piwik no script img

Henk Visch irritiert in BremerhavenHässliche Figur im Schaufenster

Das Kabinett für aktuelle Kunst in Bremerhaven ist weltbekannt: Hier wurden Künstler ausgestellt, die später berühmt wurden.

Hells Metall mit Haaren darüber: der Kopf der Figur von Henk Visch. Foto: Kunstverein Bremerhaven

BREMERHAVEN taz | Im Bremerhavener Kabinett für aktuelle Kunst steht derzeit eine eigenartige Figur. Die Tür des ehemaligen Ladengeschäfts im Bau des Kunstvereins ist meist verschlossen. Das macht nichts, denn man kann die hässliche Figur durch die Schaufensterscheibe gut erkennen, man muss ihr nicht unbedingt näher kommen. Man fühlt sich an einen Laden für Kunsthandwerk, norwegische Souvenirs oder afrikanische Artefakte erinnert. Die Assoziationen gehen durcheinander, denn so richtig entspricht die Figur nichts von alledem.

Es ist eine Arbeit des niederländischen Künstlers Henk Visch. Ihr Körper ist in hellem Metall gegossen. Ihre Haare hängen herab und sind auf ihrem Kopf hochgesteckt und am Hals mit einem Ring festgemacht. So macht sie einen recht strangulierten Eindruck. Außerdem fehlen ihr die Arme. Sie steht auf der Spitze eines Turms aus versetzt quer aufeinander getürmten Sockeln. Ganz so, als wäre sie ein Heiligtum oder eine Heldengestalt. Dabei ist sie bloß lächerlich, auf ihre spezielle Weise. Sie strahlt, obwohl sie eigentlich nichts zu strahlen hat. Sie ist die Imitation eines Heiligtums, und man kann sich nicht ganz sicher sein, ob sie nicht vielleicht sogar die Imitation eines Kunstwerkes ist.

Wenn dem aber so ist, was ist sie dann?

Zusätzlich verstärkt wird der helle Schein der kleinen hässlichen Gestalt durch den Kontext des Ausstellungsortes. Kontextuales Licht, sozusagen. Das Kabinett wird seit mehr als 40 Jahren von Jürgen Wesseler betrieben. Der gelernte Vermessungsingenieur hat immer wieder sehr früh Künstler ausgestellt, die später einmal berühmt werden sollten. Darunter befinden sich auch Gerhard Richter, On Kawara und Gregor Schneider. Das Bremerhavener Kabinett ist für sein Programm weltberühmt. In diesem Schein steht nun auch die kleine Gestalt von Henk Visch.

Es ist nicht das erste Mal, dass Jürgen Wesseler eine Arbeit von Visch zeigt: 2005 zeigte Visch im Kabinett die bronzene Silhouette zweier Reisender, denen er einen Ventilator gegenüber gestellt hatte. 2010 war es ein ganzer Zoo unterschiedlicher seltsamer zweibeiniger Fantasiewesen aus farbigem Draht.

Der 1950 in Eindhoven geborene Bildhauer wurde 1988 bekannt, als er auf der Biennale in Venedig den niederländischen Pavillon bespielte. 1992 nahm er an der neunten Documenta teil. Seit 1995 hat er eine Professur für Bildhauerei inne, erst in Stuttgart, seit 2005 in Münster.

In den Jahren seiner Ausstellungstätigkeit hat Wesseler immer wieder einzelne Künstler begleitet und engen Kontakt zu ihnen gehalten, wie man es von manchen Galerien, nicht aber von kunstvereinsartigen Einrichtungen kennt. Da ist das Kabinett eben besonders. Visch hatte dort bereits 1995 seine erste Ausstellung. Nun ist es seine vierte. Was will ein Ausstellungsmacher wie Wesseler von einem Künstler wie Henk Visch? Wesseler betont immerhin gerne, er könne mit gegenständlicher Kunst nichts anfangen. Die Arbeiten von Visch hingegen sind gegenständlich.

Auch wenn es sich oftmals dabei um kaputte Gegenstände handelt. Denn seinen Figuren fehlt oft irgendetwas, das von Bedeutung sein könnte. 1995 etwa stand im Kabinett eine dickliche Figur mit ausgestrecktem Arm, welcher der Kopf fehlte. Und dann ist der Titel auch noch: „Das Lächeln“.

Vielleicht aber ist Visch schließlich doch ein typischer Kabinett-Künstler: Denn seine Gegenständlichkeit bleibt niemals bei sich, gerade wegen ihrer Gebrochenheit. Keine seiner Figuren ist selbsterklärend. Immer strahlt das Fehlen von Körperteilen oder ihre seltsame Gestalt auf die Betrachter zurück und löchert sie mit Fragen. Das trifft auch auf die langhaarige Metallplastik zu, die momentan im Kabinett zu sehen ist. Die einzelnen Aspekte ihrer Erscheinung streben in verschiedene Richtungen. In der Vorstellung zerbirst ihre Erscheinung und es ist schwer, sie wieder zusammenzusetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Themen #Kunst
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!