Heiner Müller-Bewunderer: Im Kampf gegen eine alte Ordnung
Was täte der griechische Held heute? Dieser Frage ging Lutz Dammbeck in der DDR mit seinem Herakles-Konzept nach. Die Bremer Weserburg zeigt‘s.
Wenn einem nicht gerade ein Altphilologe dazwischenkommt, können antike Mythen durchaus spannend sein. Vornehmlich dann, wenn man sie nicht in der Vergangenheit lässt und sie auf ihre Eignung in der Gegenwart prüft. Sigmund Freud und die Surrealisten haben sich für Ödipus und Telemach interessiert. Die griechischen Mythen verstanden sie als Ausdruck universeller menschlicher Konflikte, die um Themen wie Tod und Geburt, unlösbare Lebensaufgaben und Schuld kreisen.
Der Künstler Lutz Dammbeck arbeitete in der DDR der 70er und 80er Jahre an seinem Herakles Konzept - einem umfangreichen Zyklus aus Filmen, Collagen, Texten und Bühnenstücken. Vieles davon ist aktuell in einer Schau der Bremer Weserburg zu sehen. Die Ausstellung ist umfangreich, es gibt sogar ein kleines Dammbeck-Kino, in dem auch seine längeren Filme gezeigt werden.
Dammbeck ging in seinen Arbeiten der Frage nach, welche Gestalt wohl der alte griechische Held heute haben und was er tun würde? Hätte der Halbgott womöglich die hässliche Fratze der Herakles-Skulptur des Nazi-Bildhauers Arnold Breker? Bei ihm sind die Muskeln zentral. Brekers Herakles ist eher roh denn edel. In Dammbecks Film- und Bühnenstücken treten immer wieder Personen mit einer solchen Breker-Maske auf.
Und vielleicht wäre der bürgerliche Staat die neue Hydra, gegen die ein moderner Herakles heute kämpfen würde? In Dammbecks Collagen tauchen gelegentlich Mitglieder der RAF auf, die gegen eben jenes mehrköpfige Ungeheuer in den aussichtslosen Kampf gezogen sind. Und je mehr Köpfe sie abschlugen, umso mehr wuchsen nach.
In der Tat scheint Dammbeck das Herakles-Thema in seinen Arbeiten häufig unter dem Gesichtspunkt des Kampfes gegen eine alte Ordnung zu behandeln. Auch Aufnahmen einiger Theaterinszenierungen sind in der Weserburg zu sehen. Oftmals sind es Einzelkämpfer, die gegen äußere Beschränkungen ankämpfen.
Der 1948 in Leipzig geborene Künstler beginnt nach seinem Kunststudium in Leipzig zunächst Trickfilme zu drehen. Sein Defa-Film „Der Mond“ läuft auf internationalen Festivals. Bald beginnt er die Grenzen und Möglichkeiten des eigenen Körpers auszuloten. Mit Film und Foto zerlegt und untersucht er seine Bewegungsabläufe und dekliniert in ausführlichen Serien den eigenen Körper durch. Für eine Performance überzieht er sich mit Gipsmasse und wird selbst zur zwar unbeweglichen aber stabilen Heldenstatue.
Tatsächlich musste auch Dammbeck selbst als eine Art Herakles für die Realisierung seiner Kunstprojekte kämpfen. Er war zwar keinesfalls ein erklärter Gegner der DDR. Allerdings waren nicht alle seine Vorhaben bei der damaligen Kulturpolitik willkommen. So musste er sich hin und wieder ein paar Tricks einfallen lassen: Seine collagierten Zeitschriften veröffentlichte er in niedriger Auflagenstärke. So galten sie als Originalgrafiken und waren nicht meldepflichtig.
1984 organisierte er, im Schutz der Leipziger Buchmesse, gemeinsam mit anderen Künstlern in einer der Messehallen eine unter einem Vorwand frei kuratierte Ausstellung. Mehrere 10.000 Menschen haben diese Schau teilweise dissidenter Künstler besucht. Unter normalen Umständen wäre so etwas nicht möglich gewesen. Nicht jeder Herakles braucht Brekers Muskeln.
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