Heinz Strunks Band „Der gelbe Elefant“: Lost in Neandertal
Unangenehme Männerwelten sind Heinz Strunks Metier. Seine neuen Erzählungen lesen sich zum Teil wie Kafka mit Befall von Hamburger Humor.
Das Werk von Heinz Strunk führt uns oft in Welten, um die die meisten, die diesen Text hier lesen, wohl lieber einen großen Bogen machen würden. In die Welt des schwitzigen Männerwitzes etwa, in die Köpfe jener Typen, die Frauen als Pick-Up-Material betrachten, auch in den Kosmos der glatten und durchgecoachten Performer der Digitalära.
Oder aber Strunk schaut, durchaus mit sprachlichem Genuss, allzu durchschnittlichen Menschen beim Sich-gegenseitig-Anöden zu; das traurige Figurenkabinett seiner Geschichte „Kroketten“ ist ein Beispiel dafür, die handelnden Figuren sind: „Björnischmörni und Swantjischwantji und Claudi und Andi und Olli und Melli und Kati und Matze und Sabi und Fränkie, die Ahnengalerie der Generation X; Gesichter, die aussehen, als hätten sie schon tausend Jahre gelebt, gleiche Grammatik von Mimik und Posen, reduziert aufs Notwendigste, Kollektivgesichter.“
In seinem 2022 erschienenen Roman „Ein Sommer in Niendorf“ hat Heinz Strunk bereits brillant aufgezeigt, wie viele Überschneidungen es gibt zwischen den genannten Milieus und den gut situierten und gebildeten Kreisen, die sich erhaben über den Plebs wähnen. Auch seinen nun erschienenen Erzählungsband „Der gelbe Elefant“ muss man in Teilen als Blick in den Spiegel betrachten, will man etwas aus diesen Geschichten ziehen. Angenehm ist der Anblick natürlich nicht.
Bis die Knochen versagen
Heinz Strunk: „Der gelbe Elefant“. Rowohlt, Hamburg 2023. 208 Seiten, 22 Euro
Es gibt zwei Schlüsselerzählungen in diesem Band. „Eisengreis“ heißt die eine, ihr Protagonist Werner Spremberg ist 75 Jahre alt, macht täglich Bodybuildung und hält sich für unkaputtbar. Die Osteoporose-Diagnose seines Arztes beachtet er nicht weiter, er absolviert weiter Laufeinheiten, macht Klimmzüge, Liegestütze und Dips.
Bis ihm bei den Liegestützen irgendwann die Knochen versagen und sein Oberarmkopf bricht. Da liegt er dann, der Werner, ähnlich einem kafkaesken Käfer, nur auf dem Bauch statt auf dem Rücken strampelnd, robbt durch die Flure und wartet auf den Tag, an dem seine Nachmieter vorbeikommen und ihn retten werden.
„Bis dahin muss er durchhalten. Und er wird aus dieser Grenzsituation gestärkt hervorgehen“, macht er sich Mut. Und weiter: „Bis ein Mensch verhungert, dauert es viel länger, als man gemeinhin annimmt. Seine Fettreserven sind begrenzt, werden aber ausreichen. […] Der Tank des Wasserspenders ist fast bis zum Anschlag gefüllt.“
Werner beizuwohnen, wie sein Weltbild mit seinen Knochen zusammenkracht und wie er sich weigert, die Realität anzuerkennen, das ist große Erzählkunst und erinnert dann tatsächlich an eine Kafka-Parabel mit einem ordentlichen Schuss Hamburger Humor.
„Schwerpunkt Erfolg, Persönlichkeit, Zukunft“
Um Selbstbilder, die nicht mit Fremdbild zusammenpassen und sich auch eher als Selbsttäuschung erweisen, geht es auch in der Geschichte ‚Mensch vs. Taler‘. Die handelt eben von so einem selbst ernannten Performer: von Felgentreu, der umgeschult hat auf „Key Note Speaker, Schwerpunkt Erfolg, Persönlichkeit, Zukunft“. Dieser Typ, der von seinem eigenen „Powerwording“ und sowieso von sich selbst sehr überzeugt ist, macht auf einer seiner beruflichen Rundreisen Halt im Neandertal, verläuft sich dort und stößt auf eine Gruppe von Menschen, die aussehen wie in der Steinzeit.
Von diesen wird er schließlich gefangen genommen, seine Coaching-Worthülsen helfen ihm nun nicht mehr weiter. Die Geschichte endet auf denkbar strunkige Art und Weise, es wird fies, lustig und absurd. Je surrealer es in den Erzählungen zugeht, desto interessanter werden sie.
Es ergibt dabei durchaus einen Sinn und erzeugt einen Mehrwert, sich mit den hier gezeigten Männerwelten auseinanderzusetzen. Weder ist Strunk affirmativ (wie auch, bei diesen Figuren!), noch stellt er die Figuren einfach nur aus.
„Auskunft“ und „Kjell aus Tarp“ etwa handeln von tiefer männlicher Einsamkeit, auch in der Geschichte über eine Markus-Lanz-Sendung („Der erledigte Experte“) geht es um Selbstwert und über die 5 minutes of fame, die der Protagonist für sich einfordert. So unterhaltsam wie Strunk Abgründe vermisst und Psychogramme erstellt, gelingt dies den wenigsten deutschen Autor:innen. Insofern: beste schattenreiche Sommerlektüre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich