: Heiß im Geschlecht
Wer eine Politik voller Lyrik und Anmut möchte, muss SPD wählen. Glücklicherweise steht Hans-Ulrich Klose wieder zur Wahl
von PETER AHRENS
Es gibt immer noch die Unentschlossenen. Es sind zwar weniger geworden, seit die taz hamburg am vergangenen Samstag ihre offizielle Wahlempfehlung zugunsten der SPD ausgesprochen hat – als mächtiges publizistisches Gegengewicht zur Financial Times Deutschland, die sich bekanntlich lieber bei Herrn Stoiber ankuschelt. Aber es gibt noch orientierungslose WählerInnen, vor allem in den Wahlbezirken, in denen die zuletzt von der taz so wärmstens empfohlenen sozialdemokratischen DirektkandidatInnen Runde und Hartnagel nicht antreten. Doch auch Harburg muss sich nicht grämen. Hier hat der SPD-KandidatInnen-TÜV ergeben: Hans-Ulrich Klose, Ex-Bürgermeister der Hansestadt, ist würdiger Vertreter dieses Volkes.
Schon der erste Blick auf die Plakate überzeugt: Hans-Ulrich Klose, ein distinguierter, immer noch jungenhaft wirkender älterer Herr mit grauen Schläfen und guten Manieren. Ein Eindruck, der sich bestätigt, wenn man sich dem Phänomen Klose behutsam nähert. Wir tun das über seine Homepage, und ein Satz bleibt haften: „Er gilt als guter Zuhörer und wird als nachdenklicher Kopf geschätzt.“
Genug der Vorrede: Erst wer den Dichter Hans-Ulrich Klose kennt, kann den Politiker Hans-Ulrich Klose wahrhaft ruhigen Gewissens wählen. Also widmen wir uns der lyrischen Seite Kloses. Da gibt es diesen Gedichtband „Charade“. Autor: Hans-Ulrich Klose. Im Klappentext heißt es: Diese Gedichte „entstanden immer mal wieder, aber durchaus nicht beiläufig. Es sind erlebte Geschichten, fast ohne Ausnahme in der Ich-Du-Beziehung gestaltet“.
Erstes Beispiel: Standort
Ich lebe in so vielen Welten / pa- rallel / und bin so weit verstreut / in vielen Ebenen / zeitversetzt, / dass ich den Standort nicht bestimmen kann. / Ich weiß den Anfang nicht, / woher ich kam, / und auch das Ende nicht, / wohin ich gehe. / Ich bin von keinem / und zu keiner Zeit.
Ein Frühwerk zugegeben, aus dem Jahr 1968. Hier gibt es einen deutschen Politiker, der dazu steht, dass er überhaupt nicht weiß, wo es langgeht. Welch Ehrlichkeit. Tiefe.
Zweites Beispiel: Für einen, der das Fürchten lernte
Du an der Tür: / die Bluse kaum verhüllt das ergraute Fleisch, / warum noch die Lenden, / in deinem Haar / Geruch von Bett und anderem Mann. / Dunkel der Flur. Seitlich / der Raum erschließt sich dem Blick: / tiefe Fauteuils, staubbeladen / die Bücher im Schrank – / über Tapetenstreifen hinauf / zur rosafarbenen Decke – / Madonnengestalt. / Du, schmutziger Leib, / weißliche, wunde Stätte. / Ich mag nicht mehr. / Die Tage, die Nächte, die Angst deiner Augen / gleiten vorbei. Unten / pocht mir der Ekel / heiß im Geschlecht.
Huh, danach muss man erst einmal tief durchatmen. Hier sitzt einer an den Schalthebeln der Macht, dem nichts Menschliches fremd ist. Der hat schon in alle Abgründe geschaut. Einen solchen Menschen kann auch ein Gegenkandidat Volker Rühe nicht mehr schrecken.
Drittes und Lieblingsbeispiel: Entfernt. Für Peter Glotz.
Gefragt, wo er leben möchte, / antwortete er, ganz spontan: / wo ich lebe. / Und die anwesenden / Genossinnen und Genossen / dankten es ihrem Abgeordneten / mit herzlichem Applaus. / Später, in kleinem Kreis, / nach einigen Gläsern Wein / (trockener Italiener) / korrigierte er sich, leise: / Rom. / Da schien er / weit entfernt und weich / und wie verloren.
In diesem Werk von 1989 wird deutlich: Der Autor vergisst selbst im orgasmischen Sprachrausch, in der Ekstase des Wortes, nicht seine Wurzeln: Die Sozialdemokratie der Bundesrepublik Deutschland. Die getreuen Genossen finden ihren Platz in der Hochkultur. Gleichzeitig eine Hommage an einen der großen Denker des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Peter Glotz, stellvertretender Vorsitzender der Toskana-Fraktion, deren Anführer Björn Engholm auch unvergessen ist.
Wählt Klose. Oder wie die Kollegen der Bild-Zeitung so wohlfeil formuliert haben: Klose, schieß sie aus der Hose.
Hans-Ulrich Klose, Charade. Bonn 1997. Charade 2. Neue Gedichte. Bonn 1999.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen