Jahren etwa Überfremdung (1993), Rentnerschwemme (1996) oder Humankapital (2004). Daneben gibt es das Wort des Jahres, das seit 1972 jährlich von der Gesellschaft für deutsche Sprache gewählt wird. Das Wort des Jahres hat die öffentliche Diskussion bestimmt und ist charakteristisch für ein wichtiges Thema des Jahres. Darunter waren Szene (1977), Aids (1987), Besserwessi (1991), Teuro (2002), Bundeskanzlerin (2005) und Klimakatastrophe (2007) und der Wowereit-Spruch "Und das ist auch gut so". Österreich, Liechtenstein und die deutschsprachige Schweiz wählen ihre eigenen (Un-)Worte. Zum Unwort 2007 hat es in Österreich komasaufen gebracht.
Der Begriff bezeichnet, polemisch zugespitzt, das von der CSU vorgeschlagene Betreuungsgeld. Also eine Leistung für Eltern, die ihr Kleinkind nicht in die Kita geben, sondern es zu Hause erziehen.
In sprachlicher Hinsicht ist das Unbehagen gegen den Begriff "Herdprämie" durchaus nachvollziehbar. Immerhin reduziert er eine höchst anspruchsvolle Tätigkeit - das Großziehen eines Kindes - auf ein bisschen Herumstehen am Herd und Herumrühren im Kochtopf. Ist es also richtig, den Begriff zum Unwort zu erklären? Es in eine Reihe zu setzen mit menschenverachtenden Vokabeln wie "sozialverträgliches Frühableben" (Unwort 1998) oder "ethnische Säuberung" (Unwort 1992)?
So eindeutig ist die Lage nicht. Politisch gesehen ist der Begriff klug gewählt. Denn er ruft eine Fülle von Assoziationen wach: an Hausfrauen in Kittelschürzen, ans "Heimchen am Herd", das der Mief der Fünfziger umgibt. So entlarvt er, wie rückwartsgewandt der CSU-Vorschlag eines Betreuungsgeldes ist. Und wie sehr dies dem neuen Ideal zuwiderläuft, dass sich Vater und Mutter die Familienpflichten partnerschaftlich aufteilen.
Die "Herdprämie" hat es auch deshalb in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft, weil sie sich gleich in zwei Richtungen instrumentalisieren lässt. Aus linker Sicht taugt das Schlagwort, überkommene familienpolitische Vorstellungen zu kritisieren. Ebenso willkommen aber ist es den Verfechtern einer Rollenteilung zwischen Hausfrau und alleinverdienendem Mann. Sie können es nutzen als Chance, sich zum Opfer zu stilisieren. Zum Leidtragenden einer Familienpolitik, die, so der Subtext, jene Frauen um Ansehen und Anerkennung bringe, die ihr Leben ganz der Familie widmen.
Der Realität entspricht das nicht. Auch die Gegner einer Herdprämie wollen nicht Müttern vorschreiben, ob sie nun zu Hause bleiben sollen oder eine Krippe für ihr Kind suchen. Es geht ihnen lediglich um die Frage, ob Mütter, die ihre Kinder nicht in die Kita schicken, dafür auch noch zusätzliches Geld bezahlt bekommen sollen. Die Befürworter des Krippenausbaus wollen wenigstens eine Akzentverschiebung in einer Familienpolitik, die nach wie vor die traditionelle Hausfrauenehe massiv fördert, etwa mit dem Ehegattensplitting.
Nur vordergründig ist das Betreuungsgeld eine Leistung, die vor allem die jungen Paare unter den Unions-WählerInnen ansprechen soll. Ebenso richtet sich der Vorschlag an die ältere Generation. Ein Betreuungsgeld umschmeichelt jene Paare, für die es selbstverständlich war, dass die Ehefrau ganztags den Haushalt führt. Und die fürchten, dass das Lebensmodell, das sie selber wählten, nachträglich entwertet wird.
So nachvollziehbar es also ist, dass viele den Begriff "Herdprämie" als herabwürdigend empfinden - ihn gleich zum Unwort zu erklären, birgt eine Gefahr: Dies könnte Politikern einen willkommenen Vorwand liefern, die ohnehin lieber an traditionellen Lebenswegen jenseits von Kita und Karrierefrauen festhalten möchten.
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